Die Wiener Philharmoniker entkräften Adorno

Wiener Philharmoniker entkraeften Adorno
Wiener Philharmoniker entkraeften Adorno c EPA HERBERT NEUBAUER
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Unter Franz Welser-Mösts Leitung musiziert man Bruckner wie in guten alten Zeiten - und erreicht mit Frank Peter Zimmermann bei Bergs Violinkonzert einzigartiges Niveau für die Wiener Schule.

Irgendwo schreibt Theodor W. Adorno einmal, selbst sein über alles geliebter Lehrmeister Alban Berg sei nicht vor Trivialitäten gefeit gewesen – und führt ein Walzermotiv aus dem Violinkonzert als Beispiel an. Der Philosoph saß da einem Irrtum auf. Das haben die Wiener Philharmoniker jetzt bewiesen. Unter Franz Welser-Mösts Leitung, mit dem phänomenalen Frank Peter Zimmermann als Solisten, erreichten sie eine neue Stufe in der Bewusstseinsbildung für die Qualitäten der sogenannten Neuen Musik.

Als solche gilt Bergs frei nach Schönbergs Zwölftonmethode gearbeitetes Violinkonzert nach wie vor, obwohl seine Entstehung mittlerweile 78 Jahre zurückliegt.

Oder besser gesagt: Es galt als „neu“, das heißt schwer verständlich. Bis vergangenen Mittwoch. Denn die Aufführung im Goldenen Musikvereinssaal könnte als Meilenstein in die Annalen der Aufführungsgeschichte eingehen.

Frank Peter Zimmermann spielt den Solopart, der ihm offenbar vertrauter ist als seine Westentasche, mit einer Tongebung und geschmeidigen Phrasierungskunst, die man gemeinhin für die Musik eines anderen Wiener Meisters, Fritz Kreisler, einfordert.

Das ist nicht unpassend, ganz im Gegenteil, schreibt doch Berg immer wieder geradezu „wienerische“ Spielweisen vor und zitiert nebst einem Bach-Choral auch eine anzügliche Kärntner Volksweise.

Requiem für Alma Mahlers Tochter

All das baut er bruchlos in sein Zwölftongeflecht ein, das zudem eine innere Handlung hat – erzählt das Violinkonzert doch die Geschichte von Alma Mahlers Tochter Manon, die als Jugendliche der Kinderlähmung erlag: Ihre poetische Natur, aber auch den qualvollen Todeskampf und die „Himmelfahrt“ (daher der Bach-Choral) bilden das dramaturgische Gerüst der Komposition.

Zimmermann und die Philharmoniker lassen die Geschichte bilderreich erstehen, musizieren bei allen dramatischen Entladungen auch mit einem Bewusstsein für die kammermusikalischen Finessen dieser Partitur – und binden so bitteren Ernst und (apropos Adorno) scheinbare Trivialität zu einem bunten, ebenso bitteren wie tief schönen, tönenden Lebenspanorama. So natürlich hat dieses Konzert noch nie geklungen.

Es ist wunderbar, dass die Philharmoniker mit Zimmermann nun auf Tournee gehen und diese stringente Interpretation international bekannt machen; und dazu mit Welser-Möst auch noch Bruckners Vierte – in der formal so zwingenden allerletzten Fassung von 1888 – im Reisegepäck haben.

Den Bruckner empfanden wohl manche Wiener Hörer als ein Déjà-entendu-Erlebnis: So selbstverständlich, so strahlend und groß in den Steigerungen, so melodisch empfunden noch in den Blech-Chorälen hat man Bruckner hierzulande einmal gespielt.

Plötzlich hört man es wieder, als ob es in solcher Spieltradition gar keine Unterbrechung gegeben hätte...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2013)

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