„Toy Story 4“: Auch Spielzeug ist manchmal lebensmüde

TOY STORY 4
TOY STORY 4(c) Pixar
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Die erstaunlich robuste Plastikbande aus dem Kinderzimmer gerät wieder in existenzielle Krisen – und entdeckt gruslige Gefilde. Ein Film, den keiner gebraucht hat, der aber trotzdem Spaß macht. Ab Donnerstag im Kino.

Da ist der kanadische Stuntman (Stimme im Original: Keanu Reeves) mit seinem Plastikmotorrad, den Minderwertigkeitskomplexe plagen, seit er erkannt hat, dass seine Kunststücke nicht so spektakulär ausfallen wie bei seinem Abbild aus der Werbung. Was ist eine Action-Figur wert, die außer zum Posen zu nichts zu gebrauchen ist? Dann ist da Buzz Lightyear (Tim Allen), der Draufgänger im Raumanzug, der jetzt auf seine innere Stimme hören will. Also drückt er auf die Knöpfe auf seiner Brust, und schon ertönen Kommandos: „To the rescue!“, „Return to base!“ Ist das sein Gewissen? Auch der abgeklärte Cowboy Woody (Tom Hanks) ist wieder mit von der Partie, aber er wird von Gefühlen der Zurückweisung und ersten Staubflusen geplagt: Vielleicht eine Art Midlife-Crisis.

Und dann ist da der Neue im Kinderzimmer: Forky (Tony Hale), ein kleines, trauriges Männchen aus einer Plastikgabel, Pfeifenputzern und zerbrochenen Eisstaberln als Füßen. Das Mädchen Bonnie hat ihn im Kindergarten gebastelt und gleich zum Liebling erklärt. Er hat mit seinem Dasein als recyceltes Spielzeug aber Probleme: Er gehört doch in den Müll! Überhaupt: „Warum bin ich am Leben?“ Mit suizidaler Entschlossenheit stürzt er sich regelmäßig in den nächsten Mistkübel, und Woody muss ihn unermüdlich wieder herausziehen: So leicht darf man nicht abdanken, wenn das Wohlbefinden eines Kindes von einem abhängt. Oder?

Auch in ihrer vierten Runde widmet sich die „Toy Story“-Reihe, die mit ihrer Vermenschlichung von Spielsachen seit 1995 äußerst erfolgreich ist, tief menschlichen Fragen: Es geht um Identität, um Selbstwertgefühl, um Angst vor Veränderung. Ja, um den Sinn des Lebens! Mit existenziellen Krisen war diese Plastikbande freilich schon öfter konfrontiert: Im ersten Teil, dem ersten komplett computeranimierten Film überhaupt, mussten die Figuren etwa erkennen, dass sie Spielzeug sind; im zweiten, dass es ihr einzig wahrer Zweck ist, von Kindern benutzt zu werden (und dass Unsterblichkeit nicht glücklich macht); im dritten, dass Glück nicht ewig währt und man manchmal loslassen und einen Neubeginn wagen muss. Eine runde Trilogie, die eigentlich keiner Fortsetzung bedurfte. Aber eine Erfolgsreihe, die an den Kino- und Spielzeugmarktkassen wie auch bei den Kritikern stets alle Erwartungen übertrifft, lässt ein Konzern wie Disney natürlich nicht links liegen.

Ein weiteres Abenteuer also. Als Regisseur wurde Josh Cooley beauftragt, der bisher mit Kurzfilmen und als Storyboard-Entwickler bei Disneys Animationsschmiede Pixar Erfahrungen sammelte. Wie seine Vorgänger kombiniert der Film familienfreundliche Scherze, elegant animierte Action-Szenen und die charmante Vorstellung, dass Gegenstände, sobald sie außerhalb unserer Wahrnehmung sind, ein Eigenleben führen.

Hinter allem steckt Melancholie

Wieder sind einige Spielsachen – diesmal auf einer spätsommerlichen Wohnmobilreise – von ihrer Besitzerin Bonnie getrennt worden und müssen zu ihr zurückfinden. Und wieder steckt hinter all den Spielzeugauto-Verfolgungsjagden, dem Kuscheltiergehüpfe und dem altklugen Gewitzel der Geist tiefer Melancholie. Die Vergänglichkeit des Seins ist Figuren, an denen standardmäßig gezerrt und auf die getreten wird, schließlich schmerzlich bewusst. Zwei neue Fabrikate, Stoffhase und Stoffküken, lernen das auch. „So sehen wir innen aus?“, fragen sie entgeistert, als sie erstmals einen geköpften Artgenossen erblicken. „So much fluff!“

Dabei sind die Spielsachen hier eh erstaunlich robust: „Toy Story“, nostalgisch wie viele Disney-Filme, hält Ideale aus Zeiten hoch, als Spielzeug noch von Kind zu Kind weitergereicht wurde und Jahrzehnte überdauerte. Tablets oder Smartphones bekommt man hier nicht zu sehen, vor Ramsch berstende Kinderschränke auch nicht. Dafür Puppen, die so gruselig sind, dass sogar Erwachsenen mulmig werden könnte: In einem Antiquitätengeschäft führt die adrette Gabby Gabby mithilfe einer Armee heimtückischer hölzerner Bauchrednerpuppen ein eisernes Regime. Sie ist ein tragischer Bösewicht. Von Mädchen wurde sie immer verschmäht – weil sie mit einem kaputten Tonband aus der Fabrik kam, wie sie meint. Jetzt will sie Woody, der ebenfalls einen Lautsprecher im Rücken hat, ein Ersatzteil entreißen. Ob sie dadurch glücklich wird?

Woody erkundet indessen neue, selbstbestimmte Lebensformen: Seine Freundin, die kesse Schäferin Bo Peep, eine Porzellanfigur, wurde einst ausgemustert und in einer Schachtel weggesandt. Jetzt trifft er sie wieder, als unabhängige Vagabundin, die in einem als Stinktier getarnten Gefährt auf Spielplätzen herumdüst und sich ihren bei einem Kampf abgebrochenen Arm mit Tixo selbst anklebt. Wer braucht ein Kinderzimmer, wenn er all das haben kann, schwärmt sie beim Ausblick von der Karussellspitze auf einen glitzernden Vergnügungspark.

Visuell spielt „Toy Story 4“ alle Stückeln – und führt vor, wie sich die Animationstechnik weiterentwickelt hat. Hervor stechen die Szenen im schummrigen Antiquitätengeschäft: Da schleichen die Figuren durch Spinnweben und über staubige Kabel. Forky sieht neben den vielen perfekt texturierten Figuren richtig fragil und billig aus – er ist ja auch im Grunde eine Plastikgabel. Was sich Disneys Merchandising-Abteilung wohl dazu einfallen lassen wird?

TOY STORY

Erfolgsgeschichte. Der erste komplett computeranimierte Film, „Toy Story“ (1995), erzählte von den Ängsten, Hoffnungen und Beziehungen von Spielsachen. Die Koproduktion mit Disney wurde für das Studio Pixar, das damals Steve Jobs gehörte und finanziell strauchelte, zum durchschlagenden Erfolg. 1999 folgte ein zweiter Teil, wieder von John Lasseter inszeniert, 2010 – Pixar war inzwischen von Disney übernommen worden – ein dritter. Der vierte Teil erscheint bei uns unter dem Titel „A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2019)

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