Heiß und düster: Kino als Intensivstation

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Mit „To the Night“ hat der aufstrebende Wiener Regisseur Peter Brunner seinen ersten englischsprachigen Film gedreht. In der Hauptrolle einer versehrten Künstlernatur glänzt das US-Talent Caleb Landry Jones.

Norman ist nervös. Soeben hat sein Freund die Schwelle überschritten. Zum Haus, in dem die Eltern einst bei einem Brand ums Leben kamen. Mit Camcorder im Anschlag soll er die leeren Räume ablaufen, Aufnahmen machen, Erinnerungen wecken. Anstelle von Norman selbst, der Sicherheitsabstand wahrt, nur durchs Fenster beobachtet, wie sich sein Gesandter langsam vorwärtstastet. Ein guter Plan. Doch die Angst ist wachsam, sie findet immer einen Weg. Und schon sind sie wieder da: die Flammen, die Stimmen.

Schuld, Verlust und Trauma: Seit jeher Leitmotive im Schaffen des aufstrebenden Wiener Filmemachers Peter Brunner. Auch seine jüngste Arbeit „To the Night“ dreht sich im Kern darum. Nur nicht in hiesigen Gefilden, sondern in New York. Dort geht Norman, ein Getriebener (Caleb Landry Jones), künstlerischen Tätigkeiten nach. Anfangs sehen wir eine seiner Ausstellungen. Babys aus Eis, mit Plastiknabelschnüren, langsam schmelzend: Die Vergänglichkeit und Verletzlichkeit des in die Welt geworfenen Menschen.

Dabei scheint es Norman auf den ersten Blick ganz gut zu gehen. Seine Freundin Penelope (Eleonore Hendricks) liebt ihn, sie haben einen kleinen Sohn, leben in einem geräumigen Loft. Doch das Familiengefüge ist fragil, Normans Dämonen unberechenbar. Sie nähren sein Schaffen und seinen Selbstzerstörungstrieb. Immer wieder schert er aus, taucht ab, treibt an den Rand des Abgrunds – denn dort lodert das Feuer am hellsten. Und vielleicht muss er hindurchgehen, um wirklich lieben zu können.

Jones spielt diesen Zwangsekstatiker mit einer Wucht, die sich gewaschen hat. Der 29-jährige Texaner – rote Haare, Sommersprossen, sprödes Organ – zählt zu den spannendsten Nachwuchshoffnungen US-amerikanischer Schauspielzunft. Bislang sorgte er vor allem in Nebenrollen für Aufsehen, gab Außenseiter, Sonderlinge, kürzlich etwa in Jim Jarmuschs „The Dead Don't Die“. Brunners „To the Night“ erlaubt ihm, die ganze Bandbreite seiner Fähigkeiten aufzufächern. Und sich auszutoben.

Funken zwischen den Figuren

Denn bisweilen geht es ziemlich wild zu in diesem Film. Es wird geschrien, geschlagen, nach Luft geschnappt, geweint, gelacht, gesungen. Kaum eine Szene riecht nach Drehbuch, die Funken zwischen den Figuren springen wie von selbst. Diese Stimmung kostete Vorbereitungszeit, wie Brunner und Jones im Gespräch mit der „Presse“ erzählen. „Es ging uns darum, eine Atmosphäre zu erzeugen, in der Dinge passieren konnten, die nicht eingeplant waren“, so der Regisseur.

Dafür mussten die Darsteller (darunter auch Jana McKinnon und Christos Haas, mit denen Brunner schon in seinen beiden österreichischen Langfilmen zusammengearbeitet hat) vor dem Dreh auf Tuchfühlung gehen. Für eineinhalb Wochen zogen sie sich in eine Waldhütte zurück, um Szenen genau durchzugehen und einen direkten Draht zum Innenleben der Figuren aufzubauen.

Emotionale Einschwörung

Für Jones eine ungewohnte, aber fruchtbare Erfahrung: „Sich einander auszusetzen, vorab Grenzen auszuloten, anders hätte dieser Film nicht entstehen können.“ Kurzzeitig kam es sogar zur „Gründung“ einer Punk-Band, bei deren Jam-Sessions die Gruppe Dampf abließ. „Für einen Augenblick stand ein gemeinsamer Auftritt im Raum, doch daraus wurde nichts“, lacht Brunner.

Ergebnis dieser emotionalen Einschwörung ist eine herbe Intensität, die zum Teil ungefiltert von der Leinwand schwappt, einem manchmal fast zu nahe kommt. In zwischenmenschlichen Eskalationen, die an John Cassavetes erinnern, ein Vorbild Brunners. Die Suche nach ungezügeltem Ausdruck trug auch dazu bei, dass er seine Besetzungsfühler bei „To the Night“ erstmals in Richtung Übersee ausstreckte: „Der Zugang zum Schauspiel ist dort anders als bei uns.“ Zudem fungiert der Schauplatz als Gefühlsverstärker: „New York ist ein Labyrinth, in dem man sich hervorragend verlieren kann.“

Hier glüht es oft in düster bunten Tönen, in schimmerndem Schwarz und ominösem Rot. Umso kräftiger, je mehr der Psychotrip des Protagonisten ins Extrem ausschlägt, wenn Norman sich mit Ketamin in ein künstliches Koma versetzt, um seinen (von Steve Reichs unheimlichem Gesangsstück „Proverb“ untermalten) Alpträumen auf den Grund zu kommen.

Nur wenn der Film die Perspektive wechselt, Penelopes Bemühungen schildert, mit den gefährlichen Exzessen ihres Lebensmenschen umzugehen, hellt es etwas auf. „Es war mir sehr wichtig, auch ihre Seite zu zeigen, zu verdeutlichen, dass sie kein Opfer ist, sondern aus Liebe handelt. Gewissermaßen geht es um zwei Menschen, die zu viel lieben.“

Verständnis für den Wahnsinn

Wie weit sich Norman für seine Selbsttherapie aus dem Fenster lehnt, ist zuweilen schwer nachempfindbar. Doch Jones bringt Verständnis für den Wahnsinn seiner Figur auf: „Manchmal scheint es nur eine einzige Sache zu geben, die einem Frieden schenken kann. In Martin Scorseses ,Taxi Driver‘ bildet sich Robert De Niro ein, er müsse dafür zum Attentäter werden: Eine völlig absurde Idee. Aber wenn man den Film sieht, ergibt es fast ein bisschen Sinn. Bei Norman ist es ein permanenter Kreativprozess. Alles, was er macht, ist Teil davon.“

Auf der Leinwand hat der intensive Dreh jedenfalls seine Früchte getragen – und auch hinter den Kulissen, wie Jones erklärt: „Ich habe jetzt Beziehungen, die ich vorher nicht hatte.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2019)

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