Michael Haneke: "Ich schrie vor Angst über die Bilder"

Michael Haneke schrie Angst
Michael Haneke schrie Angst(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Als Dreijähriger spielte er mit Romy Schneider, als Student schrieb er für "Die Presse" Kritiken. Das Leben von Haneke.

Im Jahr 1967 schrieb ein Rezensent eine Kritik über den neuen Thomas-Bernhard-Roman „Verstörung“. Er zitierte das vom Philosophen Blaise Pascal stammende Motto des Buches, „Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume macht mich schaudern“, und fuhr fort: „Dass Bernhard Pascal zitiert, liegt nahe. Das ohnmächtige, vollkommene Ausgeliefertsein an ein durchaus Fremdes, Bedrohliches: das Leben, die Natur; an ein dem Menschen, der Existenz feindliches Sein, an die Verfinsterung, das Schweigen, den Wahnsinn.“ In den Augen des Rezensenten klaffte vor Thomas Bernhards Figuren „der Pascal'sche Abgrund, ohne den alles rettenden Gott des Franzosen“.

Der Mann, der das schrieb, war Mitte zwanzig, studierte in Wien Philosophie und Psychologie und hieß Michael Haneke. Neben seinem Studium verfasste er Film- und Literaturkritiken, auch für die „Presse“. Außerdem versuchte er sich als Schriftsteller, gewann mit einer Erzählung sogar einen Preis.

Los Angeles statt Madrid. Fast ein halbes Jahrhundert liegt zwischen dieser Auszeichnung bei den „Innsbrucker Jugendkulturtagen“ und der Goldenen Palme in Cannes für „Amour“ sowie fünf Oscar-Nominierungen – und wohl nicht nur Nominierungen. Wenn in der Nacht zum Montag in Los Angeles nicht „Haneke!“ oder „Amour!“ ausgerufen wird, dürfte der Regisseur wohl sehr bedauern, hingefahren zu sein. Denn Haneke hat für die Teilnahme an der Oscar-Gala einen künstlerisch schmerzlichen Preis gezahlt: Er konnte nicht miterleben, wie am Samstag die Premiere von Mozarts „Così fan tutte“ im Teatro Real in Madrid über die Bühne ging, die zweite Operninszenierung seines Lebens (2006 inszenierte er „Don Giovanni“ in Paris).

In Abertausenden von Tagen eiserner Arbeit ist der Österreicher zu dem geworden, was man als Filmregisseur von Weltrang bezeichnet: mit Filmen wie „Der siebente Kontinent“, „Die Klavierspielerin“, „Wolfzeit“, „Caché“, „Das weiße Band“ und jetzt „Amour“. „Funny Games“ über zwei Jugendliche, die eine Familie zu Tode quälen, war vor 15 Jahren der erste breit diskutierte Haneke-Film. Davor liegen Jahrzehnte weniger bekannter Arbeit: Fernsehfilme, die man heute nirgendwo zu sehen bekommt, Theaterinszenierungen in Deutschland und Wien, und schließlich erst – mit 47 Jahren! – Hanekes Sprung in die Kinowelt.

„Eine Einsiedlernatur“. Aber der „unbekannte“ Haneke ist nicht nur der Fernseh- und Theaterregisseur, sondern auch Haneke, der Mensch. Über den spricht der Regisseur so wenig wie möglich. „Susi, I love you!“, rief er bei der Golden-Globe-Verleihung vor drei Jahren, als „Das weiße Band“ triumphierte – ein rares öffentliches Outing des heute 70-Jährigen, der sich selbst eine „Einsiedlernatur“ bescheinigt. Abgesehen von seiner Lebensgefährtin habe er vielleicht zu drei, vier Menschen laufenden Kontakt.

Einer davon ist André Heller, der den langjährigen Freund nicht nur als Gesprächspartner schätzt. Er bestätigt, was manche über Haneke erzählen: dass er nicht nur gnadenlos streng, sondern auch sehr liebenswürdig sein kann, dass er trotz seines Rufs als „strenger Kunstprofessor“ außerhalb der Arbeit keinerlei kunstpriesterliche Allüren hat, vielmehr humorvoll und locker ist. „Michael ist privat ein sehr liebevoller, großzügiger und fürsorglicher Mensch und, was ich besonders mag, selbstironisch“, sagt Heller: „Wir haben uns eine Art unsichtbaren, exterritorialen Spielplatz für zwei große Buben geschaffen, die sich und der Welt auf den Grund gehen wollen.“

Mit Romy im Bett. 1945 war der große Bub noch ein kleiner, der eine Mutter, aber kaum einen Vater hatte. Der Düsseldorfer Regisseur und Schauspieler Fritz Haneke kämpfte im Krieg und verließ dann die Familie. Michaels Mutter, die Schauspielerin Beatrix von Degenschild, war Schauspielerin am Salzburger Landestheater, später am Wiener Burgtheater. Sie war mit der Schauspielerin Magda Schneider befreundet, was Haneke als Dreijährigem die Ehre bescherte, mit der wenig älteren Romy das Bett zu teilen. Außer der viel beschäftigten „Sonntagsmutter“ gab es eine Tante, auf ihrem landwirtschaftlichen Gut bei Wiener Neustadt wuchs Michael auf.

In einem Aufsatz erzählt Haneke über seinen ersten Kinobesuch, Laurence Oliviers „Hamlet“. Seine Großmutter habe nach nicht einmal fünf Minuten mit ihm das Kino verlassen müssen, „weil ich ob all dieser düsteren Bilder und Töne vor Angst schrie“. Da erlebt der Volksschüler zum ersten Mal die „Schrecken und Entzücken gleichermaßen evozierende Macht lebender Bilder“; diese Wirkung sei heute, in einer Zeit, in der schon Babys fernsehen würden, kaum noch nachvollziehbar.

Lebensautor Thomas Mann. Vor allem vertieft sich Haneke aber in Musik, Theater, Literatur. Sein Lebensautor wird Thomas Mann, sein Lebenstext dessen Roman „Doktor Faustus“. Der Gymnasiast will Schauspieler werden und bewirbt sich erfolglos am Max-Reinhardt-Seminar. Er will Konzertpianist werden und scheitert, wie er selbst sagt, an seiner „Unbegabtheit“.

Wie so viele seiner Generation begeistert er sich für den Existenzialismus, außerdem für das Kunstkino der 1960er-Jahre: Federico Fellini, Ingmar Bergman, Michelangelo Antonioni, Robert Bresson, die „Nouvelle Vague“... Bresson bleibt sein „Guru“, wie er sagt, und er hat noch einen zweiten: Blaise Pascal. Bei beiden findet er eine „tragische Weltsicht“, der auch er zuneigt.

„Haneke hat in einer Zeit, als viel vom Tod des europäischen Autorenfilms die Rede war, selbstbewusst diese Tradition aufgerufen und neu belebt“, erzählt Hanekes langjähriger Weggefährte, der Filmkritiker und Filmmuseum-Direktor Alexander Horwath. Horwath hat schon 1991 ein Buch über Haneke herausgegeben („Der siebente Kontinent“) und wird im ORF die Oscar-Gala ko-moderieren. „Die Begegnung mit seinem ersten Kinofilm ,Der siebente Kontinent‘ 1989 war eine Art Schock für mich“, erzählt er. „Ich sah ein Werk auf Weltniveau. Das war, obwohl ein Kinodebüt, kein ,Erstlingsfilm‘ und kein Zufall.“

Den Idolen seiner Jugend ist Michael Haneke bis heute treu. Noch heute antwortet er auf Pessimismus-Vorwürfe mit einem Satz von Robert Bresson: „Sie verwechseln Pessimismus mit Klarheit.“ Seine gnadenlose Genauigkeit ist mittlerweile legendär. Im Film „Der siebente Kontinent“ wird Geld zerrissen und ins Klo gespült, Haneke bestand auf echtem Geld. Falsches klinge beim Zerreißen anders. So lieh sich der Produktionsleiter bei einer Bank 500.000 Schilling und verbrachte nach den Dreharbeiten zwei Tage und Nächte damit, die zerrissenen Scheine zusammenzukleben ...

„Michael weiß, nach jeweils langen Aufenthalten im Fegefeuer der Selbstkritik, punktgenau was er will, ist in gewissem Sinn bereits Einstellung für Einstellung fertig mit seinem Filmen, ehe er zu drehen beginnt“, sagt André Heller. „Deswegen müssen ihm die Schauspieler radikal vertrauen. Es gibt für sie kaum Freiräume. Zu einer bestimmten Handbewegung oder Kopfhaltung, einer Betonung oder einem Schweigen existiert keine Alternative, weil er jede seiner Figuren und deren Schicksal bis ins allerkleinste Detail in- und auswendig kennt und vor sich sieht.“

„Genau wie ich will.“ Und trotzdem reißen sich die Schauspieler darum, mit Haneke zu arbeiten, denn das Ergebnis gibt ihm recht. „Ich weiß genau, was ich will, und so muss es, wenn irgend möglich, auch werden. Ich kenne die Figuren am besten, schließlich habe ich sie ja erfunden.“

Haneke pocht hier nicht auf die Autorität des Regisseurs, sondern die des Autors. Seine literarischen Ambitionen hat er letztendlich doch nicht aufgeben müssen. „Er ist ein wirklich bedeutender Schriftsteller“, findet Heller. „Das wird einem bei der Lektüre seiner Drehbücher klar. ,Das weiße Band‘ etwa hat durchaus eine Joseph-Roth- oder Theodor-Fontane-Qualität.“

Auch der Musik hat Haneke als Filmkünstler nicht abgeschworen. Sie ist in seinen Filmen, obwohl in kaum einem davon Musik erklingt. Wie Tarkowski sind auch für Haneke Film und Musik verwandt. Nach den Dreharbeiten zum Film „Das weiße Band“ lud er die Mitarbeiter in kleinen Gruppen zum Essen ein. Jeder erhielt als Geschenk Musik, und zwar eine, die der Regisseur selbst über alles liebt: eine Gesamtaufnahme der Werke Bachs.

Er beneide gewisse Menschen, die „tief in einem tröstlichen Glauben verankert sind“, sagte Haneke einmal. „Wir haben alle eine Sehnsucht nach dem Licht.“ Er selbst kann nur an die Kunst glauben, an jene kathartische Wirkung, wie man sie sich von der griechischen Tragödie erhoffte. Wenn man das Gegebene präzise analysiere, das Schreckliche radikal zu Ende formuliere, „kann aus den Einsichten, die der Zuseher gewinnt, eine Form von Hoffnung, von Kampfwillen entstehen. Wenn der Schock für den Zuschauer groß genug ist, wird es vielleicht ein bisschen Veränderung in seinem Leben geben.“
Siehe auch Seite 12: Hanekes Wien.

Filme, preise

1989–94. Quasi-Trilogie: „Der siebente Kontinent“, „Bennys Video“ und „71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls“.

1997. „Funny Games“ über Medien und Gewalt: Zwei Jugendliche quälen eine Familie zu Tode.

2000. „Code: unbekannt“ mit Juliette Binoche.

2001. „Die Klavierspielerin“ mit Isabelle Huppert. Großer Preis der Jury in Cannes.

2003.„Wolfzeit“. Wie die drohende Apokalypse Menschen unmenschlich macht.

2005. „Caché“ über eine durch Terror und Paranoia zerfallende Familie macht Haneke endgültig zum Regisseur von Weltrang. Drei Preise in Cannes.

2009. „Das weiße Band“: Goldene Palme in Cannes, ein Golden Globe, zwei Oscar-Nominierungen.

2012. „Liebe“. Goldene Palme in Cannes, fünf Césars, fünf Oscar-Nominierungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2013)

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