Seit Cristian Mungius internationalem Erfolg in Cannes ist der „neue rumänische Film“ in aller Munde. Aktuelle Produktionen setzen sich mit dem Erbe des Kommunismus auseinander.
Bukarest. Nach Cristian Mungius „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“, einem Sozialdrama über das Abtreibungsverbot in den Achtzigerjahren, für das er 2007 die Goldene Palme von Cannes erhielt, verlassen die Gespenster des Sozialismus immer noch nicht die Welt der jungen rumänischen Regisseure. Nostalgie für die Ära vor der Wende hält sich beim Publikum trotz Wirtschaftskrise in Grenzen – doch die Figur des hingerichteten Diktators Ceauşescu verkauft weiterhin Zeitungsartikel, Bücher und Filme.
Andrei Ujicas „Autobiographie des Nicolae Ceauşescu“, eine dreistündige Collage aus chronologisch geordnetem Archivmaterial, wurde Ende 2010 zum Lieblingsthema in den Bukarester Medien und Cafés. Die weniger bekannten Aufnahmen zeigen wichtige politische Momente, wie etwa die Rumänien-Besuche von Charles de Gaulle und Richard Nixon, aber auch Szenen aus dem Privatleben der Diktatorenfamilie, die von Kameraleuten des Staatsfernsehens in offiziellem Auftrag, also quasi autobiografisch, gefilmt wurden.
Ceauşescus Erbe interessiert auch Regisseur Alexandru Solomon in seinem „Kapitalismus, unser Geheimrezept“. Die Doku thematisiert die problematischen Kontinuitäten zwischen der damaligen Geheimpolizei Securitate und der neuen Bukarester Oberklasse, die in den ersten Jahren nach der Wende von 1989 in Besitz vieler ehemals staatlicher Unternehmen kam.
Doch die Aufarbeitung der jüngeren Geschichte bleibt nur ein Teil der mittlerweile vielfältigen Filmlandschaft Rumäniens. Einzelne Schicksale und vor allem Randexistenzen aus dem Milieu der Kleinkriminalität bilden das Material für Catalin Mitulescus neuen Film „Loverboy“ (2011), der in der Hafenstadt Constanţa an der Schwarzmeerküste spielt. Offenbar faszinieren Sozialphänomene junge Regisseure wie Florin Serban, der 2010 mit seinem „Wenn ich pfeifen will, dann pfeife ich“ den Silbernen Bären bei der Berlinale gewonnen hat. Die atemberaubende Knast-Story problematisiert die Erfahrungen der Kinder, die ohne ihre im westeuropäischen Ausland arbeitenden Eltern auskommen müssen.
Ein Kurde, gestrandet in Rumänien
Ebenso ist die Migration Thema von „Morgen“, Marian Crisans Film, der 2012 bei der nächsten Oscar-Verleihung für ausländische Produktionen Rumänien vertreten wird. Die Migranten sind aber – und das ist eine Premiere in der lokalen Kinematografie – nicht mehr die Rumänen, sondern außereuropäische Immigranten. Der Plot: Der kurdische Einwanderer Behran, ohne Aufenthaltsgenehmigung in Rumänien gestrandet, versucht auf der Suche nach einem besseren Leben nach Westeuropa zu kommen. Das letzte Hindernis auf seinem Weg bleibt die rumänisch-ungarische Grenze – und vor allem die korrupten und unsympathischen rumänischen Grenzer, deren Aufgabe darin besteht, den Schengen-Raum vor unbefugten Nichteuropäern zu schützen.
Behran findet ausgerechnet bei einer armen einheimischen Familie Unterstützung. „Morgen“ ist vor allem thematisch brisant, denn der Schengen-Beitritt gilt derzeit in Bukarest als oberste Priorität der Außenpolitik.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2011)