Don Juan und die Unschuld der Frauen

SALZBURGER FESTSPIELE 2014: FOTOPROBE 'DON JUAN KOMMT AUS DEM KRIEG'
SALZBURGER FESTSPIELE 2014: FOTOPROBE 'DON JUAN KOMMT AUS DEM KRIEG'APA/BARBARA GINDL
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Sie sind allzu gutgläubig oder einfach nur verliebt: Anlässlich von Horváths "Don Juan kommt aus dem Krieg" in Salzburg ein Exkurs über die Donna Annas und Elviras bei Molina, Molière, Mozart und Co.

Haben sie oder haben sie nicht? Wollte sie oder wollte sie nicht? Heuer in Salzburg war die Sache jedenfalls klar. Sven-Eric Bechtolf ließ in seiner Interpretation von Mozarts „Don Giovanni“ keinen Zweifel daran, was vorgefallen war zwischen dem Titelhelden und Donna Anna in jenen geheimnisvollen Minuten, bevor der Vorhang sich hob. Sie haben. Sie wollte. Als sie nämlich später ihrem Don Ottavio von den Ereignissen dieses Abends berichtet, lässt Bechtolf sie in Erinnerungen regelrecht schwelgen; dabei räkelt sie sich lasziv auf dem Boden.

Botschaft angekommen. Ganz unschuldig ist Donna Anna bei Mozart/Da Ponte nicht. Und nein, das ist keineswegs eine abwegige Interpretation des Regisseurs, das lässt sich der Partitur entnehmen: Wenn Donna Anna um Hilfe ruft, tut sie das in einer Tonlage, die eher verhindert, dass jemand sie hört. So tief ruft keiner, der wirklich gerettet werden will. Don Giovanni brauchte also nicht Gewalt – sein Charme allein dürfte ihn ans Ziel geführt haben.


Unterhaltsame Sünden. Undenkbar wäre das noch im Original gewesen bzw. im ältesten Stück, das uns überliefert ist. Tirso de Molina, ein Mercedarier-Mönch, schrieb „Der Spötter von Sevilla und der steinerne Gast“ um 1619. Er bediente sich dafür der Volkssage vom Don Juan, der reihenweise Frauen entehrt, bevor Gott ihn mithilfe einer lebendig gewordenen Statue in die Hölle schickt.

Das Stück erbaute die Mönche. Kein Wunder, immerhin ging es um das theologisch umstrittene Thema des freien Willens! Molina schrieb das Stück – zumindest vordergründig – ganz auf das Gottesgericht hin. Da traf es sich gut, dass er, um die Rechtmäßigkeit der Strafe vor Augen zu führen, davor lang und breit von unterhaltsamen Sünden erzählen musste. Dieser Don Juan ist übel: Er gibt sich als Bräutigam der Herzogin Isabella aus, lässt ein Fischermädchen betrogen zurück und versucht, dem besten Freund die Dame auszuspannen. Jede Warnung vor Gottes Rache schlägt er in den Wind. Dieser Don Juan ist nicht in einer Midlife Crisis, er kommt auch nicht wie bei Horváth aus dem Krieg oder wird an der Liebe zur Geometrie gehindert wie bei Max Frisch – hier ist einer lustvoll böse. „Meine höchste Lust von jeher war's, / ein Weib verführen und entehrt verlassen.“

Und die Frauen? Damit das Dunkle dunkler wirkt, muss das Helle heller glänzen, so sind die Frauen hier allesamt tugendhaft – und ihre Schmach wird breit geschildert. Als Isabella um Hilfe ruft, bringt sie sich erst recht in die Bredouille, keiner will hören, wie der Mann in ihr Zimmer gekommen ist. Genauso übel wird dem Fischermädchen mitgespielt: Tisbea ist die reine Unschuld, noch nie hat sie des Amor Pfeil getroffen. Da kommt Don Juan. Er liebe sie, er werde sie vor den Altar führen! Sie ist misstrauisch, er greift zu einem alten Trick: „Wenn du Lieb' empfändest / Gäbst du meinem Herzen Ruh.“

Als sei das nicht genug, stiehlt er dem Mädchen für die anschließende Flucht zwei Stuten aus dem Stall.

Vier Geliebte an einem Tisch. Das wirkt nur auf den ersten Blick frauenfreundlicher als bei Mozart. Denn erstens bleiben die Frauen bei Molina Mittel zur Demonstration, zweitens lässt der Autor durchblicken, dass wir es hier mit eher raren Exemplaren der Weiblichkeit zu tun haben. „Das treueste Weib ist nur ein Weib“, heißt es an einer Stelle. Und an einer anderen wird bedauert, dass der Mann in seiner Ehre auf die Tugendhaftigkeit der Frau angewiesen ist. „Ach, arme Ehre!/ Wenn du des Mannes Seele bist, warum / Vertraut man dich dem unbeständgen Weib /Das doch der Leichtsinn selber ist?“.

Misogyne Äußerungen findet man übrigens später ausgerechnet bei Horváth wieder, und zwar im Vorwort zu seinem „Don Juan kommt aus dem Krieg“, das heute, Sonntag, bei den Festspielen Premiere hat: Für die 35 Frauen, die vorkommen, seien keine 35 Schauspielerinnen nötig, meint er da, jede Akteurin solle mehrere Rollen spielen. Das diene nicht nur der Aufführbarkeit des Stücks, sondern sei Resultat einer alten Erkenntnis: „Es gibt nämlich keine fünfunddreißigerlei Frauen, sondern bedeutend weniger.“

Für solche Herablassung sind ihm die Frauenfiguren doch recht differenziert geraten: Etwa die Zimmerwirtin, eine durch Krieg und Inflation um ihr Vermögen gebrachte Witwe: Wie heißt es so schön? Gelegenheit macht Liebe. Und die hübsche Szene, in der sich vier durchaus arrivierte Damen beim Tee treffen! Nach und nach entdeckt der Zuschauer, dass sich alle vier mit Don Juan vergnügen und darüber auch gerne den einen oder anderen obszönen Spaß machen. Don Juan als Lustobjekt!

Die zu Beginn der Handlung schon verstorbene Anna ist die einzige Frauenfigur bei Horváth, die noch an Molinas Vorlage erinnert: Die Unschuld, der sprichwörtlich das Herz gebrochen worden ist. Der Steinerne Gast ist hier das Grabmal der Betrogenen.

Da sind die gebrochenen Charaktere schon interessanter, von ihnen gibt es einige schon wenige Jahrzehnte nach Molina – bei Molière. Sein Bauernmädchen heißt Charlotte, und ist eher eine Hantige. Zwar ist sie ihrem Pierrot versprochen, aber so recht entflammt ist sie nicht für ihn, umso leichteres Spiel hat Don Juan: Er verspricht ihr die Ehe – und damit den sozialen Aufstieg. Pech nur, dass Pierrot in die Szene platzt und seinen Besitz verteidigt – oder das, was er für seinen Besitz hält. „Pierrot, das ist gar nicht so, wie du denkst!“, erklärt Charlotte: „Der gnädige Herr will mich heiraten. Wenn du mich liebst, dann solltest du dich freuen, dass ich eine Gnädige werde.“

Mozarts Zerlina ist aus demselben Holz geschnitzt – wenn auch ein wenig diskreter. Auch bei ihr braucht es nur die Aussicht auf eine bessere Partie, damit sie ihrem Masetto Hörner aufsetzt. Doch tut sie zumindest so, als würde sie sich sträuben! Kierkegaard jedenfalls fasst zusammen: „Wer durchaus ein ungewöhnliches Mädchen in ihr sehen will, beweist, dass er Mozart total missverstanden und falsche Kategorien angewandt hat. Zerline ist jung und hübsch, worin hundert ihr gleich sind. Für Don Juan ist jede wie alle, jedes Liebesabenteuer eine Alltagsgeschichte.“


Wahnvorstellungen.
„Der Abstieg des sündhaften Don Juan von Tirso de Molinas verwegenem Übermenschen zu einem Fall für den Psychiater stellt sicherlich eine härtere Strafe dar, als ihm eigentlich gebührt“, meinte einst Armand E. Singer. Im Film „Don Juan de Marco“ landet Johnny Depp wegen Wahnvorstellungen in der Klinik! Dennoch, auch als seltsamer Fall liegen ihm die Frauen zu Füßen, wenn auch nicht ganz so, wie er sich das gerne vorstellt.

Aber was finden sie an ihm? Warum nur ist Molières Elvira so in Don Juan verschossen, dass sie den, der sie so schnöde sitzen gelassen hat, retten will? Warum findet Horváths Teerunde an dem Kriegsheimkehrer Gefallen? Warum lässt sich Mozarts Donna Anna – wenn Bechtolfs Interpretation stimmen sollte – mit dem „Wüstling“ ein? Warum überschreitet die Mutter der Braut bei Max Frisch jede Grenze und verführt den Bräutigam der eigenen Tochter? Noch dazu, wo der für Frauen gar nicht viel übrighat? „Ich kann keine Damen mehr sehen noch hören“, sagt er: „Ich verstehe die Schöpfung nicht. War es nötig, dass es zwei Geschlechter gibt?“


Ironiker, Freigeist. Viel wurde spekuliert über die Anziehungskraft des Ironikers, über den Freigeist, der sich über die Normen und Werte hinwegsetzt – Molières Don Juan ist Atheist! – und so als Projektionsfläche weiblicher Freiheitswünsche dient; darüber, wie umwerfend so ein unbedingtes Begehren sein kann.

Vielleicht ist es aber ganz einfach, vielleicht ist es so wie in diesem bösen Comicstrip über das richtige Flirten: Er besteht aus zwei Bildern, beide zeigen eine Frau, die an der Bar sitzt, und einen Typen, der hereinkommt und sie anmacht: „Hey, Baby!“, ruft er. Über dem linken Bild steht „Richtig“. Über dem rechten Bild steht „Falsch“. Warum? Der Mann auf dem linken Bild schaut aus wie George Clooney.

Stücke

Tirso de Molina, eigentlich Gabriel Téllez, verfasste „Der Spötter von Sevilla und der steinerne Gast“ um 1619. Der Held bereut – aber erst kurz vor der Höllenfahrt. Ein Lehrstück.

Molières
„Don Juan“ entstand nur wenige Jahrzehnte später, uraufgeführt wurde das Stück 1665. Sein Verführer ist ein Freigeist – und Atheist!

Ödön von Horvath zeigt in „Don Juan kommt aus dem Krieg“ einen gebrochenen Frauenhelden. Er will seine Fehler gutmachen und scheitert.
Max Frischs
Titelheld in „Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie“ verführt gar niemanden – er wird von den Frauen verführt und damit auch nicht wirklich glücklich.

Termine

Horváths „Don Juan kommt aus dem Krieg“ in der Inszenierung von Andreas Kriegenburg mit Max Simonischek als Kriegsheimkehrer und Frauenheld hat heute, Sonntag, bei den Salzburger Festspielen Premiere. Gespielt wird das Stück bis 27. August (außer 22., 25. August), jeweils um 19.30, Perner-Insel, Hallein.

Mozarts „Don Giovanni“ wird noch am 18. August gezeigt, die Vorstellung ist allerdings ausverkauft. Servus-TV hat die Oper aufgezeichnet, sie wird am 31. August ausgestrahlt (11.05).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2014)

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