Cannes: Im Bann der Wunderblume

Hübsch, aber gefährlich. Von Experimenten mit Pflanzen handelt „Little Joe“ von Jessica Hausner, heuer im offiziellen Wettbewerb in Cannes.
Hübsch, aber gefährlich. Von Experimenten mit Pflanzen handelt „Little Joe“ von Jessica Hausner, heuer im offiziellen Wettbewerb in Cannes. (C) Festival de Cannes
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Als einziger Österreich-Beitrag wurde Jessica Hausners „Little Joe“ im Wettbewerb von Cannes gezeigt: Ein Sci-Fi-Mysterium über eine Pflanze, die glücklich macht.

Das Blümlein sieht verführerisch aus: Wie eine flauschige, feuerrote Quaste entfaltet sich sein Blütenstand am Gipfel eines grünen, elegant geschwungenen Stängels – eine Kreuzung aus Zuckerbusch und Mimose, deren gelbliche Staubblätter sanft schwingen, gleichsam flüsternd: Streichle mich!

Kann solche Schönheit Schändliches im Schilde führen? Dies ist nur eine von vielen Fragen, die „Little Joe” aufwirft, der jüngste Film der Wienerin Jessica Hausner. Am Freitag feierte er im Wettbewerb von Cannes Premiere – und mancher kratzt sich immer noch den Kopf. Nicht aus mangelndem Verständnis, sondern aufgrund absichtsvoller Uneindeutigkeit: In ihrer ersten englischsprachigen Arbeit nimmt die 46-jährige Autorenfilmerin die Grundzutaten eines altgedienten Genremotivs – den des unfreiwilligen Identitätstausches – und lässt sie durch die ihr typischen Ambivalenzfilter sickern. Im Zentrum des Sci-Fi-Mysteriums steht Alice (Emily Beecham), eine alleinerziehende Gentechnikerin. Mit anderen Wissenschaftlern züchtet sie Wunderblumen für eine Firma namens „Planthouse”. Wer diese brav pflegt, soll von Glückswirkung zehren, die der etablierter Antidepressiva nicht unähnlich ist. Obwohl der Aufschwung der scharlachfarbenen Spezies den Niedergang einer blauen Parallelkultur zu befördern scheint, sind alle voll Zuversicht – so sehr, dass Alice ein Exemplar heim nimmt, um ihrem Sohn Joe (Kit Connor) eine Freude zu machen.

Das auf den Namen Little Joe getaufte Schmuckstück wächst und gedeiht. Doch bald hat die Forscherin den Eindruck, dass etwas nicht stimmt. Ihr Bub wirkt wie ausgewechselt, auch ihr Kollege Chris (Ben Whishaw, bekannt als Q aus James Bond) verhält sich sonderbar. Ist das zarte Laborpflänzchen eine Blume des Bösen? Dass der Film eindeutige Antworten verweigert, gehört zum Konzept. Die Wohlstandsgesellschaft ist sich längst so fremd, dass sie authentisches Verhalten nicht mehr beurteilen kann: Ein Grundgedanke, der bei Hausner nicht zuletzt ästhetisch ausgedrückt wird.

Von Beginn an bewegt sich Alice durch eine geschmacksneutrale, pastellfarbene Kunstwelt, deren flächige Lachs- und Türkistöne gleichermaßen betören wie befremden. Fluoreszierende Genrosen-Extravaganz sticht hier umso mehr hervor. Und obwohl ein Forschungszentrum den Hauptschauplatz stellt, ist die Atmosphäre weder klinisch noch steril, anästhesiert trifft es schon eher: Manchmal gleitet Martin Gschlachts Kamera an Figuren vorbei, als wären sie gar nicht da.


Schrullen. Offen bleibt, ob wirklich was im Busch ist. Die ältere Forschergeneration wird nervös? Womöglich bloße Fortschrittsfeindlichkeit. Die Schrullen des Sohnes? Pubertät. Die Ängste von Alice? Ein sublimierter Wunsch nach Bindungslosigkeit, meint die Therapeutin. Allerdings trägt diese ein Hemd mit Blumenmuster. Da alles in der Schwebe bleibt, gerät der Film zur Projektionsfläche für brisante Grundsatzfragen. Was ist Glück? Was unsere wahre Natur? Lässt sich Zufriedenheit fabrizieren? Wollen wir sie? Und um welchen Preis? Den unserer Menschlichkeit? Ist das schlimm? Oder eh ok?

Das lässt sich trefflich diskutieren, dem Filmvergnügen ist es kaum zuträglich. Zwar bekennt sich „Little Joe” (noch viel stärker als Hausners erster Genreflirt, das Schauerstück „Hotel”) zu den dramaturgischen Konventionen seiner Gattung: Die Handlung folgt gewohnten Mustern, es gibt einen Kassandraruf wie im Paranoia-Klassiker „Die Körperfresser kommen”. Doch die ironisch schaumgebremste Präsentation, das entrückte Schauspiel machen aus allem eine mühsame Pflichtübung, Spannung bleibt aus. Fast scheint der Film sich dessen bewusst zu sein: Schreckhafte Suiten des Japaners Teiji Ito, der einst für die Avantgardistin Maya Deren komponierte, halten das anämische Geschehen künstlich am Leben. Bei der Pressekonferenz gab es viel Erklärbedarf, dem die Regisseurin zum Teil nachkam. Auf die politischen Umwälzungen in ihrem Heimatland angesprochen, wirkte sie überrascht – bekannte aber, kein Problem mit einem Abtritt Straches zu haben. Wie hoch Hausners Chancen auf eine Goldene Palme stehen, darüber lässt sich nur spekulieren; die ersten internationalen Kritiken fielen verhalten aus.


Vier Frauen im Wettbewerb. Die Österreicherin ist heuer eine von vier Frauen im Wettbewerb. Eine andere, Mati Diop, schaffte es mit ihrem Langfilmdebüt ins Palmenrennen. Bislang sorgte die Pariserin mit senegalesischen Wurzeln vor allem als Schauspielerin für Aufsehen – etwa in „35 Rhums” von Claire Denis. Diops Erstling „Atlantique” wandelt auf den Spuren dieser eminenten französischen Bilddichterin – und spielt wie Hausner mit Elementen der Fantastik.

Ein junges Liebespaar aus Dakar wird entzweit: Der Bauarbeiter Souleiman (Traore) flieht übers Meer vor der Perspektivlosigkeit und Korruption seiner Heimatstadt, seine Angebetete Ada (Mame Bineta Sane), die einem anderen versprochen ist, bleibt zurück. Als sie hört, Souleiman sei bei der Überfahrt verunglückt, häufen sich unheimliche Vorkommnisse. Zufall? Oder heischen die Gespenster der Ertrunkenen Gerechtigkeit? Diop inszeniert dieses gleichermaßen poetische wie politische Düstermärchen mit großem Stimmungsgespür – und einem Glauben an das widerständige Potenzial von Melancholie. Ein frühes Wettbewerbshighlight, das lange nachhallt.

Cannes

Jessica Hausner.Geboren am 6. Oktober 1972 in Wien. Sie ist die Tochter des Malers Rudolf Hausner.

Studium. An der Filmakademie Wien. Hausner weckt früh international Aufmerksamkeit mit „Lovely Rita“, einem Film über eine 15-jährige Außenseiterin.

1999. Hausner, die auch Autorin ist, gründet mit Barbara Albert, Antonin Svoboda und Martin Gschlacht die Produktionsfirma coop99.

Wichtige Filme.„Hotel“, ein Psychothriller mit Horror-Elementen, „Lourdes“ über die gleichnamige Pilgerstätte, „Amour Fou“ über Kleist und Henriette Vogel, in Cannes in der Reihe „Un Certain Regard“ zu sehen.

Weiter mit Cannes: Das Festival wird mit Arbeiten von Malick und Tarantino fortgesetzt. Österreicher in Nebenschienen: „Lillian“ von Andreas Horwath, „Favoriten“ von Martin Monk. (Die Festspiele dauern noch bis 25. Mai)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2019)

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