Staatsoper: Ein gar nicht gewöhnliches Aschenbrödel

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Sven-Eric Bechtolf inszeniert Rossinis „La Cenerentola“ als nie aufdringliche Komödie. Angelina Tara Erraught als bescheidenes Mädchen ist ebenso höhensicher wie Dimitry Korchak als Prinz ein stilsicherer Belcanto.

Der helle Jubel am Ende mochte gelernte Wiener Operngeher überraschen, gilt doch das Staatsopernpublikum als süchtig auf große Stimmen und laute Effekte. Doch betrachtet man Werke wie die „Cenerentola“ auch hierzulande längst nicht mehr quasi im Rückspiegel, sozusagen aus der Perspektive später Verdi-Opern.

Für altgediente Melomanen bedeutet das: Rossini ist nicht nur der Mann des blendenden Effekts, bei dem alles allegro con brio und kräftig artikuliert dahingeht. Die „Cenerentola“-Musik beginnt ja auch leise und verhalten – und besteht in der Folge nicht aus fortwährenden Explosionen, als wäre sie Klangkulisse eines dreistündigen, ununterbrochenen Silvesterfeuerwerks.

Die Pointen, die der Komponist setzt, sind in Wahrheit subtil hingetupft, blühen oft im Verborgenen. Das klein besetzte Orchester holt sie liebevoll in immer neuen, raffiniert gemischten Farbspielen ans Licht. Nur in den großen Ensembles ballt sich die vereinte Energie hie und da auch zu wirklichen Fortissimi.

Ein Meister der leisen Töne

Im Übrigen unterhält man sich eher im Flüsterton, denn Maestro Jesús Lopez Cobos bedient den Lautstärkeregler so behutsam wie er die Tempodramaturgie Rossinis auffächert: Aus einer oberflächlichen harmonischen Kulisse für vokale Hochseilakte wird unter seinen Händen dank des sensibel und mit spürbarem Animo mitgestaltenden Staatsopernorchesters eine bemerkenswert reich aufgefächerte Klangerzählung.

In diese sind die Stimmen eingebunden wie willige Marionetten ins feine musikalischen Bewegungsspiel. Niemals geht es um Eitelkeiten einzelner Virtuosen. Vielmehr wird, ganz im Gegenteil, gemeinschaftlich eine ebenso utopische wie liebenswerte Geschichte vom Triumph über ebensolche Eitelkeiten erzählt: „La bontà in trionfo“, so lautet ja der Untertitel, das Motto der Oper: Die Güte siegt.

Sie kommt im Gesang der Angelina Tara Erraught wunderbar zum Ausdruck: Die junge irische Debütantin gewinnt alle Sympathien, indem sie das Crescendo nützt, das Rossini seiner Titelheldin schenkt.

Dank der dramaturgisch so klar organisierten musikalischen Einstudierung dieser Produktion entfaltet sich dieses Crescendo fast unmerklich, dafür höchst effektiv: Wer würde dem bescheidenen Mädchen, das beim Putzen seine traurige Ballade vom brautwerbenden König in berührender Schlichtheit singt, die brillant funkelnden Koloraturen des Schlussrondos auch nur ansatzweise zutrauen? Erraught singt sie, blitzsauber und fein artikuliert bis in die höchsten Höhen, als sei das ganz selbstverständlich.

Das eben ist die Stärke dieser Aufführung: Auch der Prinz Ramiro von Dmitiry Korchak hat nicht die geringste Mühe mit den hohen Cs, die beinah im Dutzend zu liefern sind.

Der Tenor könnte schnelles Applausgeld machen, wenn er das Publikum ahnen ließe, wie schwer das eigentlich ist, was er da tut. Er fügt sich jedoch engagiert ins Ensemble, formt die Belcanto-Girlanden so stilsicher wie sein hochstapelnder Kammerdiener Dandini, Vito Priante, dessen Bariton herrlich agil und geschmeidig geführt ist.

Ildebrando d'Arcangelos weiser Lehrmeister Alidoro macht es den andern in philosophischer Abgeklärtheit vor: Hinter unscheinbarer Fassade können ungeahnte Kräfte schlummern – man kann sie schlau und vor allem auch mit Witz wachkitzeln.

Alessandro Corbelli lässt hören, dass er einst bei Riccardo Muti in der legendären Produktion von „Così fan tutte“ die nämliche Mischung aus Raffinement und Dezenz bei Mozart zu finden gelernt hat. So komödiantisch er seinen Don Magnifico auch anlegt, selbst in der alkoholseligen Kellermeisterszene wird das Spaß nicht ordinär.

Stimmlich aparte schöne Töchter

Die schönen Töchter dieses hintersinnigen Buffonisten geben Valentina Nafornità und Magarita Gritskova, stimmlich apart und wendig genug, um in den Quintetten und Sextetten die quirligen Oberstimmen lebendig zu gestalten.

Das alles fasst Sven-Eric Bechtolfs Regie zur gar nicht aufdringlichen Komödie zusammen, optisch nicht so fein differenziert, wie es der exquisite musikalische Schliff des Abends erfordern würde, doch hinreichend und vor allem störungsfrei arrangiert. Nur beim Chor verrät sich der Schauspieler im Inszenator: Da mangelt es an Bewegungsfantasie. Die Dekorateure, Rolf und Marianne Glittenberg, haben die Handlung in die Fünfzigerjahre des vorigen Jahrhunderts versetzt. Man bemüht das gesamte Personal eines Don-Camillo-Films inklusive Beppone, bereichert um einige Transvestiten und eine Nationalflagge, die Sichel und – nein, nicht Hammer, sondern Hummer zeigt. Das alles, weil unprätentiös, stört nicht – bis zur allerletzten Umbaupause: Jäh fällt nach einem Rezitativ der Vorhang. Es dauert zwei Minuten, bis die schönen italienischen Autos noch einmal auf die Szene fahren dürfen.

Wie stark die so unaufdringlich geknüpften musikalischen Bande dieser Aufführung sein müssen, lässt sich daran erahnen, dass sie auch über so viel dramaturgischem Ungeschick nicht reißen: Tara Erraught behielt die Nerven und erntete, wie schon gesagt, großen Jubel. Wiens Publikum ist ja doch hellhöriger, als sein Ruf wissen will.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2013)

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