„Paradies: Liebe“: Sex und Sehnsucht in Kenia

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Der Auftakt zu Ulrich Seidls preisgekrönter Filmtrilogie startet am Freitag: Margarethe Tiesel bewegt als Touristin, die sich Männer kauft. Die weiteren Teile „Glaube“ und „Hoffnung“ folgen noch.

Zyniker mögen sagen: Es war ja nur eine Frage der Zeit, bis der Seidl einen Sextourismusfilm dreht. Für einfache Gemüter und solche, die immer noch Worte wie „Nestbeschmutzer“ in den Mund nehmen, lässt sich das monströse Werk des vermutlich besten lebenden Filmregisseurs Österreichs nämlich immer schon herunterbrechen auf das Anstößige und Vulgäre, das man für gewöhnlich, also aus Gewohnheit heraus, mit einer Provokation oder einem audiovisuellen Schock verbindet. Aber Zyniker haben bei Ulrich Seidl ohnehin nichts zu suchen. Und schon gar nichts zu gewinnen.



Kaum ein anderer gegenwärtiger Kinomacher versteht es wie er, sich den Milieus und ihren Charakteren bedingungslos zu überantworten, sich auf sie einzulassen. Aus Rechercheergebnissen bauen Seidl und seine Lebensgefährtin, Veronika Franz, mit der er seine Drehbücher verfasst, dann jene von der Realität entrückten, aber gänzlich wirklichen Lebenswelten, die immer wieder in den geometrisch und symmetrisch in den Raum gepflanzten Seidl-Tableaus kulminieren. Der Widerspruch ist ein Axiom von Seidls Kinokosmos. Insofern ist auch sein Paradies ein paradoxes.

Weiße Frauen, schwarze Männer

Teresa, Mutter einer Teenager-Tochter und insgesamt enttäuscht vom Leben, sucht ihr neues Glück in Kenia. Freundinnen haben ihr erzählt, die schwarzen Männer dort würden sich häufig in weiße Frauen mittleren Alters verlieben. „Paradies: Liebe“ nennt Seidl den ersten Teil seiner Filmtrilogie, „Glaube“ und „Hoffnung“ folgen noch. Die drei Begriffe aus „Glaube Liebe Hoffnung“ von Ödön von Horváth (der diese Trias natürlich aus dem ersten Korintherbrief des Paulus hatte) lassen sich aber jeweils auf alle drei Erzählungen anwenden, unterstreichen deutlich, dass Seidl das Projekt ursprünglich als einen abendfüllenden Film aus drei Episoden geplant hatte. Erst im Lauf der Jahre, mit dem Ausfüllen der Figuren und Schauplätze bei den Dreharbeiten, hat sich für den Regisseur gezeigt, dass dieser Entwurf mehr Raum braucht.

Die Illusion der Hoffnung

Die Entscheidung für eine Trilogie war eine gute und wichtige, denn allein die Kenia-Episode ist eine wuchtige Erscheinung. Kaum dort angekommen, wird Teresa von den erfahrenen „Sugar Mamas“ (darunter auch die göttliche Inge Maux) in die Praxis der käuflichen Liebe eingeführt. Nur einen Steinwurf vom charakterfreien All-inclusive-Klub entfernt, wird die Armut in Wellblechhütten vor den Touristenaugen versteckt: Junge Männer auf Mopeds umkreisen die reifen Frauen, wie in einer grausamen Parodie auf jene Szenen, die man aus dem italienischen Kino der 1950er und 60er kennt.

Anfänglich hat Teresa noch Hemmungen, sich auf die selbstverständlich angebotenen männlichen Körper einzulassen, sie in ihr Leben hineinzulassen. Aber irgendwann verliebt sie sich dann doch, in einen, der sie vor allzu zudringlichen Ramschverkäufern am Strand beschützt hat. Für ein paar Tage lässt sie sich in die Illusion fallen, dass sich in diesem exotischen Land eine neue Perspektive auftun könnte. Sie glaubt daran. Sie hofft darauf. Und genau dieser Glaube, genau diese Hoffnung, eben diese Liebe stehen im Zentrum des Films.
Beinahe beiläufig, aber nie ohne grundsätzliche Empathie für seine Figuren, lässt Ulrich Seidl Teresas Paradies mit der Wirklichkeit kollidieren. Immer und immer wieder.
Genau wie seine geometrischen Kompositionen unaufhörlich mit dem Naturalismus der über weite Strecken improvisierten Dialogsequenzen kollidieren und sich daran reiben, sodass die geilsten Funken sprühen.

Geschultert wird „Paradies: Liebe“ beinahe ausschließlich von Hauptdarstellerin Margarethe Tiesel: Ihre Teresa ist von der ersten Minute an eine konkrete, eine wirkliche Figur. Eine, von der man meint, sie persönlich zu kennen oder sie jedenfalls schon einmal gesehen zu haben. Sie ist Teil der Zuschauerwelt, keine Figur irgendwo auf der Leinwand. Diese Wand hat Seidl schon längst eingerissen. Tiesel verleiht ihrer Teresa eine außergewöhnliche Seele, schenkt ihr aber auch eine bemerkenswerte Physis. Entschlossen und angstfrei marschiert sie durch die engen Gassen von Mombasa. Verletzlich und sehnsüchtig lässt sie den afrikanischen Liebhaber ihren Körper berühren.

Keine Mitleidserzählung

Gekränkt und wütend vergeht sie sich an einem Hotelangestellten, benutzt ihn, nutzt ihn aus. Der Kontext, in den diese Frauengeschichte eingelassen ist, lädt ein zu interpretativen Diskursen über Post-Kolonialismus und Alltagsrassismus. Während die geografischen und politischen Spannungsfelder das Milieu zweifelsfrei befruchten und untermauern, so stellen sie in „Paradies: Liebe“ dennoch nur zweckbefreiten Hintergrund zur Verfügung. Zum Glück, denn so kann sich dieser Film von Anfang an freispielen von den hierzulande so geschätzten Mitleids- und Elendsnarrativen vom und zum afrikanischen Kontinent und gräbt sich tiefer hinein, in den Kern des Menschseins. Dort schlummert und wächst die Hoffnung aufs Paradies, auf einen Ort, der nicht wertet, nicht verurteilt, sondern nur bietet. Und zwar alles im Überfluss: Glaube Liebe Hoffnung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2012)

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