Indianer gegen Kapital: Western im Ostblock

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"Red Westerns": Das Filmfestival Rotterdam zeigt, wie das uramerikanische Genre in den kommunistischen Staaten variiert wurde. Von edlen Indianern, bösen Cowboys und ideologischen Verrenkungen. Im April in Linz.

Die Söhne der großen Bärin reiten wieder. In der DDR träumte man von edlen Indianern, die aufrechten Widerstand gegen weiße (Kapitalisten-)Schurken leisten. Indessen zogen sowjetische Bürgerkriegshelden erneut in den Kampf, inspiriert von den US-Cowboys in Die glorreichen Sieben.

Mit der Retrospektive „Red Westerns“ ruft das Filmfestival Rotterdam derzeit eine der faszinierendsten Kinoströmungen des Ostblocks in Erinnerung: den Versuch, das populäre, aber politisch unliebsame, weil uramerikanische Western-Genre aus kommunistischer Perspektive neu zu deuten. Es verblüffen dabei nicht nur die ideologischen Verschiebungen, die öfters zu Verrenkungen werden mussten. Weil sogar der bloße Begriff „Western“ beim Zensor verpönt war, wurden etwa die bulgarischen Variationen aufs Thema unter dem Genrebegriff „Heroische Abenteuer“ vertrieben.

„Mr.West im Land der Bolschewiki“

Vielmehr ist auch großes populäres Kino (wieder) zu entdecken, dessen spektakuläre Action und staubige Landschaftspanoramen nur auf der Leinwand angemessen zu würdigen sind: im April auch in Linz, wo beim Filmfestival „Crossing Europe“ eine Auswahl der Rotterdam-Selektion vorgestellt wird, darunter einige der überragenden Publikumserfolge des Ostens.

Als Begründer des sowjetischen Westerns wird dabei Kinopionier Lew Kuleschow gefeiert, wie Eisenstein eine der führenden Figuren der Montagetheorie im postrevolutionären Sturm und Drang des russischen Stummfilms – und wie dieser ein glühender Verehrer der Western aus den USA. Der bahnbrechende „Kuleschow-Effekt“ steht in jedem Filmlehrbuch: Dasselbe Bild eines ausdruckslosen Gesichts wird vom Zuseher unterschiedlich interpretiert, je nachdem welches Bild ihm im Schnitt gegenübergestellt wird. Ein Teller Suppe lässt das Antlitz hungrig wirken, in Verbindung mit anderen Motiven scheint es traurig oder zufrieden. Die „roten Western“ liefern ihren eigenen ideologischen Kuleschow-Effekt, wenn typische Genre-Motive in gegensätzlichem Kontext auftauchen – beginnend mit Kuleschows Komödie Die seltsamen Abenteuer des Mr. West im Land der Bolschewiki (1924): Da reist der naive amerikanische Geschäftsmann Mister West in die Sowjetunion und wird von einer Gruppe Gauner übertölpelt, die seine Ängste vor dem Bolschewismus ausnutzen, um ihm die Dollars aus der Tasche zu ziehen. Doch der treue Leibwächter von Mr. West – ein Cowboy, gespielt vom zukünftigen Regisseur Boris Barnet – kann das Blatt wenden, nachdem er die sowjetischen Behörden kontaktiert: Die retten den vorurteilsgeplagten Amerikaner und demonstrieren ihm, dass er in einer fortschrittlichen und aufgeschlossenen Nation angekommen ist.

Ein nicht nur politisch verwickeltes Wechselspiel von West und Ost zieht sich durch die Geschichte des „Red Western“: Als Nächstes adaptierte Kuleschow ein Yukon-Abenteuer von Jack London. Sein minimalistisches, formal brillantes Action-Drama Nach dem Gesetz (1926) sorgte allerdings mangels kommunistischen Inhalts prompt für ideologische Debatten.

Bürgerkriegshelden statt Cowboys

In Geschichten über revolutionäre Rotarmisten fand man schließlich ein geeignetes Vehikel für die Übertragung des Western in den Osten: Der Prototyp ist Mikhail Romms Spannungsstück Die Dreizehn (1936), in dem ein Trupp Soldaten den aussichtslosen Kampf gegen die Übermacht antibolschewistischer Aufständler wagt. Als Vorlage diente John Fords Hollywood-Kriegsfilm Die letzte Patrouille (1934), den freilich weder Regisseur noch Drehbuchautor kannten: Die Handlung wurde ihnen vom Leiter der sowjetischen Filmabteilung erzählt. Das heikle Sujet – der Western wurde als „gefallenes und schädliches Genre“ eingestuft – wurde oft umgangen, indem man die Scharfschützen von Cowboys zu Bürgerkriegshelden oder antifaschistischen Widerstandskämpfern machte, wie im polnischen Film Das Gesetz und die Faust (1964), in dem sich ein KZ-Überlebender einsam gegen Verräter stellt, was entfernt an Gary Coopers verlassenen Sheriff in High Noon erinnert (statt des Saloons gibt es eine Hotelbar mit „Gösser Bier“-Schild).

Mütterchen Russland als Sexbombe

Besonders groß war der Einfluss von Die glorreichen Sieben (1960): Der Western-Klassiker von John Sturges wurde nach seiner Aufführungserlaubnis im Ostblock erst ein Riesenerfolg, doch später als dekadente Unterhaltung kritisiert und zurückgezogen. Stattdessen zimmerte man an nationalen Antworten wie Die geheimnisvollen Rächer (1966) über Revolutionäre im Kampf für die gute Sache. Mit ihren zentralasiatischen Schauplätzen waren Filme wie der Sowjet-Superhit Die weiße Sonne der Wüste (1969) zugleich Studien über das Verhältnis Russlands zu den anderen Völkern der Sowjetunion: Der Held vermag darin den Verlockungen eines fernen Harems dank Erinnerungen an seine Frau zu widerstehen, die ihm vor heimatlichen Graslandschaften als Sexbomben-Version von Mütterchen Russland erscheint.

Die „reinsten“ Ostblock-Western kamen aber aus der DDR. Als Antwort auf den Erfolg der Karl-May-Filme in der BRD wurden dort politisch korrekte Indianergeschichten entworfen, die man in Jugoslawien verfilmte, zweifelsohne zur Zufriedenheit des als Western-Liebhaber bekannten Staatschefs Tito: In Breitwandspektakeln wie Die Söhne der großen Bärin (1966) oder Chingachgook, die große Schlange (1967) (nach James Fenimore Coopers im Osten als „politisch akzeptabel“ eingestuftem Roman „Der Wildtöter“) setzten sich aufrechte Indianer gegen die ruchlosen weißen Eindringlinge zur Wehr. Die filmischen Zutaten des US-Gründungsmythos erstrahlten in diesen Revisionen in einem negativen Licht, um den Ostblock-Zusehern die Vorteile des eigenen Systems zu versichern – und nebenbei fand man im serbischen Athleten Gojko Mitić die Antwort des Ostens auf West-Winnetou Pierre Brice, einen echten „Eastern Western Superstar“.

„Crossing Europe“: 12. bis 17.4. in Linz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2011)

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