„Flatland“: Thelma & Louise in Südafrikas Steppe

Die Hochzeit wird für Braut Natalie (Nicole Fortuin) zum Albtraum. Danach flüchtet sie mit einer Freundin Hals über Kopf durch die Halbwüste Karoo.
Die Hochzeit wird für Braut Natalie (Nicole Fortuin) zum Albtraum. Danach flüchtet sie mit einer Freundin Hals über Kopf durch die Halbwüste Karoo.(c) Stadtkino
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Das südafrikanische Hinterland gerät im Genre-Mix „Flatland“ zum Freiheits(t)raum für eine Braut wider Willen und ihre freche Jugendfreundin. Ein poppiges Emanzipationsmärchen mit sozialkritischem Unterbau.

Der Blumenstrauß fliegt gen Himmel, die Trauung ist vollzogen, doch Freudenstimmung bleibt aus. Von der Hochzeitsgesellschaft bedrängt, flieht die Braut in den Stall, schmiegt sich an eine Stute und flüstert dem Tier ihre Sorgen ins Ohr. Verdruckst versucht ihr Ehemann, sie umzustimmen: „Ist dir das Pferd etwa lieber als ich?“ Ist es, denkt sie. Später, im trauten Heim, geht alles ganz schnell. Ein paar ungeschickte Zärtlichkeiten, dann zwingt er sich ihr auf. Sie krallt seine Dienstwaffe, flüchtet zurück ins Gehege. Ein Pastor versucht es mit Zuckerbrot: „Gott hat dich hierhergeführt, füge dich!“ Sie ist nicht willig. Also packt er die Peitsche aus. Ein Schuss fällt: Kein Zurück.

Kaum hat „Flatland“, der dritte Spielfilm der südafrikanischen Regisseurin Jenna Cato Bass, seinen Vorspann hinter sich, sträubt er sich schon gegen das soziale Zaumzeug seines Herkunftslandes. Die Zügel reißen schnell, und Hauptfigur Natalie (Nicole Fortuin) reitet mit ihrer Jugendfreundin Poppie (Izel Bezuidenhout) sehenden Auges und flatternden Haares in den Sonnenuntergang: Auf und davon, wie Thelma & Louise. Poppie – jung, unverschämt, hochschwanger  – scheint nur darauf gewartet zu haben. „Endlich passiert was“, lacht die Wohlstandsverwahrloste, als Natalie ihr aufgebracht in die Arme fällt. Klasse und Hautfarbe trennen sie. Doch das spielt erst mal keine Rolle.

Western-Motive, neu gedeutet

Ein Märchen? Ein bisschen. „Flatland“ (der heuer die Panorama-Sektion der Berlinale eröffnete und hierzulande bereits in einigen Sommerkinos lief) fantasiert sich in einen Western hinein, deutet die Mythen und Motive des Genres neu. Wie Quentin Tarantinos „Django Unchained“ oder Kelly Reichardts „Meek's Cutoff“ rückt er Menschen in den Mittelpunkt, denen Revolverheldenstatus lange Zeit verwehrt blieb.

Die Karoo, Südafrikas staubige Steppe, gerät hier zum Freiheits(t)raum für Ausgegrenzte und Entrechtete. Nicht nur Western werden angezapft und gegen den Strich gebürstet: Den Protagonistinnen auf der Spur ist die toughe, gleichsam einem TV-Krimi entstiegene, sich in ihrer molligen Erscheinung dennoch jedem Kommissar-Klischee widersetzende Ermittlerin Beauty Cuba (Faith Baloyi). Deren Beziehung zu ihrem Ex (der wegen Mordes einsitzt und aus Perspektivlosigkeit trotz Bewährung im Knast bleiben will), gemahnt wiederum an die populären Seifenopern, die Beauty mit Vorliebe bringt. So ein Schund, meint jemand zu ihr: Dumme Menschen, die Dummheiten machen. Wie im echten Leben, lautet ihre lakonische Replik.

Südafrika, deutet „Flatland“ an, hat Fiktionen bitter nötig. Um der Wirklichkeit zu entfliehen – aber auch, um sich eine andere, bessere vorstellen zu können. Zwar beginnt der Film fahrig und skizzenhaft, mit stereotyper Charakterzeichnung und platter Emanzipationsromantik. Doch nach und nach offenbart er ein differenzierteres Sittengemälde. Eines Landes, das auch ohne Apartheid tief gespalten ist: Von Sexismus, Rassismus, Ungleichheit. Oft greift das Drehbuch zur Karikatur, belässt es aber nie dabei. Poppies Kindsvater – ein Frauenheld und Schwerenöter, der sich als Lkw-Fahrer verdingt –, zeigt sukzessive sensible Seiten. Freund und Feind sind labile Kategorien, aufgeweicht durch die Unwägbarkeit von Begierden und Impulsen. Selbst die unsympathischsten Figuren, darunter Natalies Polizistengatte, werden nie zum Monster abgestempelt, ihr Fehlverhalten stets in Milieu und Familie verankert oder in größere Zusammenhänge eingebettet.

Die Anomalie des Schneefalls

Erfreulich, dass Filme über widerständige Frauen aktuell Hochkonjunktur haben. Schade nur, dass sich viele davon in plumpen Ermächtigungsfantasien erschöpfen, deren Gleichberechtigungsimpetus im schlimmsten Fall wie eine bloße Marketingmasche anmutet. Von „Flatland“ lässt sich das nicht behaupten. Dabei bleibt er weithin poppig-salopp in seiner Ästhetik, flirrt wie aus der Hüfte geschossen und nah an den Darstellerkörpern durchs oft unwirtliche südafrikanische Hinterland. Immer wieder hebeln verträumte Augenblicke und schwelgerische Musikmomente die Erzählung aus, schaffen Oasen des Gefühls: Ein Tanz in einer Bar, die Anomalie unerwarteten Schneefalls (dass Winter herrscht, erschließt sich sonst nur aus dem Dialog).

Blicke schicken die Kamera auf Abdrift, schlagen Brücken zwischen den Figuren, wo es keine geben dürfte, verbinden entlegene Orte und Lebenswelten im Zuge einer unmerklichen, unmöglichen Bewegung. Warum auch nicht? Regisseurin Bass will Glauben schenken: An die Menschlichkeit des Anderen, den Ausbruch aus dem Gewohnten. Wie im von ihr mitgeschriebenen Festivalhit „Rafiki“ (2018) über lesbische Liebe im konservativen Kenia. Oder im „Flatland“-Vorgänger „High Fantasy“, der junge Südafrikanerinnen und Südafrikaner verschiedener Herkunft per zauberhaftem Körpertausch zum Perspektivenwechsel zwingt.

Ein Happy End ist aus Sicht der 33-Jährigen gar nicht nötig. Hauptsache, man kann weiterreiten. Ob mit oder ohne Sonnenuntergang . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2019)

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