„Voyage of Time“: Die restlose Romantisierung der Welt durch Terrence Malick

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„Voyage of Time“ kommt mit dreijähriger Verspätung in Österreich ins Kino. Er propagiert eine pantheistische Weltanschauung.

Die erste Einstellung zeigt Schwarz. Eine wehmütige Stimme (Cate Blanchett) trägt ein lyrisches Gebet vor, das an eine symbolische Urmutter gerichtet ist: Eine Frau, kein Gottvater, die allein war, bevor das Universum entstand, in absoluter Finsternis und Stille. Die Angerufene wird nie sprechen, aber antworten: Aus der Dunkelheit bricht ein Licht hervor, dem weißen Loch entströmen flimmernde Farben, Flammen und Nebel . . .

So beginnt Terrence Malicks „Voyage of Time“, als mythologische Schöpfungsoper, in der das All wie eine gigantische Gebärmutter anmutet, die kurz darauf die Erde hervorbringt. Klingt hochtrabend? Es wird noch besser: Spätestens, als sich der Blick aus astronomischen Höhen zu dem kleinen, aus Feuerstürmen gezeugten Ball hinabgelassen hat, der einsam durch das Sternenmeer treibt, beginnt eine pompöse Bebilderung des Lebens auf ihm im Wandel der Evolution. Einzeller, Mehrzeller, Dinosaurier, Urmenschen, Menschen lösen einander ab. Es geht in kleinste Zellen hinein und wieder hinauf zum Flug über weitläufige Landschaften. Und immer werden die sichtbaren Phänomene der Natur nicht nur abgebildet, sondern ästhetisch durchdrungen und sinnlich potenziert, so wie es schon Novalis wollte, als er – über den Umweg der Kunst – die restlose Romantisierung der Welt forderte.

Wenn Malick („Tree of Life“) bemerkt, dass der Wimpernschlag eines Kindes eine vergleichbar packende Wirkung erzielen kann wie die bombastischen Wellengänge auf den Ozeanen, dann missachtet er alle wertmäßigen Unterscheidungen zwischen klein und groß, profan und heilig, banal und bedeutsam. Sein Mammutwerk „Voyage of Time“ ist zugleich erfrischend maßlos im Umgang mit Pathos und der Propagierung einer pantheistischen Weltanschauung.

Obdachlose, Kranke, Alte, Kinder

Wenn die Hochglanz-Passagen von Sprüngen in die Gegenwart unterbrochen werden, die mit einfachen Digitalfilmkameras festgehaltene Szenen aus dem Straßenalltag in aller Herren Länder zeigen und dabei vornehmlich Obdachlose, Kranke, Alte und Kinder in den Fokus nehmen, gesellt sich zum Effekt der Überwältigung noch die Empfindung des Mitgefühls: Dafür braucht es nicht mehr als den Anblick des Anderen – in welcher Bildqualität auch immer. „Voyage of Time“ ist bereits vor drei Jahren erschienen und lief auch im Venedig-Wettbewerb. In Österreich war er im Kino bisher nie zu sehen. Das Wiener Burgkino holt das nach.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2019)

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