Abschied von der guten Seele der Nouvelle Vague

Agnès Varda, Pionierin des Autorenkinos, erlag am Freitag einem Krebsleiden.
Agnès Varda, Pionierin des Autorenkinos, erlag am Freitag einem Krebsleiden.(c) APA/AFP/FADEL SENNA (FADEL SENNA)
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Die Filmemacherin Agnès Varda ist 90-jährig verstorben. Sie schäumte bis zuletzt über vor Kreativität.

Immer wenn die kleine, muntere Filmemacherin mit rot-weißer Pilzfrisur sich blicken ließ, sei es auf der Leinwand, sei es anderswo, wanderten die Mundwinkel nach oben. Agnès Varda wurde oft als Grande Dame oder Großmutter der Nouvelle Vague bezeichnet – doch im Grunde war sie ihre gute Seele. Während sich viele Bilderstürmer der 1960er in Politdebatten und Metadiskursen verstrickten, blieben Vardas neugierige Augen stets auf die Welt gerichtet: ihre Menschen, ihre Zeichen, ihre Wunder.

Eigentlich war die gebürtige Belgierin gar kein Teil der „offiziellen“ neuen Welle. Zusammen mit Alain Resnais, Chris Marker und anderen zählte sie zur entspannteren „Rive gauche“-Bewegung. Und ihr erster Film, „La pointe courte“, brachte schon 1955, fünf Jahre vor Jean-Luc Godards „Außer Atem“, frischen Wind in französische Kinos. Das Porträt eines Fischerviertels der Küstenstadt Sète (wo Varda während des Zweiten Weltkriegs aufwuchs) wechselte zwanglos zwischen Dokument und Fiktion.

Varda, die als Fotografin anfing (und nie davon abließ), entschied sich nie für eine dieser beiden Formen. Sie inszenierte Spielfilme wie das quirlige Durchbruchswerk „Cléo de 5 à 7“ (1962), die Beziehungsstudie „Le bonheur“ (1965) oder die eindringliche Landstreicherpassion „Vogelfrei“ mit Sandrine Bonnaire, die 1985 den Goldenen Löwen in Venedig gewann – aber auch essayistische Dokus über das Leben auf dem Land. Ihre Liebe galt den Außenseitern und vermeintlich einfachen Leuten – und ihrem Lebensmenschen, dem 1990 verstorbenen Filmemacher Jacques Demy.

Von großen Gesten fehlt in Vardas Werk jede Spur. Sie sah sich als Sammlerin beiläufiger Schönheiten und prägte den Begriff „cinécriture“ – eine Art persönliches „Schreiben mit Film“. Daraus, dass sie eine der wenigen Frauen im Jungsklub der Nouvelle Vague war, machte sie nie viel Aufhebens: Feminismus erschien in Vardas Filmen, etwa im Emanzipationsepos „L'une chante l'autre pas“ (1977), stets wie eine Selbstverständlichkeit. Dass man sie in den letzten Jahren mit Ehrenpreisen überhäufte und zur Ikone stilisierte, wirkte fast unpassend.

Ihr letzter Film – ein Selbstporträt

Doch trug sie auch selbst dazu bei, trat immer öfter in ihren eigenen Arbeiten auf, die gern Rückschau hielten, ohne sich dabei in Privatwelten einzuigeln – ein Unterschied zu ihrem alten Bekannten Godard. Ungebrochen zog es sie hinaus, auf Strände („Les plages d'Agnès“, 2008) und Felder, suchend nach neuen Begegnungen. Mit „Visages Villages“, einer herzhaft-berückenden Provinzspritztour an der Seite des jungen Street-Art-Künstlers JR, gelang Varda 2017 sogar noch ein Minihit: Auch hier frönte sie ihrer ansteckenden Leidenschaft für die Fotografie.

Erst vergangenen Februar feierte Vardas jüngstes Selbstporträt, „Varda par Agnès“, bei der Berlinale Premiere. „Drei Wörter sind mir wichtig“, notiert sie darin: „Eingebung, Schaffen und Teilen.“ Bis zuletzt blieb die unermüdliche Ausnahmekünstlerin diesem Kino-Credo treu. Am Freitag ist sie 90-jährig in Paris verstorben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2019)

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