Tanzen in der Oper, das kann gefährlich werden

Tanzen Oper kann gefaehrlich
Tanzen Oper kann gefaehrlich(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Alljährlich bittet man im Wiener Haus am Ring zum Opernball. Nicht die gleichnamige Operette aus der Feder des einstigen "Presse"-Musikkritikers steht auf dem Programm, sondern ein echter Ball!

Opernball! Getanzt wird zwar im Haus am Ring. Doch Oper und Tanz gelten hierzulande für viele als unvereinbar. In Paris, in London ist das anders. In Paris ist denn auch die Operettenhandlung namens „Opernball“ angesiedelt, Werk eines diesem Blatt als Nachfolger des legendären Eduard Hanslick eng verbundenen Rezensenten, Richard Heuberger.

Diesen „Opernball“ kennt man in unseren Breiten vor allem dank der Verfilmung. Oder besser: Dank der beiden Verfilmungen, denn Géza von Bolvarys Version von 1939 wurde in den Fünfzigerjahren durch ein Marischka-Remake ersetzt, in dem – obwohl 17Jahre vergangen waren – nach wie vor Theo Lingen als Kammerdiener und Hans Moser (samt legendärer Hustenattacke) als Oberkellner agieren.

Für den Film verlegte man das „Opernball“-Geschehen nach Wien, wo die Operette ja 1898 zur Uraufführung gekommen war, am selben Ort, an dem ein knappes Vierteljahrhundert früher auch Straußens „Fledermaus“ das Licht der Welt erblickt hatte.

Die spielt nun, wenn auch im Libretto kryptisch umschrieben, wirklich in Wien – oder jedenfalls in der Nähe jener Stadt, wo es möglich ist, um der theatralischen Pointe willen, alle Gesetze des Realismus außer Kraft zu setzen: Duidu, lalala, man kann es nur noch singen, nicht mehr sagen. Auf dem Gipfel des unirdischen Verbrüderungszeremoniells wird selbstverständlich getanzt – in allen aktuellen Inszenierungen, gegen die Vorschriften der Partitur, aber vollständig harmonisiert mit dem tieferen Sinn des geballten Unsinns, geht es im Polkaschritt dahin; zwecks allgemeinen Gegrapsches.

Ursprünglichster Theaterbrauch.
Der Ball als Angelpunkt musiktheatralischen Geschehens – das bringt uns, verschmitzt, etwas vom ursprünglichsten Theaterbrauch zurück. Gesungen und getanzt wurde vor Zuschauern ja schon, als sich noch kein Schauspieler hat einfallen lassen, einen Monolog zu sprechen. Irgendwann kristallisierten die orgiastischen Dionysien die ersten geformten Tragödien und Komödien aus. Und lange noch blieb der Chor, einst Tänzergemeinschaft, im attischen Drama zentrales Sprachrohr der Dichter.

Wer den Ball im Opernhaus für ein Unding hält, muss seine Argumentation in Wahrheit auf ein Missverständnis gründen. Er hat im Grafen Bardi jenen Mann zum Verbündeten, in dessen elitärer Florentiner Philosophenkammer einstens die Idee einer Wiederbelebung des griechischen Dramas geboren wurde. Man ging von falschen Voraussetzungen aus – sie führten auf kürzestem Weg zu dem, was wir heute als Oper kennen: Kleine Tänzchen umrahmten bestenfalls die seelenvollen Selbstbespiegelungen des singenden Menschen.

Nur in Frankreich war man gründlicher. Jean-Baptiste Lully stellte den singenden und tanzenden Menschen in den Mittelpunkt, den tanzenden König höchstselbst. „L'état c'est moi“ – Ludwig war nicht nur der Staat, er war auch das Theater. Die Mixtur aus Gesang und Tanz in Lullys Bühnenwerken blieb bindend für das französische Musiktheater. Noch Richard Wagner sollte das zu spüren bekommen. Dass Aschenbrödel ihren Prinzen nicht auf einem Ball bezaubert – wie soeben in Wien bei Rossini zu erleben – wäre in Paris undenkbar: Massenets „Cendrillon“ brilliert natürlich tanzend; wie einander Romeo und Julia selbstredend auch bei Gounod auf dem von Shakespeare vorgegebenen Maskenfest finden.

Schon Mozart zollte dem französischen Gusto Tribut – mit dem Erfolg, dass bis heute kein Regisseur etwas damit anzufangen weiß, dass nach Ende der „Idomeneo“-Handlung noch eine viertel Stunde lang Ballett zu inszenieren wäre. Der Tanz gehört für den „deutschen Geschmack“ nur dann in die Oper, wenn ein Meister ihn subtil zu integrieren weiß.

Fandango! Mozart verstand sich darauf bald virtuos. Wer hat schon bemerkt, dass sich der zentrale Konflikt zwischen den Ständen, der kritische Moment im ungleichen Kampf zwischen dem Diener Figaro und dem Grafen Almaviva, während des repräsentativen Fandangos ereignet? Eine Ballettszene von höchster Brisanz markiert auch den Höhepunkt der Verstrickungen im „Don Giovanni“: Da werden gleich drei verschiedene Tänze gleichzeitig musiziert und getanzt.

Und was bewirkt später, in einem Augenblick märchenhafter Bühnenmagie, Taminos „Zauberflöte“? Die Tiere lauschen – und tanzen, wie kurz darauf der böse Monostatos und seine Schergen zu den Klängen von Papagenos Glockenspiel. Dieses Instrument bezeichnen zeitgenössische Quellen übrigens als „stählern Glachter“, das Stahlgelächter also, metallenes Gegenstück zum Xylofon, das Carl Orff in seinem „Mond“ auf bajuwarisch apostrophieren lässt: „Lasst das hülzern G'lachter schwirr'n, 's treibt die Würmer aus dem Hirn.“

Der dadurch entfesselte Totentanz lässt sich vielleicht als „Einlage“ bezeichnen. Im „Wozzeck“ von Alban Berg ist der Tanz hingegen integrierender Bestandteil der Dramaturgie: Der arme Mann ertappt seine Marie mit dem Tambourmajor in flagranti – auf dem Tanzboden. Und er selbst wird nach dem Mord als Täter entlarvt, weil man das Blut auf seinem Arm entdeckt – beim wilden Tanz in der Spelunke.

Ländler der Lehrbuben.
Richard Wagner hat tänzerische Bewegung nicht immer freiwillig in seine Theaterfantasien eingebunden. Episode bleibt der Ländler der Lehrbuben in den „Meistersingern“, chthonische Gewalten setzen hingegen die Seeleute im dritten Akt des „fliegenden Holländers“ frei. Sie stampfen die finsteren Mächte der Unterwelt geradezu aus ihrem Tiefschlaf.

Aber eine Balletteinlage in seinem „Tannhäuser“? Paris bestand darauf. Die Herren des Jockey-Clubs wollten Pirouetten ihrer Püppchen sehen. Und zwar nach dem Diner. Nachdem man sich peu à peu in den Logen eingefunden hatte, sollte die Compagnie ihre große halbe Stunde haben.

Für Wagner hätte das bedeutet: eine hübsche Einlage in der Mitte seines Dramas, so etwa nach dem „Einzug der Gäste“ in die Wartburg. Jeder Pariser Librettist hätte dem deutschen Meister das so anempfohlen. Doch der setzte sein Ballett dorthin, wo er es dramaturgisch brauchen konnte, also zwecks Erotisierung der Atmosphäre in den Venusberg – daher nicht in die Mitte des „Tannhäusers“, sondern gleich an den Beginn, als unmittelbare Fortsetzung der Ouvertüre. Dem verdanken wir das grandiose „Bacchanal“, das die Herren vom Jockey-Club nicht sehen konnten, weil sie ja zu diesem Zeitpunkt im Restaurant erst bei den Austern angelangt waren. Als sie kamen und statt der Ballerinen den forschen Reinmar von Zweter dröhnen hörten, machten sie Skandal.

Es zeugt von sanfter Ironie, dass der Gralsritter Parsifal von Klingsors Blumenmädchen später genau im Zentrum des (gar nicht für Paris bestimmen) „Bühnenweihfestspiels“ neckisch umtanzt worden ist...

Wie man Tanz und Opernhandlung so innig miteinander verschwistert, dass sie nicht mehr zu trennen sind, demonstrierte auch Richard Strauss. Seine „Salome“ tanzt den „Tanz der sieben Schleier“ – ohne diesen hätte Johannes der Täufer seinen Kopf behalten! Und die „Elektra“ schwingt sich nach getanem Muttermord in Ekstase zu Tode: „Wer glücklich ist wie wir, dem ziemt sich nur eins, schweigen und tanzen“, jauchzt sie – im Walzerschritt.

Wo der Tanz sich nicht zwingend aus dem dramaturgischen Kontext ergibt, hat er in der Oper der Moderne keine Chance. Strauss selbst demonstriert in „Daphne“ noch einmal, wie man – wiederum im Angelpunkt der Handlung – sogar eine Ahnung antiker Bacchanalien heraufbeschwört: Im rituellen Tanz entlarvt Apollo den Betrug an seinem Bruder Dionysos.

Ein Fest als Kulisse für Königsmord. Einen veritablen Ball zauberte der Komponist bereits in „Arabella“ auf die Opernbühne. Dichter Hofmannsthal verknotete die Handlungfäden zum Walzertakt eines „Fiakerballs“ – mit komödiantischem Ausgang, gottlob. Es ist ja ein freundlicher Akt, dass die Staatsoper nur noch heute, Sonntag, Abend – also mit gehörigem Abstand zum kommenden Donnerstag – Verdis „Ballo in maschera“ auf dem Programm hat. Roberto Alagna erliegt da gegen 21.55 Uhr noch einmal als tenoraler Held einem Mordanschlag.

Ein glanzvolles Fest als Kulisse für einen Königsmord! Noch dazu getreulich der schwedischen Geschichtschronik folgend: Gustav III. wurde tatsächlich 1792 Opfer eines Attentats während des berüchtigten Maskenballs, der der Oper den Titel gab.

Wir wollen es vor kommendem Freitag nicht weitersagen: Es war ein Ball im königlichen Opernhaus. Opernball!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.