Athina Rachel Tsangari: "Nur nicht so ernst nehmen!"

Athina Rachel Tsangari nicht
Athina Rachel Tsangari nicht(c) Stadtkino
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Athina Rachel Tsangaris tolle Tragikomödie "Attenberg" läuft ab 21.1. im Stadtkino Wien. Sie erzählt vom Scheitern in Griechenland, von Subversion und Schauspielerqual.

Ihr Film „Attenberg“ zeigt einen sehr ungewöhnlichen Sinn für Humor. Sie bewundern Luis Buñuel, das erklärt einiges ...

Athina Rachel Tsangari: Ja, er hat diesen Hang zur Ironie, aber gleichzeitig einen ausgeprägten romantischen Zug. Diese Kombination und der scharfe, sarkastische Witz, das ist explosiv: Man sollte sich als Filmemacher nicht so ernst nehmen! Und Buñuel war ein Meister der Kunst der Reduktion: nur das Grundlegende bei Charakterisierung, Geschichte, Ethik! Doch ist es in seinen Filmen so gut wie unmöglich zu sagen, was ethisch und was unethisch ist.

Auch ihre Erzählung ist zweigleisig, eine Art tragikomische Doppelhelix: Ein Mädchen, dessen Vater unheilbar krank ist, macht erste sexuelle Erfahrungen. Dazu gibt es absurden Wortwitz und Musikeinlagen.

Ich liebe auch Melodramen von Douglas Sirk oder Fassbinder, da weine ich wirklich! Aber vielleicht bin ich auch nur von tausenden TV-Wochenenden geprägt: In meiner Jugend lief am Samstagabend typischerweise ein griechisches Melodram im Fernsehen, am Sonntagnachmittag dann eine nationale Komödie. Mich fasziniert einerseits die Subversion der Gefühle, andererseits darf man vor den Emotionen nicht zurückschrecken: ein seltsamer Balanceakt. Manchmal ist es dann sehr schwer, was ich intuitiv will. Den Schauspielern erkläre ich eigentlich überhaupt nichts! Das macht es nicht leichter. Aber ich weigere mich, mit ihnen darüber zu diskutieren, was eine Figur zum Frühstück hatte usw.

Wie arbeiten Sie dann mit den Darstellern?

Ich lasse sie die Szenen wieder und wieder aufsagen, bis sie völlig fertig sind! Dann versuchen sie nicht mehr, Bedeutung einzuschmuggeln, und der Film kann erst mein eigener werden.

Geschieht das bei den Dreharbeiten?

Schon bei den Proben. Dann ist die Szene auch in zwei, drei Anläufen abgedreht. Üblicherweise ist der erste Take der beste! In Griechenland ist der Einfluss des Theaters auf die Schauspieler sehr stark: Es wird übertrieben wie auf der Bühne und im TV. Selbst Laien versuchen das instinktiv. Bei den Proben will ich also entdramatisieren und verhindern, dass eine Szene mit unnötiger Bedeutung aufgeladen wird.

Die Musik ist in „Attenberg“ sehr wichtig, vor allem die Synthie-Kultband Suicide.

Ich konzipiere Szenen musikalisch. Die übliche Soundtrack-Untermalung mag ich nicht, Musik verwende ich diegetisch. Weil meine Hauptfigur eine Außenseiterin ist, sollte sie nichts Modisches hören. Und Suicide haben erreicht, wonach ich wohl mein ganzes Leben streben werde: die Kombination von Rock'n'Roll mit seinem Gegenteil. Ihre Musik ist dramatisch, aber wenn man ein Lied wie „I Surrender“ hört, kommt zum einschneidenden Gefühl auch der Eindruck, dass sich Sänger Alan Vega etwas lustig darüber macht.

Ja, eine spezielle Form von Coolness.

Aber dabei gleichzeitig kalt und warm, grausam und unschuldig.

Sie haben zwei Tänzerinnen in den Hauptrollen. Haben Sie die originellen Choreografien für den Film gemeinsam entwickelt?

Ja, nach den Proben war alles noch ein wenig steif. Der Film ist ja aus verschiedenen Ruhezuständen gebaut. Da haben wir ein wenig herumgeblödelt, Tiergeräusche gemacht, solche Dinge. Dann haben wir uns Monty Pythons „Ministry of Silly Walks“ angesehen.

Immer eine weise Entscheidung!

Immer. Wir versuchten einen Sketch möglichst genau zu kopieren, die Mädchen waren wirklich gut. Also haben wir alle möglichen Variationen probiert, das lag ihnen sehr. Mir gefällt es, wenn sich Charaktere über sich selbst lustig machen dürfen und sich dafür nicht entschuldigen oder eine Erklärung liefern müssen. Einfach darum! Viele Leute haben ja ganz indigniert auf diese Tanzeinlagen reagiert. Dabei habe ich im Schnitt nur diejenigen behalten, die als Kommentar zur Handlung funktionierten, weil es sonst keine Hintergrundgeschichte oder Erklärung gibt – wie der Chor in den Klassikern.

Fürwahr ein griechischer Chor. Sie sind ja erst nach Griechenland zurückgekehrt, nachdem Sie lange in den USA gelebt hatten.

Ich spreche nicht gern von Rückkehr. Ich fühle mich als Fremde, egal wo ich bin, so fühle ich mich sicherer. In die USA kam ich durch ein Stipendium, nach dessen Auslaufen musste ich wieder heim. Die Olympischen Spiele 2002 standen vor der Tür, der Zuständige für Eröffnungs- und Abschlusszeremonie dachte an mich. An der Universität von Texas hatte ich „The Slow Business of Going“ gemacht, eine Art Science-Fiction-Roadmovie, in dem ich verschiedene Medien kombinierte, aber es hatte eine handgemachte Qualität. Also wurde mir zugetraut, dass ich die olympischen Videoprojektionen hinbekomme. Zehn Jahre vorher war ich aus dem Land weggelaufen, jetzt sollte ich als Teil einer Künstlergruppe das Bild eines neuen Griechenlands schaffen – und hatte keine Ahnung, wie sich das Land geändert hatte!

„Attenberg“ hat einen sehr ungewöhnlichen Schauplatz: eine alte Fabrikstadt.

Sie wurde in den 1960ern gebaut, eine französische Firma hatte Konstantinos Apostolos Doxiadis engagiert, einen visionären Stadtplaner in der Le-Corbusier-Tradition. Vor der Militärdiktatur glaubte man, dass Griechenland ein Teil Europas wird, sich multikulturell entwickelt. Mein Vater arbeitete einige Jahre in der Stadt, ich wuchs dort zweisprachig auf und war sehr beeindruckt: ein utopisches Experiment, das nun verwahrlost und zerfällt. Ich kann mir vorstellen, was mein Vater sagen würde, oder jeder Vater, der in den 1960ern an das neue Griechenland glaubte und sich nun betrogen fühlt. Ich lehne eigentlich ab, heutige Geschehnisse direkt zu kommentieren: Aber das Gefühl von Scheitern und Betrogenheit in Griechenland ist derzeit sehr stark.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2011)

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