Diagonale: Das Echo der syrischen Gewalt in Graz

Gespensterhaft gleiten die drei weiblichen Hauptfiguren in „Chaos“ (Regie: Sara Fattahi) durchs Alltagsvakuum.
Gespensterhaft gleiten die drei weiblichen Hauptfiguren in „Chaos“ (Regie: Sara Fattahi) durchs Alltagsvakuum.(c) Little Magnet Films
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Die Hauptpreise gingen Samstagabend an den Spielfilm „Chaos“ und den Dokumentarfilm „The Remains“, eindringliche Filme über (europäische) Echos des syrischen Bürgerkriegs. Gernot Blümel kam erstmals zur Preisverleihung.

Der IS sei „zu 100 Prozent“ besiegt: So kündeten am Samstag kurdisch angeführte Kämpfer und Weißes Haus. Eine Meldung, die auf ein Ende des syrischen Bürgerkriegs hoffen lässt. Doch selbst wenn: Das Echo der Gewalt wird nachhallen. Davon zeugen auch die Siegerfilme der diesjährigen Diagonale. Der große Spielfilm-Preis ging heuer an „Chaos“ von Sara Fattahi, Nathalie Borgers' „The Remains – Nach der Odyssee“ wurde als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet. Beide Arbeiten befassen sich mit Nachbeben, offenen Wunden und schwelenden Traumata. Beide erzählen, wie der Krieg in Menschen weiterwirkt, die ihren Weg nach Europa gefunden haben.

„Chaos“ kehrt dabei das Innere nach außen. Obwohl seine drei weiblichen Hauptfiguren an verschiedenen Orten leben (Schweden, Wien, Damaskus), eint sie eine seelische Versehrtheit, die der Film über beklemmende Stimmungsbilder vermittelt. Gespensterhaft gleiten die Frauen durchs Alltagsvakuum, drückendes Isolationsgefühl macht sich breit. Um stillen Schmerz auszudrücken, der auch ihr eigener ist, mischt die gebürtige Syrerin Fattahi Porträt und Fiktion. Zwei Protagonistinnen sind Bekannte, die dritte ein Alter Ego der Regisseurin. Dieses wird von Jaschka Lämmert gespielt und könnte auch Ingeborg Bachmann sein: Ein Radiointerview mit der Dichterin geistert durch die Tonspur. Borgers' Zugang ist konventioneller, aber kaum weniger eindringlich: „The Remains“ handelt von Bemühungen, im Mittelmeer ertrunkene Geflüchtete zu bergen, ihren Angehörigen Beisetzung und Gedenken zu ermöglichen. Daran knüpft Borgers die Geschichte einer syrischen Familie, die 13 Angehörige verloren hat. In Wien versuchen die Überlebenden, wieder zu sich zu kommen.

Sowohl „The Remains“ als auch „Chaos“ starten demnächst regulär. Es sind politische Arbeiten ohne Fingerzeig, traurig und ernst, ihre Anklagen bleiben indirekt. Dennoch entbehrte es nicht einer gewissen Ironie, dass der Preis an Borgers von Kulturminister Gernot Blümel (VP) überreicht wurde. Seine erstmalige Anwesenheit bei der Verleihung war wohl auch eine Reaktion auf die ausdrückliche Distanzierung vieler Branchenvertreter von der amtierenden Koalition – und auf Vorwürfe, die Filmkultur würde von Blümel eher stiefmütterlich behandelt.

„Kultur kostet, Unkultur viel mehr“

Die Festivalintendanten Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger plädierten in ihrer Abschlussrede für Dialog und Miteinander, wünschten sich aber auch mehr Mittel für das österreichische Kino – und finanzielle Unabhängigkeit für den ORF. „Kultur kostet, aber Unkultur kostet viel mehr“, zitierten sie Ex-ÖVP-Landeshauptmann Josef Pühringer. Eindeutige Antwort gab Blümel nicht.

Zuhause mögen alpenländische Filme um Anerkennung ringen, auf internationalen Festivals reüssieren sie ungebrochen: Ein Beispiel wäre Sudabeh Mortezais berückendes Prostitutionsdrama „Joy“, dessen Laienhauptdarstellerin Joy Alphonsus in Graz mit dem Schauspielpreis bedacht wurde. Und die Ästhetiken der nachrückenden Regie-Generation sind vielfältiger, als das Klischee vom kühlen Ösi-Arthouse-Blick vermuten lässt. Sie reichen vom reflektierten Verité („Bewegungen eines nahen Bergs“) bis zum pulsierenden Psychotrip („Nevrland“). Dass Letzterer mit Josef-Hader-Nebenrolle bestückt ist, zeugt zwar von Bindungen ans gemachte Nest – aber die währen bekanntlich nicht ewig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2019)

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