Alice, Pippi und Mythen-Recycling kiloweise

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Pfadfinderspiele für Heranwachsende: Suzanne Collins' Bestseller »Die Tribute von Panem«.

Das hat den Verlagen zu denken gegeben, dass sie die Harry-Potter-Goldgrube nicht sofort erkannt haben. Die Britin Joanne K. Rowling hatte zunächst allerhand Schwierigkeiten, ihren Zauberlehrling unterzubringen. Damit ist jetzt aber Schluss. Fantasy-Literatur kommt seither allenthalben jedes Jahr haufenweise auf den Markt. Sie ist ein lukrativer Bereich, am meisten verdienen die angelsächsischen Lizenzgeber. In England und Amerika hat Schauerromantik eine lange Tradition.

Lernen bei Cartoons und Nickelodeon. Allerdings ist es für Fantasy-Produzenten wichtig, Bekanntes, Stereotypen einzubinden. Bevor die Amerikanerin Suzanne Collins (50) ihre „Tribute von Panem“ veröffentlichte, schrieb sie die Alice-im-Wunderland-Variation „Gregor und die graue Prophezeiung“. Begonnen hat Collins als Drehbuchautorin Anfang der Neunziger, sie arbeitete für das auch hierzulande beliebte Kinder-TV Nickelodeon. „Panem“ ist eine wilde Mischung: Seit Lindgrens Pippi Langstrumpf feiert das Genre „emanzipierte Mädchen“ immer neue Triumphe: Aus „wilden Hühnern“ werden Amazonen, die freilich, gemäß dem Zeitgeist, hart, aber zart, keineswegs die Jungs schmähen und verschmähen. „Panem“ baut um ein Liebespaar eine Orwell'sche Dystopie, verbindet History, Mystery und Science Fiction.


Big Brother. George Orwell (1903–1950) mit seinem „1984“ wäre heutigen Kids vielleicht kein Begriff mehr, aber das „Big Brother“-System ist ihnen vom Reality-TV vertraut. Das alte Griechenland soll Collins zu „Panem“ inspiriert haben, die Olympischen Spiele. Eher sind es römische Gladiatorenkämpfe auf Leben und Tod, die hier ausgetragen werden. Die Ausgangssituation in „Panem“ ist Nordamerika nach einer Ökokatastrophe, die das Volk in Privilegierte und Underdogs spaltet. Wer an Aldous Huxleys „Brave New World“ (1932) denkt, ist auf dem richtigen Weg. Eine weitere Schiene ist die Medienkritik. „Panem“ wird auch von einer ausgefeilten Propagandamaschine gelenkt. Die Protagonistin hat ihren eigenen Stylisten. Dieses Motiv kennt der Konsument aus dem Casting-Business, das seinerseits von einer Bücherflut begleitet wird, z.B. „Fashionistas, Vier auf dem Laufsteg“ von Sarra Manning (cbj).


Redundanz in Serie. Weltflucht ist ein wesentlicher Antrieb, Fantasy zu konsumieren. Zum Glück wird sie stets serienweise produziert – und bewegt sich in redundanter Weise vorwärts. Die überbordende Fantasie der Potter-Bücher fehlt der „Panem“-Serie, die eher an Stephenie Meyers „Bis(s)“-Orgie erinnert; diese hat eine Menge weiterer Vampir-Sagas hervorgebracht. Mit „Seelen“ reichte Meyer übrigens den Vampiren einen „Panem“ ähnlichen Bestseller nach. Für den Oetinger-Verlag ist „Panem“ schon fast „gegessen“. Im März erscheint mit „Gebannt. Unter fremdem Himmel“ von der in Südkalifornien lebenden Brasilianerin Veronica Rossi bereits das nächste Fantasy-Epos. Es geht um eine Love Story in einem wüsten Land mit Kannibalen. Die Filmrechte sicherte sich Warner.

das BUCH zum film 23,5 MIO. LESER in USA

Rund 700.000-mal verkaufte sich die mit drei Teilen gegenüber den Potter- und Biss-Büchern bescheiden dimensionierte deutsche Ausgabe. Autorin Suzanne Collins wirkte beim Filmdrehbuch mit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2012)

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