„Gut gegen Nordwind“: Liebesmails soll man nicht laut vorlesen

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Die deutsche Verfilmung von „Gut gegen Nordwind“ lässt von der Ambivalenz der Vorlage wenig übrig.

Haben Sie heute schon ein E-Mail verfasst, das Potenzial hätte, Sie in eine Romanze zu stürzen? Nein? Sicher? Sie wissen schon: Ein kleiner Vertippser, und aus ein paar form- und schmucklosen Zeilen kann der Beginn einer großen Liebe werden. Diese Fantasie bedient Daniel Glattauers 2006 erschienener Bestseller „Gut gegen Nordwind“: Aus einer Magazinabo-Kündigung an die falsche Adresse ergibt sich ein intimer, neckischer Flirt.

Das Besondere an dieser Romanze: Sie floriert in einer Parallelwelt, in der die Sehnsucht nicht durch echte Begegnungen gebrochen wird und jedes geschriebene Wort vieldeutig bleiben kann. Als Bühnenadaption hat der Stoff gut funktioniert, er wurde schon in den Wiener Kammerspielen und im Grazer Schauspielhaus aufgeführt, wo die Darsteller, in rosa und blaue Pyjamas gekleidet, zugleich Nähe und Distanz spürbar machten: Diese Leute sind zusammen – auch wenn sie gar nicht zusammen sind.

Das Handy kommt mit ins Bett

In der Verfilmung, die erstaunlich lang auf sich warten ließ, geht das nicht auf: Regisseurin Vanessa Jopp begräbt in der deutschen Produktion alle Ambivalenzen, die der ursprüngliche E-Mail-Dialog anbietet – und weidet dafür die Geschwätzigkeit, die der Vorlage zu Recht auch vorgeworfen wurde, voll aus. Alexander Fehling spielt Leo, der in einer On-off-Beziehung feststeckt und eine Schwester (Ella Rumpf) hat, die ihn gern in spontane Polsterschlachten verwickelt. Emmi bekommen wir erst spät zu Gesicht: Nora Tschirner als Vorstadtfrau, mit schlecht sitzendem BH und einem Trampolin im Garten, das die Stiefkinder kaum noch benutzen. Der E-Mail-Verkehr mit Leo ist ihr eine willkommene Abwechslung zur eingeschlafenen Ehe. Das Handy nimmt sie jetzt mit ins Bett.

Die Dialoge sprechen die beiden aus dem Off (oder sichtbar via Sprachaufzeichnung ins Handy hinein), während sie Zucchini schneiden oder aus dem Fenster schauen. Ein Knistern ist dabei kaum spürbar, trotz aller Regieversuche, die örtlich Getrennten durch lebhafte Halluzinationen zumindest atmosphärisch zusammenzubringen. Dafür bleiben in der Deutung der Mails keine Zweifel offen. „Emmi schreiben ist Emmi küssen“, haucht Leo wie ein verliebtes Raubtier, anderswo spricht Emmi ein trockenes, nicht wirklich böse gemeintes, aber doch Verärgerung zum Ausdruck bringendes „Arschloch“. Alles so klar – dabei ist es doch der Reiz der Uneindeutigkeit, der dem Strudel selbstreferenzieller Säuseleien, in den sich die beiden Sprachverliebten ziehen lassen, überhaupt seinen Sinn gibt! Wenn diese Spannung verschwindet, bleibt vor allem Geschwafel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2019)

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