Das Ende einer Ära: Generation Potter

Ende einer aera Generation
Ende einer aera Generation(c) AP (Jaap Buitendijk)
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Mit dem letzten Film aus der "Harry Potter"-Serie endet eine Ära, die eine ganze Generation junger Menschen über Jahre in ihren Bann zog. Eine Generation, die gemeinsam mit Harry Potter erwachsen wurde.

Margarita war elf Jahre alt, als 1998 der erste Band von Harry Potter auf Deutsch erschien. Auch der Romanheld war elf. Er ging zur Schule, so wie sie – nur eben in eine für Zauberlehrlinge. Am liebsten, sagt Margarita, wäre sie auch in eine solche Zauberschule gegangen. Bis nach der Matura hatte sie diesen Wunsch im Hinterkopf. Weil das Universum von Harry Potter an sich schon spannend ist. Aber auch, weil sie im Laufe der Jahre das Gleiche wie der Romanheld durchmachte. Vom Alltag in der Schule über die Pubertät bis zur ersten Liebe, dem ersten Kuss. Nur eben nicht in Hogwarts, sondern im richtigen Leben. Und Margarita ist nur eine von vielen.

Diese „Generation Potter“, die parallel mit Harry, Ron und Hermine erst elf, dann zwölf, später 14 und schließlich 17 wurde, ist aber nicht die einzige, die der schwarzhaarige, grünäugige Zauberlehrling in seinen Bann geschlagen hat. Denn das einzigartige und einmalige Phänomen Harry Potter griff auch auf ihre Eltern über. Joanne K. Rowling schaffte nämlich mit den Potter-Büchern die Umsetzung des idealen Kinderbuchs, wie es schon ihr Vorbild C.S. Lewis („Die Chroniken von Narnia“) formuliert hatte: „Kein Buch ist es wert, von Fünfjährigen gelesen zu werden, wenn es nicht ebenso von Fünfzigjährigen gelesen werden kann.“ Mit Harry Potter ist dieses Kunststück gelungen, er bietet allen Altersgruppen ihre Anknüpfungspunkte.

Finden die Kinder in den Potter-Büchern alle Zutaten von guter Abenteuerlektüre – Spannung, Action, Geheimnis, Liebe, Treue, Verrat –, dürfen ihre Eltern zusätzlich dazu über einen humorigen Verriss der „wirklichen“ Welt kichern: über die Politiker, deren Selbstherrlichkeit nur noch von ihrer Dummheit übertroffen wird. Oder über die Züge ihrer eigenen Lehrer, die sie wahrscheinlich im sadistischen, tollpatschigen oder großherzigen Personal von Hogwarts wiedererkennen. Oder sie amüsieren sich einfach über die blümchenstoffige und heckengeschnittene Geisteshaltung der (englischen) Mittelklasse, von deren Gedankengut die Potter-Bücher positiv wie negativ durchsetzt sind. Rowlings Seitenhiebe für Erwachsene werden zwar nicht mit einer besonders feinen Klinge geführt, doch für die intellektuelle Unterfütterung eines spannenden Reißers tut es auch ein etwas gröberer Klotz. Viele Eltern fieberten daher dem nächsten Potter-Band genauso aufgeregt entgegen wie ihre Kinder.


Kein anderes Buch. Was aber noch immer nicht erklärt, warum Harry Potter so etwas wie der Leselöwe für Kinder quer durch alle Altersklassen wurde. Es sind nicht wenige Fälle von Kindern und Jugendlichen bekannt, die vor und nach Harry Potter kein Buch in die Hand nahmen. Vom „Stein der Weisen“ bis zu den „Heiligtümern des Todes“ hingegen hätte man sie nur mit Hilfe chirurgischer Instrumente von ihrer Lektüre trennen können.

Elisabeth Rippar, Inhaberin der Wiener Kinderbuchhandlung „Kunterbuch“, überrascht das nicht – schon aus strukturellen Gründen. „Es hat verhältnismäßig lange gedauert, bis die ersten Filme gekommen sind“, sagt sie. „Das heißt: Wer dazugehören wollte, hatte überhaupt keine andere Wahl, als die Bücher zu lesen.“ War diese Hürde erst einmal geschafft, ergab sich der Rest von selbst. „Das sind Geschichten, in die man total hineinkippt“, sagt Rippar. „Der Elementemix passt einfach. Es ist Fantasy, aber trotz des magischen Umfeldes nicht allzu dick aufgetragen, es geht sehr stark um Freundschaft, das Muster ist sehr einfach, es gibt Schwarz und Weiß, und es ist meistens sehr eindeutig, wer gut ist und wer böse.“ Dazu kommt, dass Harry Potter der klassische Antiheld sei: klein, schüchtern und fehleranfällig.

Bei Kindern wie Eltern stellen sich nach dem Ende der Potter-Romane mittlerweile die ersten Entzugserscheinungen ein. Zwar wird immer wieder irgendjemand hoffnungsvoll mit dem Epithet „der neue Harry Potter“ geschmückt, doch verlief die Suche nach einem geeigneten Ersatz bisher eher im Sand. „Ich hätte gerne so etwas wie Harry Potter“, hört Elisabeth Rippar oft von kleinen und großen Kunden. „Aber leider, leider können wir so etwas nicht bieten“, sagt sie.


Potter-Universum lebt weiter. Was wiederum nicht so schlecht für Autorin Rowling ist. Denn es überrascht kaum, dass mit der Marke Harry Potter auch enorm viel Geld gemacht wird. Allein die Kinofilme brachten bisher rund 4,4 Milliarden Euro ein, das Vermögen von Rowling wird auf 589 Millionen Euro geschätzt. Dass man einen derartigen Geldfluss nicht einfach versiegen lassen will, liegt auf der Hand. Tatsächlich wird das Potter-Universum weiterleben. Und – auch das überrascht kaum – Rowling selbst behält das Kommando darüber.

Zwar hat sie immer postuliert, dass nach sieben Bänden Schluss sei. Doch zuletzt präsentierte sie mit „Pottermore“ eine Plattform im Internet, auf der der Potter-Stoff im Cyberspace weitergesponnen werden kann, die Fans digital Abenteuer miterleben und sich kreativ einbringen können – zumindest innerhalb der Grenzen, die Rowling zulässt. So zog sie etwa 2008 gegen ein Potter-Lexikon, das ein Fan verfassen wollte, sogar vor Gericht.

Es erinnert ein wenig an das „Star Wars“-Universum, das rund um die Filme entstanden ist. Erfinder George Lucas verteilte Lizenzen, verdiente allein mit Merchandising seit Beginn der Science-Fiction-Saga im Jahr 1977 schon mehr als 12 Milliarden Dollar. Und schuf eine ganze Welt rund um die von ihm geschaffenen Figuren. Unzählige Bücher über Luke Skywalker, Han Solo & Co. sind seither erschienen. Lucas selbst behält sich allerdings einige Dinge vor: So darf etwa keiner der Lizenzautoren eine tragende Figur sterben lassen. Und natürlich muss man sich an gewisse räumliche und zeitliche Vorgaben halten, damit in dem künstlich geschaffenen Universum keine Ungereimtheiten auftreten.

Abgesehen davon gibt es noch eine weitere Parallele: „Star Wars“ und Potter lieferten Material, auf das sich eine ganze Generation verlassen konnte. Im Fall „Star Wars“ genau genommen sogar zwei Mal: Mit den ersten drei Teilen erreichte man zwischen 1977 und 1983 die damalige junge Generation, mit der neuen Trilogie von 1999 bis 2005 deren Kinder – und viele Eltern gleich wieder mit. Es ging weiter – unter anderem 2009 mit der Zeichentrick-Serie „Clone Wars“, die auf eine jüngere Zielgruppe ausgerichtet war. Und mit technisch immer weiter hochgerüsteten Versionen der Filme auf DVD, im heurigen Herbst erscheint die gesamte Saga auf Blu-Ray. Und das alles, nachdem Lucas 2005 noch das Ende der Saga verkündet hatte. So wie Rowling bei Harry Potter auch.


Nachwuchs für Potter? Es ist also anzunehmen, dass in den kommenden Jahren alles Mögliche unternommen wird, um Nachwuchs für das Potter-Universum zu besorgen. Allerdings: Es wird für künftige Generationen nicht mehr dasselbe sein. Natürlich, man kann die Bücher lesen. Die Filme in einer Sammelbox mit Bonusmaterial kaufen und der Reihe nach ansehen. Man kann auf „Pottermore“ oder anderen Plattformen die Geschichte weiterspinnen. Doch – gemeinsam darauf warten, dass das neue Buch erscheint. Am Ende eines Films bangen, wie es weitergeht, bis die Fortsetzung ins Kino kommt. Und vor allem mit den Charakteren mitwachsen, womöglich zur gleichen Zeit wie Harry die erste Liebe erleben, den ersten Kuss – das wird nicht mehr möglich sein. Das bleibt das Privileg einer einzigen Generation. Der Generation Potter.

Der letzte Teil

Harry Potter und die Heiligtümer des Todes 2: Der letzte Teil der Saga um den Zauberlehrling ist in Österreich ab Mittwoch, 13. Juli, zu sehen. Die Verfilmung des letzten Romans aus der Romanreihe erfolgte in zwei Teilen. Teil1 hatte bereits im November 2010 Premiere.

Keine weiteren Folgen: Autorin Joanne K. Rowling hat angekündigt, keine weiteren Romane über Harry Potter zu schreiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2011)

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