Austro-Film: Vaterlose und "Mörderama"

AustroFilm Vaterlose Moerderama
AustroFilm Vaterlose Moerderama(c) EPA (TIM BRAKEMEIER)
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Die Hauptpreise des österreichischen Filmfestivals "Diagonale" gingen an Ivette Löcker und Marie Kreutzer, man zog positive Bilanz. Filme von Außenseitern bestachen. Und Helmut Berger sagte "Mainstream".

Die Hauptpreise des Festivals des österreichischen Films in Graz gingen an Marie Kreutzers Spielfilm Die Vaterlosen und Ivette Löckers Dokumentation Nachtschichten. Kreutzers (am 8. April anlaufendes) Ensemblestück über vier Kommunenkinder, die sich nach dem Tod des Vaters wiedersehen und alten Erinnerungen nachspüren, gewann auch Preise für die beste Spielfilmkamera (Leena Koppa) und die Schauspieler Marion Mitterhammer sowie Johannes Krisch (der neben der exzentrischen Vaterdarstellung bei Kreutzer für seine zwei aktuellen Krückenrollen in Vielleicht in einem anderen Leben und Kottanermittelt: Rien ne va plus geehrt wurde.)

Beide Siegerfilme sind abendfüllende Debüts: In ihrer positiven Festivalbilanz zeigte sich Intendantin Barbara Pichler entsprechend erfreut über „interessante lange Debüts“ und viele Auszeichnungen für weibliche Filmschaffende, wies aber auch auf Probleme hin. Im Fall der herausragenden Regisseurin und Kamerafrau Elfi Mikesch, die den Dokumentar-Kamerapreis für ihr Werner-Schroeter-Porträt Mondo Lux erhielt und mit einem Tribut geehrt wurde (das Wiener Filmcasino zeigt von 14. bis 17. 4. eine Auswahl), sei das Werk „am Verschwinden“, ein Teil nur noch auf Video vorhanden. Ein anderes Problem: Obwohl Pichler souverän auf Verdichtung des Programms setzt, ist die Fülle an Produktionen schwer zu bändigen.

Versenkung und Publikumsbeschimpfung

Darin zu entdecken war neben Löckers siegreichem Porträt von Berliner Nachtgestalten etwa der Kurzfilm Die Falten des Königs von Matthias van Baaren: Zwei Simultandolmetscherinnen übersetzen simultan Thesen zu ihrem Beruf. Eine minimalistische, extrem dichte und vielschichtige Auseinandersetzung mit Sprache und Verstehen. Herausragende Langfilme kamen von drei Außenseitern der Austro-Filmszene. Michael Pilz montierte im meditativen Bildgedicht Rose and Jasmin Aufnahmen von Iran-Reisen: Er verweist auf alte chinesische Maler, die ihr Sujet monate-, ja jahrelang studierten, um damit eins zu werden: Auch Pilz' zu Pianotupfern arrangierte Versenkungsbilder zeigen ein solcherart gewachsenes Einfühlungsvermögen – ob nun Impressionen von Gesichtern und Musik, einem kleinen Verkehrschaos oder der stillen, magisch flirrenden Luftspiegelung neben einer Säule. Konzeptuelle Spiegelungen bot Ludwig Wüsts Tape End, ein formales Experiment zwischen Schauspielexzess und malerischer Reduktion: In einer einstündigen Einstellung ohne Schnitt wird ein Vorsprechen zum Inferno der Eitelkeiten. Das maximale Spiegelkabinett war jedoch Peter Kerns surreale Tour de force Mörderschwestern:Susanne Wuests tödliche Protagonistin setzt zu furiosen Publikumsbeschimpfungen an und fordert zu Interaktion via „Mörderama“ auf.

Wo Diagonale-Debatten zu Österreichs Kino von Digitalisierung bis Filmpolitik entlang eingefahrener Bahnen tobten, brachte Kerns Film das Selbstdarstellungsdilemma hochkomisch auf den Punkt: Wüsts Figur beugt sich mit dem Versprechen „Kunstfilm“ über einen toten Doktor (den großen Helmut Berger!), der erwacht und mit einem virtuos servierten „Mainstream“ kontert. Und bereits vor Filmbeginn widerlegte Kern alle Stimmen, die meinten, bei der Diagonale ändere sich nichts: Jahrelang hatte der Regisseur traditionell aus Ärger über die Berichterstattung vorab die „Kleine Zeitung“ zerrissen. Heuer griff er dafür zum „Standard“.

Die wichtigsten Preisträger

Großer Diagonale-Preis Spielfilm: Marie Kreutzer für „Die Vaterlosen“
Großer Diagonale-Preis Dokumentarfilm:
Ivette Löcker für „Nachtschichten“
Preis Innovatives Kino: Billy Roisz für „Chiles en Nogada“
Schauspielpreise: Johannes Krisch und Marion Mitterhammer („Die Vaterlosen“)
Kurzspielfilm: Umut Dag, „Papa“
Kurzdokumentation: Karl-Heinz Klopf, „They“
Bildgestaltung: Leena Koppe („Die Vaterlosen“), Elfi Mikesch („Mondo Lux“)
Schnitt: Evi Romen („Mein bester Feind“), Wolfgang Widerhofer („Abendland“)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2011)

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