Beethoven, grob: Hat Jubel mit Qualität zu tun?

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Wie das ist, wenn ein zeitgenössischer Meister mehr verwöhnt wird als die großen Klassiker: Das Mahler Chamber Orchestra unter Andris Nelsons im Musikverein spielt Gruber, Haydn und Beethoven höchst unterschiedlich.

Ein einsames „Buh“ folgte der Wiener Erstaufführung von Heinz Karl Grubers „Busking“, einem Trompetenkonzert für Hakan Hardenberger, der das Werk im Goldenen Saal mit dem Mahler Chamber Orchestra unter Andris Nelsons zur Erstaufführung brachte. Nach einer halben Stunde der offenkundigen Kraftanstrengung lässt ein solcher Misston das Stimmungsbarometer irreparabel gegen null sinken, wenn auch mancher Musikfreund im Publikum mit Applaus den Fauxpas wettzumachen sucht.

„Mami, er hat überhaupt nicht gebohrt“, die alte Zahnpastareklame wendet man gern – und in der Regel mit zynischem Unterton – für musikalische Novitäten an. Sie würde auch, gar nicht zynisch, für „Busking“ passen, die Musik „tut nicht weh“. Wer mag, kann sie als sanftes, in den Ecksätzen swingendes, im Mittelteil traumverlorene Kreise ziehendes Klangtheater konsumieren.

Doch steckt in Grubers Partituren mehr, als der äußere Schein ahnen lässt. Was so harmlos scheint – virtuose Solomusik für einen Trompeter auf drei Instrumenten, mit und ohne Dämpfer, einmal jazzig verschoben, dann wieder sehr gradlinig daherkommend, zu zupfender Banjo- und Streicherbegleitung, mit einigen Harmonikatönen versetzt –, das lässt eine durchaus höchst intellektuell verschachtelte Struktur erahnen: Da herrscht nämlich komplizierteste Kontrapunktik, ein raffiniertes Mit- und Gegeneinander der Stimmen, das die Streicher des Mahler Chamber Orchestra konzentriert realisieren.

Der Applaus, das unbekannte Wesen

Andris Nelsons taktiert in diesem Fall präziser, weniger impulsiv, als wenn es um Wiener Klassik geht. Das bekommt dem Zusammenspiel – was sich beispielsweise an jenen Passagen ablesen lässt, in denen etwa die Primgeigen offenkundig parallel mit dem Trompetensolo laufen sollen. Sie tun's. Bei Haydns Trompetenkonzert hat man es zuvor nicht so genau genommen. Diese Darbietung grenzte in ihrer metrisch-rhythmischen Nonchalance an Schlamperei, unverzeihlich einem solchen Meisterwerk gegenüber. Hardenberger absolviert es wie eine Etüde.

Über die das Konzert rahmenden Beethoven-Darbietungen könnte vollends der Mantel des Schweigens gebreitet werden, wäre nicht auch da die Publikumsreaktion bemerkenswert gewesen: Jubel um eine Wiedergabe der Siebenten, die bar jeglicher Gestaltung, nur nach laut und leise differenziert, energiegeladen durchgepeitscht wurde. Gern würde man Nelsons, diesem offenbar ungemein begabten Musikanimateur, ins Stammbuch schreiben, dass es in der Interpretationskunst auch Kategorien wie Phrasierung und Klangregie gibt.

Er kann dergleichen lachend ignorieren. Karriere macht er in Zeiten wie diesen ja auf jeden Fall.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2013)

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