Die Pest im Burgtheater

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Regisseur Sebastian Hartmann versucht sich am Stoff von „Romeo und Julia“ und entwickelt dazu seltsame Bilder. Er hätte es lieber bleiben lassen sollen.

Sebastian Hartmann hat ein Kunststück vollbracht; es ist ihm gelungen, ein Team renommierter Schauspieler zwei Etagen unter Niveau spielen zu lassen. Teilte man aus wie Frank Castorf oder ein anderer unerbittlicher Prinz des Zeitgeistes, müsste man nach der Premiere von „Romeo und Julia“ am Donnerstag schreiben: „Ein mitteldeutscher Spießer, ein schnöder Knecht der Mode und des Systems, hat mehr als zwei Stunden lang halb gare Ideen aus seinem Schädel gerotzt. Schuld daran ist wie immer das Publikum, denn warum lässt es sich diese Instant-Soße überhaupt vorsetzen?“

Präziser ausgedrückt: Hartmanns Interpretation war der bisherige Tiefpunkt des Shakespeare-Zyklus im Burgtheater. Dabei hat er doch so viel gewollt! Beginnen wir mit den Bildern: Bühne (Jürgen Bäckmann) und Kostüme (Moritz Müller) sind ein kunsthistorischer Zitatenschatz, der vom Trecento bis zu Caspar David Friedrich reicht. Am Anfang herzt sich ein Paar in einer spätromantischen Hütte, es dämmert der Kitsch. Die Montagues und Capulets mit ihren lächerlichen Schaukämpfen haben sich ihre Kleider aus dem Fundus italienischer Meister ausgeborgt, es dämmert die Renaissance. Sie wird zur Charade, ein Flascherl Botticelli, ein Schnitzerl Zeffirelli, ganz à la carte, Scherzchen ohne Ironie und tiefere Bedeutung. In der Gruft der Capulets regnet es schließlich Leichenteile, sie bedecken die Bühne – es dämmert der Schrecken des Krieges, Goya feiert Auferstehung im Set eines Zombie-Films.

Ein verhuschter Geist

Ach ja, im Programmheft lässt uns der Regisseur wissen, wo er den Stoff „verortet“; in der Zeit der großen Pest. Potztausend, wenn das Shakespeare gewusst hätte! Er hätte prompt das Theater sperren lassen. Die Pest im Burgtheater! Vielleicht hätte er dazu noch das eine oder andere Sonett gedichtet.

Aber Shakespeare ist nicht Hartmann, und deshalb können die beiden auch nicht zueinander finden. Was mangelt also dieser Inszenierung? Es fehlt ganz einfach der Respekt vor dem Text, der unter einem Wust seltsamer Bilder und hysterischer Aktionen verschwindet. „Romeo und Julia“ muss nicht gewaltsam vom Kitsch entkleidet werden, das besorgt Shakespeare selbst. Sein Drama ist an sich ein raffiniertes Gewebe, aus vulgärer wie auch aus edler Sprache gemacht. In den wildesten seiner Komödien gibt es nicht derart viele sexuelle Anspielungen wie in diesem Stück. Das angeblich Romantische, die ersten Liebesschwüre sind starre elisabethanische Tradition, hohle Formen, die erst im Verlauf der Handlung von subtiler Dichtung abgelöst werden.

Diese Entwicklung aber unterschlägt die Inszenierung. Sie wird zum Ego-Trip eines Interpreten, der sich mit der Keule durch die Kulturgeschichte schlägt. Was wurde zum Beispiel bloß aus der Titelrolle? Julia Hartmann kann sich nicht entscheiden, ob sie ein abgebrühtes Girlie oder ein hysterisches Mäderl geben soll. Also spielt sie vorsichtshalber die Schauspiel-Schülerin, die nach dem Vorsprechen eben nicht genommen wird. Sie ist überfordert, und das möchte man ihr gar nicht übelnehmen. Denn auch die sonst so glänzende Mareike Sedl, für die man die Rolle eines Geistes erfunden hat, macht einen völlig verhuschten Eindruck. Am Ende wird sie gezwungen, mit riesigen Engelsflügeln zu entschweben, auf die Liebespaare projiziert werden. (Fast wäre die Hoffnung in Erfüllung gegangen, dass ausnahmsweise zumindest das Video-Element ausbliebe).

„Warum hast du so große Hände?“

Martin Schwab wirkt lustlos in der Darstellung des völlig vertrottelten Clan-Führers Capulet, und niemand Geringerer als Kirsten Dene muss eine beinahe humorlose Amme geben. Myriam Schröder (Lady Capulet) werden Sätze unterschoben wie „Warum hast du so große Hände?“ Kein Wunder, dass die Frauen schubweise in Hysterie verfallen – vielleicht war das gar nicht so vorgesehen, sondern eine natürliche Reaktion auf allzu viel Regie. Bruder Lorenzo (Thomas Lawinky) entwickelt andere Überlebensstrategien. Er säuft den Trank, den er auch Julia verabreicht, im Akkord. Müsste man wählen, wer die dankbarste Rolle spielt, Lawinky wäre der erste Kandidat.

Und nun zu den Nackten: Romeo (Sven Dolinski) darf ihn herzeigen, Mercutio (Markus Meyer) auch, und der muss sogar ein bisschen ins Publikum springen und die Bürger an-agitieren. Die Buben zucken und brüllen wie bei einer mittelalterlichen Geißler-Show, sie sind, soweit man das aus dem Parkett „verorten“ konnte, anständig bestückt. Burgtheater-Durchschnitt, fast schon Josefstadt, konnte man in der Pause Größenvergleiche aufschnappen. Benvolio (David Oberkogler) und Tybalt (Patrick O. Beck) bleiben ziemlich sittsam, sind aber auch bald tot. (Sie wissen, die Pest...)

Und noch ein paar Restbilder

Merke: Frauen oder Waschlappen sind Hysteriker, Lover und Fighter frönen dem Veitstanz, besonders in Zeiten radikaler Veränderung. Und wenn einen das Ende der radikalen Umbrüche nicht interessiert, wie es offenbar bei diesem Regisseur der Fall ist, dann macht man nach der Pause binnen 25 Minuten den Sack zu und schert sich nicht mehr um den fünften Akt, sondern arbeitet die Bilder ab, die nicht in die ersten vier Akte gepasst haben. Romeo sticht eine Melone auf und frisst sie, der Todesengel singt, Julia wird wieder einmal hysterisch. Es darf gebrüllt werden: „Es war die Nachtigall und nicht die Lerche!“ Der Geist (Schwester Tod? Die Pest? Ein verirrter Flugsaurier?) spreizt die Riesen-Flügel, weint. Jetzt kommen wahrscheinlich alle in den Himmel. Weil sie so post-romantisch waren.

ZUR PERSON. S. Hartmann

Der gebürtige Leipziger, Jahrgang 1968, übernimmt 2008 das Schauspielhaus seiner Heimatstadt. Am Burgtheater inszenierte er bereits Hauptmanns „Vor Sonnenuntergang“ und Hesses „Steppenwolf“. [Bruckberger]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2007)

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