Animationszauber in der wundersamen Welt der Borger

(c) Einhorn Filmverleih
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"Arrietty" aus der Schmiede von Hayao Miyazaki: berückender Zeichentrick alter Schule nach einem Kinderbuchklassiker.

Gewohnheitsmäßig wird das US-Animationsstudio Pixar als bestes dieses Erdballs gelobt: Doch die wahren Meister sitzen in Japan. Die Produktion von Studio Ghibli in Tokio ist seit 25 Jahren fast makellos: Im Zentrum steht dabei Mitgründer Hayao Miyazaki, den nicht nur die Pixar-Mannen als Gott verehren. Seit Ghibli einen Disney-Deal hat, sorgen Filme wie Mein Nachbar Totoro und Chihiros Reise ins Zauberlandweltweit für Begeisterung bei Jung und Alt.

Auch der neue Ghibli-Film Arrietty – Die wundersame Welt der Borger hat Miyazakis Magie: Er schrieb das Drehbuch zu diesem Herzensprojekt, einer Adaption des britischen Kinderbuchklassikers „Die Borger“ von Mary Norton, schon öfter verfilmt, zuletzt 1997 als Hollywood-Koproduktion mit John Goodman. Die Borger sind wenige Zentimeter groß und leben im Untergrund: Ihr Name kommt daher, dass sie sich von den Menschen heimlich Lebensnotwendiges „borgen“. Ein Stück Würfelzucker ist für die Titelheldin Arrietty groß wie ein Felsblock: Der 13-jährigen Borgerin genügt ein Blatt als Regenschirm. Als sie der kränkliche Menschenbub Sho beim Einzug in das Haus seiner Tante entdeckt, ist seine Verblüffung groß: Die zwei werden Freunde, doch die Entdeckung ist folgenschwer. Gemäß ihren Regeln müssen die Borger daher ihre Wohnstatt im Fundament des Hauses verlassen: Ihre naturnahe Welt droht durch die menschliche Expansion auszusterben.

Das Genie des unsichtbaren Erzählens

Ökologische Anliegen und Humanismus sind Eckpfeiler von Miyazakis Werk: In bester Ghibli-Tradition wird das mehr durch Taten als Dialoge vermittelt. Neugier statt Didaktik: Man lädt zum Eintauchen in zauberhafte Welten, die dank hauptsächlich handgemachter Animation eine klassische Schönheit haben. Arrietty ist weniger fantastisch als Miyazakis Regiearbeiten, aber kaum weniger berückend. Bei Ghibli bewahrt man eine fast vergessene Kunst der Hollywood-Hochblüte: das Genie des unsichtbaren Erzählens, wo sich jedes Detail mühelos, doch zielsicher ins Ganze fügt.

In Hiromasa Yonebayashi, Regiedebütant bei Arrietty, hat der 70-jährige Miyazaki vielleicht endlich seinen lange gesuchten Nachfolger gefunden: ein begnadeter Handwerker, wenn auch (noch) kein Visionär. Auf Miyazaki-Visionen muss man aber vorerst nicht verzichten. 2012 kommt die Fortsetzung seines Meisterwerks Porco Rosso, und er plant ein „untypisches“ Projekt: einen realistischen Film über Japan nach dem Tsunami und der Reaktorkatastrophe. hub

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2011)

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