„Brooklyn“: Hier ist Amerika (noch) das Land des Glücks

Kein schüchternes Mauerblümchen mehr: Eilis (Saoirse Ronan) lebt in New York auf.
Kein schüchternes Mauerblümchen mehr: Eilis (Saoirse Ronan) lebt in New York auf.(c) ABC-Films
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Das Oscar-nominierte Drama „Brooklyn“ gewährt einen tiefen Blick auf die Zerrissenheit einer jungen Irin, die sich zwischen ihrer Heimat und einem neuen Leben in Amerika entscheiden muss. Saoirse Ronan brilliert in der Hauptrolle.

Die junge Irin Eilis Lacey hält sich am Rand des blechernen Putzkübels fest und kotzt sich die Seele aus dem Leib. Das gemeinsame Klo haben die Nachbarn aus der Nebenkabine von innen verschlossen, dass sie das Abendessen bei rauer See auslassen soll, hat ihr keiner gesagt. So elendig beginnt die Fahrt in eine vielversprechende Zukunft: Nach Brooklyn, wo schon viele Iren vor ihr angelegt haben. Wo es – anders als im kleingeistigen, konservativen Irland – Perspektiven geben soll, Arbeitsplätze, lockerere Lebensbedingungen und Nylonstrümpfe en masse.

Vom Aufbruch in ein neues Leben – und vom Zurücklassen des alten – erzählt das dreifach Oscar-nominierte Drama „Brooklyn“ (Bester Film, Beste Hauptdarstellerin, Bestes Drehbuch). Popautor Nick Hornby („High Fidelity“, „About a Boy“) schrieb das Skript basierend auf dem Roman des irischen Autors Colm Tóibín, der irische Regisseur John Crowley, der aus dem Theater kommt, inszenierte die Geschichte mit dem Untertitel „Eine Liebe zwischen zwei Welten“.

Sie spielt in den frühen 1950er-Jahren: Eilis (Saoirse Ronan) lebt mit ihrer Mutter und Schwester in der südostirischen Kleinstadt Enniscothy, wo sie mangels besserer Möglichkeiten sonntags im Geschäft einer gehässigen Dorfhexe arbeitet. Ein Pfarrer, der nach New York ausgewandert ist, ermöglicht ihr die Reise über den Atlantik, besorgt ihr dort ein Zimmer in einer Mädchenpension und einen Job in einem Luxuskaufhaus. Der Film begleitet Eilis durch die emotionale Achterbahn, die mit dem Umzug verbunden ist – und durch den Wandel, den sie dabei vollzieht: Anfangs ist sie ein stilles Mauerblümchen mit fettiger Haut, das sich nicht recht amüsieren kann, so sehr schmerzt die Erinnerung an die ferne Heimat. Doch das Heimweh vergeht, sie verliebt sich in den italienischen Installateur Tony (Emory Cohen), der ihre Lebensgeister weckt. Sie macht eine Ausbildung zur Buchhalterin, lernt, wie Italiener Spaghetti zu essen und sich wie Amerikanerinnen den Badeanzug unter dem Kleid anzuziehen, wenn sie zum Strand geht.

Kein rührseliger Liebesfilm

Gerade, als sie sich richtig eingelebt hat, zieht sie ein Trauerfall in der Familie zurück nach Irland, wo mit dem adretten Jim (Domhnall Gleeson) bereits ein heiratswilliger junger Mann auf sie wartet, der ein Haus, einen Job und obendrein noch den Segen der Dorfgemeinschaft hat. Tatsächlich fühlt sie sich zu ihm hingezogen, und auch das provinzielle Leben, das sie einst so abstoßend fand, übt wieder einen Reiz auf sie aus. In Brooklyn wartet hingegen Tony sehnsüchtig auf ihre versprochene Rückkehr. Eilis muss sich entscheiden.

„Brooklyn“ ist aber kein rührseliger Liebesfilm. Stattdessen gewährt er einen tiefen, ehrlichen Blick auf die Zerrissenheit der jungen Eilis, grandios gespielt von Saoirse Ronan, auf deren Gesicht die Kamera oft lang ruht. Die amerikanische Schauspielerin mit irischen Wurzeln begeisterte schon als Kinderstar in „Abbitte“ (sie spielte Keira Knightleys kleine Schwester Briony). In „Brooklyn“ gibt sie die Protagonistin als zurückhaltende, aber willensstarke junge Frau, hinter deren blasser Fassade stets mehrere Emotionen auf einmal brodeln: Hinter jedem vordergründigen Lächeln verbirgt sich die stille Hoffnung, dass es irgendwo da draußen mehr für sie gibt; hinter jeder zufriedenen Miene der Schmerz, ihre Heimat verlassen zu haben und nirgendwo so richtig zu Hause zu sein.

Tristes Irland, buntes Amerika

Denn Eilis muss sich nicht nur zwischen zwei Männern, sondern letztlich zwischen zwei Welten, zwei komplett verschiedenen Lebensentwürfen entscheiden. Die Gegensätze ziehen sich durch den ganzen, atmosphärisch dichten Film – sie zeigen sich in den Kostümen, die in Amerika immer bunter und frecher sind, in den aufgeräumten Kulissen, der Musik. Amerika ist – ganz ungetrübt und ohne jeglichen Hinweis auf die Probleme der Zeit – das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das jedem Einwanderer, sobald er das anfängliche Heimweh einmal überwunden hat, Glück und wahre Liebe und das große Geld bieten kann. Irland hingegen ist durch und durch trist, selbst die Junggesellen dort sind Langweiler, die nur Rugby im Kopf haben.

Insofern findet man als Zuschauer natürlich den leidenschaftlichen Tony viel besser, die Wahl der richtigen Zukunft scheint nicht schwer. Als klassische Immigrationsgeschichte über das Aufbauen eines neuen Lebens im Exil bleibt „Brooklyn“ konventionell und flach. Doch der Film überzeugt – vor allem durch das bewegende Schauspiel Ronans – als feinfühliges Porträt einer Auswanderin, die sich von den Erwartungen ihrer Umgebung emanzipiert hat, die vom eingeschüchterten Mädchen zu einer selbstbestimmten Frau wird. Eine moderne Heldin in einer altmodischen Geschichte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2016)

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