Dieser Film hört FPÖ-Fans zu

Der Magistratsbeamte beim türkischen Friseur: „Die lernen mit mehr Herzblut.“
Der Magistratsbeamte beim türkischen Friseur: „Die lernen mit mehr Herzblut.“(C) Polyfilm
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Dokumentarfilmerin Ulli Gladik mutet ihrem Publikum mit „Inland“ Ungewohntes zu: FPÖ-Anhängern zuhören, ohne Häme und Horroreffekte. Die Deutung liefert sie dezent mit.

Im Espresso Florida sieht es aus wie zu Mundls Zeiten. Dort treffen sich echte Wiener zum Raunzen, Vor-sich-hin-Starren und Schwadronieren. Draußen, auf der Ottakringer Straße, wären sie nicht mehr unter sich. Junge Jugos, erzählt die Betreiberin, lungern dort den halben Tag herum und fahren trotzdem teure Autos. Aber die gehören ja schon hierher, anders als die Türken, die Favoriten okkupiert haben, sehr zum Ärger eines dort ansässigen Magistratsbediensteten. Und dann ist da noch Alexander, der wegen Gewaltdelikten im Häfen saß und nun im Obdachlosenheim lebt. Er träumt von einem „Bürgeraufstand“ gegen die Ausländer, aber für so was seien seine Landsleute ja zu feig. Die drei haben eines gemeinsam: Sie sind, wen sollte es wundern, Anhänger der FPÖ.

Solcher Leute Ansichten mutet Ulli Gladik dem Publikum ihres Dokumentarfilms „Inland“ eineinhalb Stunden lang zu. Einem Publikum von Filmfestivals und großstädtischen Programmkinos, aus Kreisen also, in denen die Freiheitlichen wohl kaum die Ein-Prozent-Hürde knacken. Den meisten Zuschauern ist das servierte Milieu viel fremder als den Menschen auf der Leinwand die ihnen zwangsweise vertrauten Migranten. Viele sinken wohl mit der Erwartung in den gepolsterten Sitz, sie könnten sich bei einem Reality-Horrorschocker wohlig gruseln oder von Alltagsgeschichten im Andenken an Elisabeth T. Spira ein paar höhnische Lacher entlocken lassen. Es ist der steirischen Filmemacherin hoch anzurechnen, dass sie solche Erwartungen enttäuscht.

„Brutal ausgedrückt, ja“

Gladik begegnet ihren Antihelden mit Respekt und Einfühlungsvermögen, auf Augenhöhe, ohne sich heuchlerisch anzubiedern. Erst wenn ihr eine Frage auf der Zunge brennt, mischt sie sich fast schüchtern ein. Dabei regt sie die Redenden zur Reflexion an. Und die räsonieren ganz schön viel. Wenn auch oft ohne Raison: Die Gedanken drehen sich im Kreis, versickern im Ungewissen oder verheddern sich in Widersprüchen.

Der Beamte ist böhmischer Abstammung. In der Schule haben sie ihn deshalb „verachtet und gemieden“, „starke Vorurteile“ hat er erlebt. „Wie heute die Türken“, gibt die Frau hinter der Kamera zu bedenken. „Die bemühen sich nicht, die machen sich breit.“ Wenig später treffen wir ihn beim türkischen Friseur wieder. Dort ist der Haarschnitt nicht nur billiger als beim Österreicher, auch die Qualität sei besser, denn „die lernen mit mehr Herzblut“. Dem obdachlosen Alexander gefällt nicht, dass seine FPÖ Sozialleistungen senken will. Aber die Ausländerpolitik ist ihm wichtiger. Es sei ihm also lieber, „wenn es allen schlechter geht statt allen besser?“, fragt die Regisseurin verdutzt. „Brutal ausgedrückt, ja“.

Freilich liefert Gladik bei aller Dezenz ein politisches Weltbild mit, das zwar weniger verworren ist, aber ähnlich naiv: Der Staat müsse den Armen mehr Geld geben, und das sei leicht aufzutreiben, wenn man die Konzerne endlich zwingt, Steuern zu zahlen. Stattdessen hätten die Sozis ihre Klientel im Stich gelassen. Jetzt gingen die kleinen Leute rechten Rattenfängern auf dem Leim, die ihnen – verschworen mit dem Großkapital – auch noch das wenige wegnehmen, was sie haben. Man sieht: So ungewöhnlich die Herangehensweise des Films, so gewohnt sein Deutungsmuster.

Niemand muss verunsichert aus dem Kino gehen

„Inland“ wurde kurz vor und nach der letzten Nationalratswahl gedreht. Ein Blick auf die Ergebnisse hätte auf andere Fährten gelockt: Rund ums Espresso Florida, in Hernals und Ottakring, verlor die FPÖ leicht, und sie kam auf deutlich weniger Stimmenanteile als etwa in Schwaz, einer reichen Tiroler Tourismusregion. Dort gibt es nicht nur kaum Ausländer, sondern auch wenig Modernisierungsverlierer.

Stattdessen setzt der Film auf Kulissen und Narrative, mit denen sich Abgründe leicht zuschütten lassen. So muss niemand verunsichert aus dem Kino gehen. Auch wenn die Abgründe nicht fehlen. Ohne Hemmung zeigt Alexander ein „interessantes“ Posting, das Foto eines Flüchtlingsboots mit dem Kommentar „Wo bleibt der Weiße Hai, wenn man ihn braucht?“. Leise will Gladik wissen: „Woher dieser Hass?“ Die Antwort klingt ehrlich: „Ich weiß es nicht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2019)

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