„La grande bellezza“: Il dolce bunga bunga

La grande bellezza
La grande bellezza(c) Filmladen: GIANNI FIORITO
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Wo ist sie hin, die große Schönheit? Paolo Sorrentinos ostentativ opulentes Porträt von Roms besserer Gesellschaft holt den Ennui von Fellini in die Berlusconi-Ära. Im Zentrum brilliert Toni Servillo. Ab Freitag.

Paolo Sorrentinos „La grande bellezza – Die große Schönheit“ ist ein Film, der damit beginnt, dass eine direkt vor der Kamera in Richtung Zuseher platzierte Kanone abgefeuert wird, und der dann zweieinhalb Stunden lang versucht, diesen Startschuss zu übertreffen. Sorrentino drückt sich exklusiv in stilistischen Superlativen aus: Dem Zuseher soll es wohl gehen wie dem japanischen Touristen, der nach dem Kanonenschuss (und seinem pflichtschuldigen Schnappschuss von Roms historischen Monumenten) von der grande bellezza der ewigen Stadt überwältigt zu Boden geht. Dazu erklingt der himmlische Gesang eines herumstehenden Nonnenchors.

Ah, die große Schönheit, wo ist sie hinverschwunden? Die Frage treibt den Journalisten Jeb Gambardella (Tony Servillo) an, mit dessen Geburtstagsparty zum 65er das inszenatorische Dauerfeuer gleich nochmals intensiviert wird. Rom brennt, und Jeb ist einer der modernen Neros. Wie die Tänzerinnen an den Stangen rundherum ergeht sich die Hautevolee in massenchoreografierten Windungen, bis das Geburtstagskind ins Zentrum tritt und dem Zuseher in einem ersten Monolog den Vorgeschmack auf den melancholischen Zynismus seiner Tiraden gibt: Verschwunden sind die Hoffnungen seiner Jugend, als er in die Stadt kam und mit einem vielversprechenden Debütroman aufhorchen ließ. Dann gab er die Literatur auf und wurde Society-Reporter mit dem Drang, die Schlüsselfigur der ach so hohlen besseren Gesellschaft zu sein. Mit gepflegtem Selbstekel hat er es auch geschafft.

Neorealismus zu Berlusconis Spaßkultur?

Im Prinzip ist „La grande bellezza“ eine gegenwärtige Version von Federico Fellinis barocken Gesellschaftsporträts: Sorrentino zitiert und variiert Schlüsselszenen aus Fellinis „Roma“ und legt die Handlung als modernisierte Variation von „La dolce vita“ an: Die Sinnkrise in einer schnelleren, noch grelleren Welt, in deren schalem Glanz sich der selbst gemachte Society-Star nicht mehr recht sonnen kann. (Zwischen Sorrentinos ausufernden Massenszenen sinniert Jeb bei Nachtspaziergängen durch pittoreske Umgebungen.) Wo Marcello Mastroianni als Playboy der Wirtschaftswunderjahre in eine zeitgemäße Midlife-Crisis geriet, gibt Sorrentinos stets souveräner Stammschauspieler Servillo einen zwar auch im fortgeschrittenen Alter keiner Affäre abholden, aber ausgebrannten Power-Player: Er ist ein wandelndes Relikt von Berlusconis Bunga-Bunga-Gesellschaft. Wie eben sein renommierter Landsmann Matteo Garrone in „Reality“ gibt sich Sorrentino vulgärfelliniesken Anwandlungen hin: Vielleicht empfindet man in der Heimat solche Stilorgien ja als den Neorealismus zu Berlusconis Spaßkultur.

Sorrentino hat sich freilich immer schon als barocker Manierismusmagier auf Fellinis Spuren verstanden: Das macht „La grande bellezza“ akzeptabler als seine vorigen Filme, die knallige Politikerbiografie „Il divo“ (mit Servillo als Giulio Andreotti) oder das US-Roadmovie „This Must Be the Place“ (mit Sean Penn als Goth-Rocker auf Selbstfindungstrip). Da wurden politische Inhalte zum bloßen Dekorelement in der überkandidelten Oberfläche. Hier macht diese Oberfläche quasi die Politik: Fülle als Leere, die Sorrentino in glatten, kunstlichtsatten Szenenfolgen zwischen Videoclipexzessen und Tableaus des Innehaltens schwanken lässt.

Design-Groteske: Flaubert und Zwergin

Auch Jeb schwankt: auf der Hängematte seiner Terrasse, natürlich mit Topausblick auf das Kolosseum, aber vor allem zwischen nostalgischen Erinnerungen an seine erste Liebe und der seither über Dekaden kultivierten Misanthropie. Mit dieser düpiert er die heuchlerischen Gäste kultivierter Abendsoirees, bei denen man anzügliche Anekdoten erzählt und mit Insidergehabe über die Vorrangstellung von äthiopischem Jazz doziert, wenn Jeb nicht gerade Flaubert zitiert. Die Erziehung der Gefühle hat eben noch immer nicht stattgefunden. Für Sorrentino Grund genug, um in aller Opulenz bombastischen Stillstand auszubreiten und seiner Neigung zur Design-Groteske zu frönen.

Deren Sehenswürdigkeiten: eine Zwergin (Jebs Chefin) nach durchzechter Nacht auf der leeren Dachterrasse zwischen Dutzenden Martini-Gläsern und großer Martini-Leuchtreklame im Hintergrund, eine nackt gegen die Wand laufende Konzeptkünstlerin namens Tanja Concept, die mit Blutfleck am Kopf „Ihr liebt mich nicht!“ schreit, eine 104-jährige Heilige, die von der Gesellschaft hofiert wird und im leeren Geschwätz eingeht, und die Giraffe eines Zauberers, die verschwindet: Ist das ganze schöne Leben nur ein Trick? Der Film versteht es – und sich – jedenfalls so: Bei allem immer wieder beeindruckenden Aufwand kann man Jebs Ermüdung doch schnell nachvollziehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2013)

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