„Road": Ein platonisches Plädoyer für interkulturellen Intimkontakt

Auf ihrem Weg nach Calais: William (Stéphane Bak) und Gyllen (Fionn Whitehead).
Auf ihrem Weg nach Calais: William (Stéphane Bak) und Gyllen (Fionn Whitehead).(c) Studiocanal GmbH / Eniac Martinez
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Das neue Roadmovie namens „Road" von Regiewunderkind Sebastian Schipper lässt ein ungleiches Paar zweier Einzelgänger alle Hindernisse und Vorurteile überwinden. Was sich wie eine Lehrstunde gegen rechten Populismus anlässt, wird zur sensiblen Erzählung gegenseitigen Vertrauens.

Die platonische Freundschaft zwischen Gleichgeschlechtlichen ist ein Lieblingsthema des Westerns und des Roadmovies. In der Prärie und auf endlosen Highways wuchsen stets intime Bündnisse heran, die keiner Romantik oder hungrigen Libido bedurften. „Roads", der neue Film von Regiewunderkind Sebastian Schipper, der spätestens seit „Victoria" – seinem in einer einzigen Einstellung gedrehten Liebesdrama von 2015 – zu einem Star unter den Filmemachern des jüngeren deutschen Kinos avanciert ist, bildet da keine Ausnahme.

Zwei Einzelgänger im Maturantenalter, aus konträren Kulturkreisen und sozialen Schichten stammend, treffen an der nördlichen Küste von Marokko aufeinander. Sie schießen sich den Weg nach vorn nicht frei, aber bekommen es wie Cowboys in einem alten Western mit Schergen, Halunken und fremdenfeindlichen Einheimischen zu tun. Nach geglückter Überwindung trennender Gewässer lässt der im entwendeten Wohnmobil durchquerte Landstrich zwischen Südspanien und Nordfrankreich an Umgebungen wie aus einem Abenteuerroman denken: Mit Hindernissen und Vorurteilen zugestellt, aber alle werden konsequent überwunden.

Der Film dürfte manchen anfangs zu sehr nach Lehrstunde gegen populistische Forderungen nach Flüchtlingsquoten und totaler Grenzkontrolle schmecken. Die sensible Erzählweise und präzise Figurenzeichnung, mit der Schipper klar erkennbar, aber unaufdringlich für eine ethische Positionierung wirbt, tragen jedoch zu einer baldigen Zerstreuung dieses ersten Eindrucks bei. Das Gegenmittel zu Angst und Fremdenhass sind Vertrauen und Menschenliebe, lautet die unmissverständliche, aber mit überzeugendem Feingefühl formulierte Botschaft der internationalen Produktion.

Gyllen (gespielt von Fionn Whithead aus „Dunkirk") und William (gespielt von Stéphane Bak aus „Elle") sind die Protagonisten des Liebesfilms mit humoristischen Elementen aus typischen Kumpelkomödien. Zur Untermauerung seiner These, dass Mobilität und Hilfsbereitschaft emotional gewinnbringender sind als Abschottung und bloßer Eigensinn, lässt Schipper die Stimmung souverän zwischen Leichtigkeit und Schwermut oszillieren.

Je näher sie einander auf ihrer Flucht vor staatlichen und elterlichen Autoritäten kommen, desto vertrauter werden die Schmähs und direkter die Äußerungen gegenseitiger Zuneigung. Wie das ungleiche Paar über gemeinsames Kiffen und gelungene Teamarbeit jede Berührungsangst voreinander verliert, ist schön. Die Trostlosigkeit in der Darstellung ihrer Endstation – Schipper drehte in direkter Nähe zu den Flüchtlingslagern in Calais –, löst hingegen Schrecken aus. „Roads" überzeugt als entwaffnend zärtliches Plädoyer für interkulturellen Intimkontakt ohne sexuelle Hintergedanken, überlässt die moralische Beurteilung politischer Entstehungszusammenhänge aber dem Publikum. Inmitten einer von verbaler und materieller Aufrüstung geprägten Debatte ein berührender Beitrag zu mehr Offenheit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2019)

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