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„So wie du mich willst“: Ewig jung bleiben – auf Facebook

Schon etwas zu schön für diese Geschichte ist Juliette Binoche in dieser Szene. Ihr Internet-Liebhaber Alex (rechts) bemerkt sie dennoch nicht: Er sucht hier im realen Raum eine Frau, in die er sich leidenschaftlich verliebt hat – doch es gibt sie nur im virtuellen.
Schon etwas zu schön für diese Geschichte ist Juliette Binoche in dieser Szene. Ihr Internet-Liebhaber Alex (rechts) bemerkt sie dennoch nicht: Er sucht hier im realen Raum eine Frau, in die er sich leidenschaftlich verliebt hat – doch es gibt sie nur im virtuellen.(c) Thimfilm
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Juliette Binoche spielt in „So wie du mich willst“ grandios eine 50-Jährige, die sich auf Facebook für 24 ausgibt: Ein Film über die Unsichtbarkeit älterer Frauen und das verhängnisvolle Spiel mit virtuellen Identitäten.

„Catfisch“ nennt man nach dem gleichnamigen Doku-Film von 2010 eine Person, die sich im Internet eine falsche Identität zulegt und andere in sich verliebt macht. Lang vor Internet und Film haben sie schon in der Literatur Tradition, die Spieler mit Identitäten: ob als kühl kalkulierende Hochstapler oder belachte Protagonisten in der klassischen Verwechslungskomödie. Letztere ist heute durch den Dating-Film abgelöst. Da legt jemand wohlmeinend auf einer Onlinedating-Plattform ein Profil für einen Freund oder Verwandten an und beschwört damit Verwicklungen herauf. Oder einer macht es für sich selbst, wie in der Filmkomödie „Monsieur Pierre geht online“ Pierre Richard: als 79-jähriger Internet-Neuling, der, mit dem Foto eines jungen Bekannten im Profil, die junge Flora63 kontaktiert.

Ob das, mit weiblicher Hauptfigur, auch so tollpatschig-liebenswert rüberkäme? Im französischen Film „So wie du mich willst“ jedenfalls (im Original „Celle que vous croyez“) gibt sich die Literaturprofessorin Claire, um die 50, auf Facebook als 24-Jährige aus – und das Ergebnis ist nicht komisch, sondern tragisch. Man kann auch sagen: realistisch. Als Claire, gespielt von Juliette Binoche, bei einem Abendessen andeutet, sie habe eine Liebesbeziehung mit einem wesentlich jüngeren Mann, bemerkt eine Bekannte missbilligend, sie werde doch jetzt nicht den „Cougar“ spielen! Ein abwertender Ausdruck (wörtlich „Puma“, „Silberlöwe“) für Frauen, die sich einen Jüngeren suchen; ein männliches Pendant dazu existiert nicht.

Er liebt Claires Stimme, Claras Gesicht

Tatsächlich hat allerdings nicht Claire, sondern nur ihre Facebook-Kreation, die junge Clara, eine solche Beziehung. Liebe sei, in der Imagination eines anderen zu leben, sagte der Filmregisseur Michelangelo Antonioni. Das gelingt Claire zum Teil – und das heißt: nicht genug. Freilich, es sind Claires Worte, wenn auch stets auf „jung“ getrimmt, die den jungen Fotografen Alex (François Civil) erst auf Facebook, dann am Telefon immer tiefer in die Verliebtheit treiben. Und allmählich in den Wahnsinn, weil seine Angebetete das erste Treffen ständig hinauszögert. Es ist auch Claires Stimme, die Alex so überaus gefällt. Und dennoch – er liebt ein anderes Gesicht, einen anderen Körper. Nur diese sucht er auf den erhofften Treffen mit seinen Blicken. Claire übersieht er, mag sie ihn auch noch so unverwandt ansehen.

„Die Männer sterben früher. Vielleicht. Aber sie leben länger“, sagt Claire in der gleichnamigen Romanvorlage von Camille Laurens. Auch die Verfilmung handelt vom großen Unterschied in der Wahrnehmung von alternden Männern und Frauen. Zugleich bietet sie das Psychogramm einer Frau, die nur noch um sich und ihr Begehren kreist und sich dafür immer tiefer in Lügen und Schuld verstrickt. Alles ist hier auf die Hauptfigur konzentriert, und deren Besetzung macht den Film so bemerkenswert: Juliette Binoche spielt Claire als Schmerzensfrau mit unglaublicher Kraft und Selbstentblößung. Mal erscheint sie dabei als fast alte Frau, dann wieder als reife Schönheit.

Ihrer Therapeutin, deren Sitzungen dramaturgisch als Reflexions- und Bekenntnisebene dienen, wird Claire über die erste Euphorie ihrer „Beziehung“ zu Alex erzählen: „Ich gab nicht vor, 24 zu sein, ich war 24!“ Claires Spiel beschert ihr selbst und auch Alex eine Zeitlang große Glücksmomente. Und doch ist es auch von Anfang an und zunehmend zerstörerisch. Für Claire, die es im Lauf des Films bis in die Psychiatrie führt, hat das Verhängnis allerdings nicht erst mit Facebook begonnen. Sie geht schon als Verzweifelte in den Film. Für Leute wie sie sei der virtuelle Raum zugleich „Schiffbruch und Rettungsfloß“, sagt Claire gleich zu Beginn. Ihr Mann hat sie wegen einer Jüngeren verlassen, ihr junger Liebhaber wollte nur Spaß. Das ungestillte Bedürfnis, geliebt und begehrt zu werden, martert sie: „Was ist die Liebe ohne Verlangen?“ fragt sie. Für sie offenbar nichts.

Der Film in der Regie von Safy Nebbou vereinfacht zwar die Romanvorlage, doch auch er treibt den Rezipienten in ein interessantes Verwirrspiel mit Identitäten und Geschichten. Mehr als einmal wird man als Zuschauer in die Irre geführt, wird unsicher, was nun real ist, was nicht.

Besser sterben als verlassen werden?

Doch am Ende hat es der Film plötzlich eilig, die Handlungsfäden brav aufzudröseln und auch die Psychologie der Hauptfigur – indem ein Schlüsselereignis als zentrales Motiv enthüllt wird. Nur eine so großartige Darstellerin wie Juliette Binoche kann dieses Ende retten. „Ich will gerne sterben“, sagt Claire da etwa in Tränen zu ihrer Therapeutin, „aber nicht verlassen werden! Es gibt kein Alter, um sich klein zu fühlen. Ich brauche es, dass man sich um mich kümmert, mich wiegt, und sei es auch nur in Illusionen.“ Dazu sieht man Binoches Gesicht, wie es sich buchstäblich aufzulösen scheint – und aus Banalität wird schlichte Wahrheit. Über jedermann, für jedermann. Nicht nur Frauen.

Juliette Binoche

1964 in Paris geboren, zählt Juliette Binoche seit den 90er-Jahren zu den berühmtesten französischen Schauspielerinnen. Sie spielte in Filmen wie „Der englische Patient“ (Oscar als beste Nebendarstellerin) und „Chocolat“, „Die Liebenden vom Pont Neuf“ (Leos Carax), „Verhängnis“ (Louis Malle), „Drei Farben: Blau“ (Krzysztof Kieślowski) oder „Code: unbekannt“ (Michael Haneke).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2019)

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