Clint Eastwood: Ein Mann geht seinen Weg

Clint Eastwood Mann geht
Clint Eastwood Mann geht(c) EPA (ARMANDO ARORIZO)
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Am Montag feiert Clint Eastwood seinen 80. Geburtstag: Als Schauspieler wurde er zur Ikone, als Regisseur hat er seinen eigenen Mythos weitergeschrieben. Was macht ihn zum generationenübergreifenden Star?

Wie schaffen Sie das, Herr Eastwood, so agil, so jung und so lebendig zu bleiben?“, wird Clint Eastwood einmal gefragt. Eastwood kontert: „Don't let the old man in.“ Lass den alten Mann nicht herein.

Das Drehbuch zu Eastwoods neuem Film, der Ende 2010 anlaufen soll, entstand in Österreich. Autor Peter Morgan schrieb es auf der Turracher Höhe: „Eine melancholische Geschichte, eine traurige Geschichte darüber, wie wenig wir vom Tod und vom Leben nach dem Tod verstehen.“ Zwei, drei Jahre blieb das Buch in der Schublade, bis ein Freund, Taufpate von Morgans Tochter, bei einem Skiunfall starb. „Als ich bei seiner Beerdigung war, dachte ich, was mache ich mit diesem Stück? Und da habe ich es rausgenommen.“

Rückblende: 1964 stand Clint Eastwood mit einer späteren Ärztin in einem neu gebauten Westerndorf nahe Madrid vor der Kamera. „Für eine Handvoll Dollar“ hieß die italienisch-spanisch-deutsche Koproduktion. Die Schauspielerin und Ärztin Marianne Koch wollte die Hauptrolle als Mexikanerin Marisol erst ablehnen: „Nach der Lektüre des Drehbuchs dachte ich: Ja, du lieber Gott, das sind doch alles nur Schurken, kein einziger angenehmer Held weit und breit, auch die Hauptfigur nicht.“

Thomas Oberender, Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele, erinnert sich, welcher Film seinen Blick auf Eastwood verändert hat – „Erbarmungslos“. „Diese Geschichte eines alternden Revolverhelden, der versucht in Würde zu leben und von seiner Vergangenheit und der Schäbig- und Niedrigkeit der Gegenwart eingeholt wird, hat mich als ein politisches Statement von fast antiker Dimension erschüttert, aber auch durch die schauspielerische Leistung von Eastwood, diese uneitle und trotzdem von enormer Kraft und auratischer Stärke geprägte Figur eines Mannes, der seinen Weg bis ans Ende geht.“


Idol Parker. Geboren wird Clint Eastwood am 31. Mai 1930 in der Bay-Area von San Francisco, acht Monate nach dem Börsenkrach. Sein Vater ist Tankwart am Pacific Coast Highway und am Sunset Boulevard. Die Musik von Errol Garner und Barney Kessel prägt Eastwoods Jugend. Rhythm & Blues, Blues und Bebop. Eines seiner größten Idole, Charlie Parker, hört Eastwood 1946 bei einem Konzert in Oakland. Über Parker wird Eastwood vier Dekaden später den Film „Bird“ drehen. Als Neunjähriger beginnt er auf dem Klavier der Großmutter zu spielen, dem einzigen Möbel, das die Familie überall hin mitnimmt. Die Eastwoods ziehen ständig um, für längerfristige Beziehungen bleibt da keine Zeit. Eastwoods Vater, seine Mutter, seine Schwester und er sind schon deshalb eng miteinander verbunden. Sein Vater gibt ihm den Rat: „Du musst das Leben in dich hineinsaugen und sehen, wie du dich selbst weiterbringst.“

In der Schule will Eastwood als einziger seiner Klasse nicht Schauspieler werden. Er ist scheu und introvertiert, die Vorstellung, vor vielen Leuten aufzutreten, ein Albtraum. 1951 wird er zum Militär einberufen. Er ist Soldatenschwimmlehrer am schönst gelegenen Armeestützpunkt der USA: Fort Ord, in der Bucht von Monterey. Sein athletischer Körper fällt auf. Ein Kollege schlägt ihm vor, zum Film zu gehen. 1953 heiratet Eastwood Maggie Johnson, Studentin in Berkeley. Die zwei treffen sich bei einem Blind Date.

„Wenn man ihn in seinen Filmen Revue passieren lässt, ist er der Mann ohne Beziehung, der vollkommen durch ein eigenes moralisches Gebot in der Welt wirkt“, sagt Oberender, „Eastwood ist jemand, der zur Tat gezwungen wird, nicht im Sinne einer billigen Ausrede. Im Grunde ist um Eastwood immer eine tiefe Melancholie. Die Welt, die Verhältnisse und die Zwänge lassen ihm keine andere Wahl, als die Auseinandersetzung zu führen, die er führen muss.“


Start um 78 Dollar pro Woche. 1955 beginnt Eastwood als Schauspieler bei den Universal Studios. 78 Dollar bekommt er pro Woche bar auf die Hand. Dafür besucht er den angebotenen Schauspiel, Tanz- und Reitunterricht.

„Ich glaube, dass bei Eastwood der Machismo eine große Rolle spielt, diese Sorgsamkeit seinem eigenen Körper gegenüber, dieses Trainiertsein, die entschlackte Gestalt, die vital und viril bleibt, sich um sich selbst sorgt in der Verantwortung demgegenüber, was man repräsentieren möchte, nämlich eine Kraft zu sein, mit der man rechnen muss, die eine gewisse Opferbereitschaft verkörpert, indem sie diesen Körper, diese Gestalt zum Einsatz bringt“, analysiert Oberender.

Eastwood debütiert 25-jährig mit einer Minirolle im Science-Fiction-B-Movie „DieRache des Ungeheuers“. Im Horrorfilm „Tarantula“ ist er einer der Kampfpiloten, die eine Riesenspinne mit Napalm in die ewigen Jagdgründe befördern. Den eigentlichen Durchbruch bringt die Westernserie „Cowboys – 1000 Meilen Staub“ (im Original: „Rawhide“). Zwischen 1958 und 1965 spielt Eastwood sieben Jahre lang die Rolle des Rowdy Yates. Sie bringt ihm auch das Europa-Engagement in Leones „Für eine Handvoll Dollar“.

„Eines Tages war es so weit,“ erinnert sich Marianne Koch, „unser Hauptdarsteller Clint Eastwood stand da, mit seinem Poncho und seinem flachen, schwarzen Hut und einem Zigarillo im Mundwinkel. Er hat mit dem Regisseur zuerst ein bisschen gesprochen, dann lief die Kamera, und Sergio rief: ,Azzione!‘ – und wir haben gedacht, was ist eigentlich los, der macht ja nichts, der spielt ja gar nicht, was ist denn das für ein Schauspieler? Eastwood stand mehr oder weniger regungslos herum.“ Zwei Tage später sitzt die Crew des Films in einem winzigen Kino, wo Leone die Drehmuster vorführen lässt. „Eastwood stand also da mit seinem Poncho und seinem Hut und plötzlich kam etwas von der Leinwand runter, was wir nicht erklären konnten, was sowieso niemand erklären kann, nämlich eine Art von Faszination und eine Art von Leinwandpräsenz, wie ich das ganz selten erlebt habe.“ Schon bei den Dreharbeiten in Spanien deutet Eastwood an, dass es sein Ziel ist, Regisseur zu werden.

Die Zusammenarbeit mit Leone endet nach den Fortsetzungen „Für ein paar Dollar mehr“ und „Zwei glorreiche Halunken“. Eastwood wird für die Europa-Koproduktionen zu teuer. In den USA heuert ihn Regisseur Don Siegel an, sie drehen „Ein Fressen für die Geier“, „Coogans großer Bluff“, „Betrogen“, „Dirty Harry“ und „Flucht aus Alcatraz“. Schon 1967 gründet Eastwood eine eigene Produktionsfirma: Malpaso Film. Ökonomisches Drehen lernt er von Siegel: Der hat den Film schon im Kopf und nimmt meist gleich den ersten Take. „Make my day“, ist Eastwoods Sager als „Dirty“ Harry Calahan. Diese Figur entsteht vor dem Hintergrund von Vietnamkrieg und Watergate-Affäre. Der brutale Polizist, der sich an keine Gesetze hält, ist eine Reaktion auf Lynchjustizfantasien vieler US-Amerikaner.

„Es gibt schon auch eine Verbindung zwischen „Dirty Harry“ und all den späteren Filmen, das ist nichts, was er zurücknimmt“, meint Oberender: „Der Begriff des Heroischen ist einer, der sich im Laufe der Zeit bei ihm verändert. Trotzdem sind es Figuren, die quasi von außen auf die Gesellschaft blicken und die gleichzeitig gesellschaftslose Figuren sind, die ihr eigenes Gesetz setzen und durchsetzen – eine einsame Rebellion führen. Das rückt ihn sehr in die Nähe – und das war ja im linken Feuilleton lange der Vorbehalt gegen eine Figur wie Eastwood – des konservativen Denkens, der Gestrigkeit, der Gewaltverherrlichung. Nichtsdestotrotz sind die größten Fans dieser Figur immer noch Frauen. Das hat sicher mit dem in ihm überlebenden Männerbild zu tun, nachdem man sich auch als Mann sehnt.“


Ein Fingerzeig genügt. „Es ist wirklich seltsam: Er kommt, macht eine Aufnahme und es ist vorbei. Er sagt nicht einmal ,Bitte!‘ und ,Stopp!‘ und ,Motor!‘ und ,Schnitt!‘“ So beschreibt Darstellerin Marthe Keller Eastwoods Arbeitsweise. Im neuen Film spielt sie eine Elisabeth Kübler-Ross nachempfundene Frau: „Beim Drehen ist alles ruhig, es wird nicht geschrien, Clint sagt nicht ,Action‘, er dreht bloß seinen Finger. Und der Kameramann schaut immer auf Clints Finger und fängt an zu drehen.“

Wenn Eastwood zu drehen beginnt, ist alles vorbereitet. Die Situation muss möglichst authentisch wirken. Beim neuen Film arbeitete das Team in einem als gefährlich geltenden Londoner Stadtteil, erzählt Morgan: „Dass ein 80-Jähriger da dreht, das ist sicher nicht leicht. Er hätte das im Studio einfacher drehen können, aber das würde man sofort spüren, dass es nicht echt ist.“ Während Morgan am Set von „The Queen“ mit Regisseur Stephen Frears an allen Szenen weiterfeilte, ändert Eastwood keine Zeile seines Drehbuchs. „Clint dreht meinen ersten Entwurf. Ich fühle mich, als würde ich nackt vor dem Publikum stehen“, scherzt Morgan.

Im Lauf der Jahre sind Mitgefühl und Wärme in Eastwoods Filmen immer mehr in den Fokus gerückt. Von „Der Texaner“ von 1976 bis zu „Gran Torino“ von 2008 zieht sich das Motiv der Entstehung von Ersatzfamilien durch. Immer wieder geht es um Verlust in der Familie, oft beginnen die Filme mit Beerdigungen. Die Figuren finden sich selbst neu, indem sie andere Familien um sich entstehen lassen. Eastwood betätigt sich inzwischen auch politisch. Am 9. April 1986 kandidiert er in seiner Heimatgemeinde Carmel-by-the-Sea als republikanischer Bürgermeister und wird gewählt. Eastwood glaubt, er könne Politik und Filme getrennt halten. Plötzlich aber interessiert sich die Öffentlichkeit vor allem für die Bürgermeistertätigkeit. Als er gewählt wird, dreht Eastwood einen Film, der viele verstört. In „Heartbreak Ridge“ spielt er einen konservativen US-Sergeant und Kriegsveteranen. Die Kritiker verstehen die Satire im Film nicht, im Gegensatz zu den Marines. Die ziehen ihre angekündigte Unterstützung für den Film nach der Vorpremiere zurück.


Humaner. Die Achtzigerjahre sind kein sehr erfolgreiches Jahrzehnt für Eastwood. Mit dem Film „Erbarmungslos“ ändert sich das 1992 schlagartig: Eastwood gibt den Schweinefarmer Will Munny, der den Beruf als Kopfgeldjäger hinter sich lassen will, aber von der Vergangenheit eingeholt wird. Er hat den Stoff so lange mit sich herumgetragen, bis er alt genug für die Rolle ist und die Lebenserfahrung hat, um glaubwürdig als Ex-Revolverheld zu agieren. „Eastwood zeigt sich immer humaner, im Sinne einer Liebesfähigkeit, die um so berührender ist, je unnahbarer, entschlackter und karger diese Figur im Laufe der Zeit geworden ist“, befindet Oberender. In „Erbarmungslos“ hält Eastwoods Will Munny seiner verstorbenen Frau die Treue. Als sich ihm eine der zu rächenden Prostituierten anbietet, lehnt er ab.

1993 folgt „Perfect World“: Ein entflohener Schwerverbrecher nimmt ein Kind als Geisel auf die Flucht mit. Verfolgt werden sie von Eastwood, der auf Wunsch von Star Kevin Costner einen Texas Ranger spielt. Zwischen dem Kind und dem Verbrecher entsteht eine Freundschaft, sie entdecken Gemeinsamkeiten. Beide leiden an der scheinbar perfekten Welt, die sie umgibt. 1995 dreht Eastwood die Liebesgeschichte „Die Brücken am Fluss“: Er spielt einen Fotografen des „National Geographic Magazine“ und soll die berühmten Brücken von Madison County ablichten. Meryl Streep ist eine Farmerin, vom Ehemann aus Italien in die Staaten mitgenommen, wo sie sich das Leben anders vorstellt. „Doe-Eyes“ („Rehaugen“), das romantische Thema, komponiert Clint Eastwood selbst, wie viele Filmmusiken seiner Spätphase. Wenige Monate nach dem Film heiratete er die Journalistin und Moderatorin Dina Ruiz, die befindet, dass ihm von allen Rollen, die Eastwood je verkörperte, der freiheitsliebende Fotograf persönlich am ähnlichsten sei.

In „Ein wahres Verbrechen“ gibt Eastwood einen vom Alkohol losgekommenen Journalisten und Womanizer, in „Bloodwork“ einen pensionierten Polizeidetektiv nach einer Herztransplantation. Oberender: „Man fürchtet sich schon zu Lebzeiten vor dem Anblick, den man selber als Greis vor dem Spiegel geben wird. Und trotzdem ist es eine Realität, der wir nicht ausweichen können und die Teil der Schöpfung und dessen, was Dasein heißt, ist. Es gibt Schauspieler, die daraus fast ein eitles Gehabe entwickeln, sich in ihrer Fettleibigkeit und in ihrer Hinfälligkeit zu produzieren. Das ist bei Eastwood nie der Fall.“ Ihm geht es um das Tun, im Bewusstsein, dass er das Große und Ganze nicht ändern kann, wohl aber das Kleine in seinem Verantwortungsbereich: die Beziehung zu einem Kind, zu einer Frau oder zu einem Rivalen.

2004 trainiert Eastwood in „Million Dollar Baby“ eine Boxerin, die von Hillary Swank gespielt wird. Mit den Worten: „I'm pretty tough“ wirbt sie in einer Szene für sich. Eastwood kontert: „Tough is not enough.“ Im Lauf des Filmes wandelt sich die Thematik vom Boxkampf zur Sterbehilfe. 2006 erzählt Eastwood in zwei Filmen von Kampfhandlungen zwischen japanischer und US-Armee im Zweiten Weltkrieg aus der jeweiligen Perspektive: „Flags of Our Fathers“ und „Letters from Iwo Jima“. Auch 2008 erscheinen fast zeitgleich zwei Eastwood-Filme: „Der fremde Sohn“ und „Gran Torino“. Ersterer schildert einen wahren Kriminalfall aus den Dreißigerjahren rund um Kindesentführung und -mord. Besonders eine Szene bleibt im Gedächtnis, vielleicht auch, weil sie viel über den gereiften Clint Eastwood aussagt. Der Regisseur, früher ein Verfechter der Todesstrafe, zeigt die Hinrichtung des vermeintlichen Mörders durch den Strang explizit im Detail und macht damit die Grausamkeit dieses Rituals deutlich.


Der Misanthrop wird Menschenfreund. „Gran Torino“ gilt vielen als Eastwoods Opus summum. Er spielt Walt Kowalski, der im Film vom verbitterten Misanthropen zum Menschenfreund wird. Am Ende opfert er sich für die Gemeinschaft. „Eastwood ist also ein Beispielgeber, der in einem fast mythischen Rahmen immer wieder Figuren findet, die die ganz großen Fragen stellen“, sagt Eastwood-Fan Oberender: „Es geht um alles. Es geht um den Einsatz des Lebens für etwas, was wir als Ethos für verbindlich halten. Die Art, in der sich das durchsetzt, ist zum Teil subtiler, zum Teil sentimentaler geworden, in den Filmen von Eastwood, aber letztendlich sind es große moralische Filme.“

Zuletzt lief Eastwoods „Invictus“ im Kino: Südafrikas Präsident Nelson Mandela schreitet am Höhepunkt im Dress der Rugby-Nationalmannschaft – Symbol des alten Apartheid-Systems – ins zum Bersten gefüllte Sportstadion, verändert so alle Codes. Der Sport wird zur Chiffre für die Politik. Eastwoods neuer Film hat den Arbeitstitel „Hereafter“: drei unterschiedliche Geschichten, verbunden vom Thema Todeserfahrung. Im Mittelpunkt stehen ein US-Arbeiter, eine französische Journalistin und ein Londoner Schuljunge. Autor Peter Morgan: „Eastwood ist eigentlich der letzte Regisseur, der solche Filme drehen kann. Den erwachsenen Film, den Film, den ich besonders liebe, das 30-, 40-Millionen-Dollar-Budget-Drama, gibt es eigentlich gar nicht mehr. Der einzige Mensch, der das noch machen kann, ist Clint.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2010)

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