Thor: Die Film-Superhelden als neue Götter

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Ausgerechnet Shakespeare-Spezialist Kenneth Branagh bringt die mythische Figur Thor auf die Leinwand. Ein opulentes Action-Spektakel als große Oper. „Thor“,ab heute in 3-D im Kino.

Es blieben durchaus einige Münder offen stehen, als im Dezember 2008 offiziell bekannt gegeben wurde, wer den Superheldencomic-Donnergott Thor auf die Leinwand bringen wird. Tatsächlich wirkt der vor allem für seine kommerziell wenig erfolgreichen Shakespeare-Verfilmungen bekannte Nordire Kenneth Branagh auf den ersten Blick wie die falsche Wahl. Connaisseure fürchteten schnell, der romantische Pomp, der die Arbeiten dieses Regisseurs (wie Henry IV oder Hamlet) durchzieht, könnte den in den 1960ern von Jack Kirby und Stan Lee ersonnenen Superhelden verunglimpfen oder gar lächerlich wirken lassen. Im Hintergrund dieser Diskussion walten Standesdünkel: Kann ein Exeget der sogenannten Hochkultur ein Signum der Popkultur wie Thor begreifen und adäquat adaptieren?

Um es kurz zu machen: Er kann. Wie zum Beweis zeigt Branagh gleich in den ersten 20 Minuten seines Thor, wie gut diese vermeintlich unorthodoxe Verschränkung von antiquiertem Pomp und zeitgeistigem Spektakel funktioniert. Zu sehen ist Asgard, Heimstatt der Götter in den Zweigen der Weltesche Yggdrasil: Die retrofuturistische Außenarchitektur mit ihren spitz zulaufenden Formationen, den breiten Promenaden in den Gebäudeschluchten und matt schimmernden Oberflächen erinnert an Zukunftsvisionen aus der Vergangenheit.

Imposanter Odin: Anthony Hopkins

Im Hintergrund funkelt ein Sternenmeer, während in den ausladenden Innenräumen antike Grandezza auf Expressionismus trifft: Hier herrscht Göttervater Odin (imposant wie immer: Anthony Hopkins) über sein Reich, das sich nach einer blutigen Auseinandersetzung mit den Frostgiganten von Jotunheim, die die Erde in eine neue Eiszeit stürzen wollten, wieder beruhigt hat.

Aber just an dem Tag, an dem Odins Sohn Thor (perfekt als blonder Hüne: Chris Hemsworth) zum neuen König von Asgard gekrönt werden soll, brechen Frostgiganten in den Palast ein und beenden den Frieden. Bei der folgenden Schlacht in Jotunheim beweist Regisseur Branagh eindrucksvoll, dass er gigantische Action-Aufbäumungen in Szene setzen kann: Man muss bis zu Peter Jacksons Herr der Ringe-Trilogie zurückgehen, will man eine ähnlich perfekte Inszenierung von virtuellen und tatsächlichen Bewegungen sehen. Angeführt von Thor und seinem gewaltigen Donnerhammer Mjolnir, der wie ein Bumerang immer wieder zum Werfer zurückkehrt, schickt Branagh eine kleine Gruppe von asgardischen Kriegern in den Kampf gegen Myriaden von Frostgiganten: Während Patrick Doyles adäquat brummender Soundtrack den Zuseher zusätzlich rhythmisiert, fokussiert Haris Zambarloukos Kamera immer mehr Teilstücke der Auseinandersetzung, bis der Regisseur sie einer Oper gleich in atemberaubenden Massensequenzen kulminieren lässt.

Man merkt der Inszenierung an, dass hier mit Branagh einer am Werk ist, der diese übergroßen Geschichten mit ihren übergroßen Figuren im Kern verstanden hat. Die Opulenz verankert er im Intimen, das Universale hat keine Bedeutung ohne das Persönliche. Wie in einem aristotelischen Drama oder einem Stück von William Shakespeare lässt er den Helden im zweiten Drittel vom Götterreich auf die gegenwärtige Erde (oder Midgard in der nordischen Mythologie) fallen.

Zwischen Wetterforschern und Ragnarök

Dorthin wird Thor nach seinem Rachefeldzug gegen die Frostgiganten von Odin verbannt: Als muskulöser Schönling findet er zwar schnell Anschluss bei Wetterforschern in New Mexico (darunter Stellan Skarsgård und Natalie Portman, die mit Thor turteln darf), allerdings will er schnellstmöglich nach Asgard zurückkehren. Denn der Angriff der Frostgiganten war lediglich ein Ablenkungsmanöver vor einer viel größeren Gefahr: Ragnarök, also dem Untergang der Götter. Selbst wenn der 3-D-Film Thor im Mittelstück etwas an Fahrt verliert, überzeugen die finalen Konfrontationen, die das Spektakel erneut an die Figuren rückbinden und sich wie der letzte Akt eines royalen Intrigenspiels und damit einer großen Tragödie ausnehmen. Branaghs vielschichtige Comic-Oper dürfte sich zudem als Clou für den Comicriesen Marvel entpuppen: Innerhalb der nächsten zwei Jahre schickt der legendäre Verlag nämlich noch den patriotischen Superhelden Captain America ins Rennen, bevor Ober-Nerd Joss Whedon versuchen wird, alle Stränge des Marvel-Kinouniversums im Crossover-Film The Avengers (Kinostart im Mai 2012) zusammenzuführen.

Spätestens dann löst die populäre Superheldenmythologie mit all ihren Haupt- und Nebenfiguren und Haupt- und Nebenhandlungen die Göttergeschichten von einst ab. Spätestens dann wissen auch die letzten Zweifler, dass Götterdämmerungen im neuen Jahrtausend fast ausschließlich im Kino stattfinden werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2011)

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