Klänge als Geheimnisträger: Salvatore Sciarrino in Salzburg

Die Reihe „Kontinent Sciarrino“ endete mit Konzerten von „ensemble recherche“ und Klangforum Wien unter Simone Young. Jubel.

„Zwei Dinge auf der Welt kann man nicht erlangen: schön sein und singen können.“ Ein Sprichwort aus Umbrien, das der sizilianische Komponist Salvatore Sciarrino selbstironisch gerne auf sich bezieht – und sogar in Musik setzte: als schalkhaftes Ende seiner „Quaderno di strada – 12 canti e un proverbio“. Da turnte der feinsinnige Bariton Otto Katzameier im Salzburger Mozarteum olympiareif durch die Stimmregister, während die Holzbläser des Klangforum Wien grotesk dazu kicherten, alles tadellos organisiert von Simone Young am Pult: der pointierte Abschluss der herzlich und ausdauernd bejubelten neunten, letzten Festspiel-Expedition in den „Kontinent Sciarrino“.

„Notizbuch der Straße“

Gewissermaßen eine klingende Aphorismensammlung, vereint dieses „Notizbuch der Straße“ unterschiedlichste Zitate und Fragmente vom aktuellen Graffito bis zu 350 Jahre alter javanischer Lyrik, musikalisch zwischen modulierter Sprache, Sprechgesang und herkömmlichem Rezitativ so flexibel und textnah umgesetzt, gleichzeitig instrumental so beredt durchleuchtet und kommentiert, dass auch das vermeintlich Floskelhafte zu Leben erwacht. Höhepunkte in diesem weitmaschigen, doch fest geknüpften Netz: die dumpf-düstere Klage um die von fanatischen Christen ermordete spätantike Mathematikerin Hypatia; ein Gedankensplitter des Barockmalers Donato Creti, der den Betrachter seiner Bilder um Mitleid bittet – gekleidet in unvergessliche Streicherklänge.

Delikat dosierte Brachialgewalt

Und wenn es so etwas gibt wie delikat dosierte und gelenkte Brachialgewalt, dann hat Nicholas Hodges sie vor der Pause bewiesen, als er Sciarrinos sechs „Notturni“ in den Flügel hämmerte oder streichelnd aus ihm herauswischte – wobei auch die vermeintlich stummen Geräusche der Mechanik zu Musik wurden: Klänge als Geheimnisträger.

Solche hatten auch am Abend zuvor die Universitätsaula erfüllt: Bei Isabel Mundrys behutsamen Bearbeitungen“ von Chansons von Guillaume Dufay (15.Jahrhundert) für Instrumentalensemble wird Benjamins Definition der Aura als „Erscheinung einer Ferne, so nah sie auch sein mag“ regelrecht komponiert. Das leise Klopfen von Stein auf Holz, das Atmen der Musiker des sensiblen „ensemble recherche“ in die hohlen Hände vor dem Gesicht: Über solch kaum hörbare Geräuschaktionen stiehlt sich die Musik ins Klingende erst hinein, verweist dabei auf noch fernere Vergangenheit und unsere Gegenwart gleichermaßen, entfaltet im nur leicht verfremdeten, sonst originalen Stimmenverlauf eine poetische Qualität, die den Hörer anzieht, um ihn durch etliche Zäsuren wieder Abstand gewinnen zu lassen – ein Wechselspiel von eigenem Reiz.

Sciarrino schreibt ja immer wieder musikalische Kunst-Reflexionen: Im Trio „Omaggio a Burri“ etwa setzte er dem 1995 verstorbenen italienischen Maler Alberto Burri ein klingendes Denkmal, indem er Klappengeräusche von Altflöte und Bassklarinette (wie leise aufschlagende Tropfen) und flatternde Violin-Erregung zu einem schillernd-widersprüchlichen und doch schlüssigen Ganzen verband. Das Streichtrio „Codex purpureus“ gemahnte gleichfalls an Wasser – ein scheinbar unbewegter, doch immer wieder aufs Neue gekräuselter und belebter Ozean von großer Schönheit, dem in „Muro d'orizzonte“ durch hupende Multiphone geradezu frech-humorvolle Klänge gegenüberstanden.

Beat Furrer mit Vokalwerken

Dass dem Lauteren nicht automatisch besser zugehört wird, weiß auch Beat Furrer: Er hat in Salzburg Sciarrinos Oper „Luci mie traditrici“ dirigiert und war als Komponist mit dem spannenden Hörtheater „Fama“ ebenso vertreten wie mit zwei kleineren Vokalwerken. In einer Sciarrino nicht unähnlichen, aber doch ganz eigenen Art schickt er sich an, den Gesangston zwischen Plappern, Wispern und Zischen vom Instrumentalen her neu zu erringen („Invocation“), inszeniert in „Aria“ nach erregt grundiertem Stottern einen poetisch schönen Abschied – beides mit der Sopran-Akrobatin Petra Hoffmann.

Dass der „Kontinent Sciarrino“ nach diesem erfolgreichen Salzburger Sommer nicht mehr von der Hörlandkarte verschwinden muss, dazu tragen zwei ambitionierte CD-Labels bei (siehe Kasten). Wer Furrers „Fama“ über Super-Audio-CD in Dolby-Surround erleben will, wird gar in den Katalogen beider Firmen fündig: Gute Zeiten also für Leute, die ihre Ohren weiter offen halten.

Mitschnitte auf Ö1: 21. + 22.8., 23.05 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2008)

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