Das Neujahrskonzert: Eine Goldgrube wird 75

Am ersten Jänner der Mittelpunkt der Fernsehwelt: Der Goldene Saal des Wiener Musikvereins
Am ersten Jänner der Mittelpunkt der Fernsehwelt: Der Goldene Saal des Wiener MusikvereinsAPA/HANS PUNZ
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Die ersten Neujahrskonzerte fanden während der NS-Zeit statt. Doch bevor die Nazis sich die Strauß-Dynastie zunutze machen konnten, musste erst einmal deren jüdische Herkunft verschleiert werden.

Wenn man es ganz genau nimmt, ist der Titel dieses Artikels falsch. Die Wiener Philharmoniker spielten nämlich  vor 75 Jahren ein Konzert zum Jahreswechsel. Die ersten Takte des Strauß-Programms unter der Leitung von Clemens Krauss erklangen "präzise 1/2 12 Uhr mittags" - allerdings schon am Silvestertag. Streng genommen schlug also die Geburtsstunde des "Neujahrskonzerts" erst am 1. Jänner 1941. Seither ist dieser Termin in Stein gemeißelt, bis auf eine Ausnahme: Nachdem Karl Renner, erster Bundespräsident der Zweiten Republik, am 31. Dezember 1950 gestorben war, empfand man Walzerseligkeit am Tag darauf als pietätlos, das Konzert wurde kurzfristig um zwei Wochen verschoben.

Trotzdem, der Einfachheit halber: 75 Jahre Neujahrskonzert. Ein Grund zum Feiern, eigentlich, nicht nur für alle, die an der Vermarktung des (medialen) Großereignisses bestens verdienen. Doch auf der Homepage der Wiener Philharmoniker wird das Jubiläum nicht groß herausgestrichen. Dies dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass die Tradition dieser Konzerte in der NS-Zeit begründet wurde, und der Erlös in diesen Jahren Aktionen bzw. Einrichtungen des NS-Staates zu Gute kam, 1939 etwa dem "Kriegswinterhilfswerk" oder im Jänner 1941 der KDF ("Kraft durch Freude"). Ein Slogan wie "Tradition seit 75 Jahren" könnte da allzu leicht missverstanden werden.

Klar ist, dass dem NS-Regime ein Konzert mit Wiener Walzern, Polkas und natürlich auch Märschen (wobei der Marsch in der traditionellen Wiener Musik ja recht wenig Militärisches an sich hat) zur Zerstreuung während der Kriegsjahre recht zupass kam. "Erfunden" wurden die Strauß-Konzerte der Wiener Philharmoniker (die bei dem Repertoire zu dessen Entstehungszeit noch durchaus gefremdelt hatten) aber weder vom Wiener Gauleiter Baldur von Schirach oder gar von Propagandaminister Joseph Goebbels, sondern vom Dirigenten Krauss selbst, der Walzer-Konzerte bereits 1929 bei den Salzburger Festspielen eingeführt hatte. Neu war lediglich der Termin.

Der Begründer: Clemens Krauss rief die Strauß-Konzerte zum Jahreswechsel ins Leben
Der Begründer: Clemens Krauss rief die Strauß-Konzerte zum Jahreswechsel ins LebenWiener Philharmoniker

Bevor sie dem NS-Regime posthum zu Diensten sein konnte, musste die Familie Strauß beziehungsweise ihr Stammbaum allerdings erst zurechtgebogen werden. Johann Michael Strauß war nämlich nicht nur der Großvater von Johann Strauß Vater, sondern auch (getaufter) Jude, Strauß Vater gemäß den "Nürnberger Rassegesetzen" also "Vierteljude". Und das ging, wie man heute sagen würde, gar nicht. Was also tun? Die Musik der Sträuße verbieten ging ebenso wenig, also wurde kurzerhand das Beweismittel, der Eintrag im Trauungsbuch von St. Stephan, retuschiert.

Die Strauß-Konzerte der Wiener Philharmoniker zum Jahreswechsel wurden nach Kriegsende beibehalten, 1946 und 1947 unter der Leitung von Josef Krips,der nicht nur die ersten Wiener Opern-Produktionen nach dem Krieg geleitet hat, sondern überhaupt für den Wiederaufbau des Musiklebens in Wien unschätzbar wichtig war. Ab dem 1. Jänner 1948 übernahm aber schon wieder Clemens Krauss die Stabführung, nachdem dessen von den Alliierten verhängtes Berufsverbot wieder aufgehoben war. Was Krauss' Strauß-Interpretationen hervorhebt, ist ein singuläres Gefühl für das bei dieser Musik so essentielle Rubato, das in den späteren Jahrzehnten abgesehen von Carlos Kleiber und Herbert von Karajan kaum ein Nachfolger erreichte, doch letzterer stand nur einmal (1987), Kleiber zweimal am Neujahrspult (1989, 1992).

Konzertmeister und
Konzertmeister und "Stehgeiger" Willi Boskovsky leitete das Konzert von 1955 bis 1979Archiv

Spektakulär war die Entscheidung der Wiener Philharmoniker, nachdem Krauss 1954 das Zeitliche gesegnet hatte: Sie hoben nämlich einen der ihren auf den Schild, ihren legendären Konzertmeister Willi Boskovsky. Das war zwar nur ein Provisorium für den 1. Jänner 1955, aber wie das nun einmal in Österreich so ist, setzt sich nichts dauerhafter fest als eine Übergangslösung, und so "regierte" Boskovsky, bis er 1980 aus gesundheitlichen Gründen verzichtete. Bis dahin hatte er allerdings das Neujahrskonzert und vor allem auch das Bild davon als "Stehgeiger" maßgeblich geprägt, wurde doch das Ereignis seit 1959 im TV ausgestrahlt.

Nach Boskovsky durfte wieder ein ausgebildeter Geiger ans Pult treten, der allerdings das Dirigieren auch im Hauptberuf ausübte: Lorin Maazel. Auch er hatte einige Zeit ein Abonnement (1980 bis 1986) und ist nach vier weiteren Auftritten (zuletzt 2005) quantitativ klar die Nummer drei der Neujahrsdirigenten, für Connaiseure zudem einer derer, die ein recht gutes Händchen für die Wiener Musik hatten, was sich nicht von allen Nachfolgern uneingeschränkt behaupten lässt.

1987 wurde die Ordnung dann umgestoßen, man setzte fortan auf Abwechslung und bittet seither jedes Jahr einen anderen Dirigenten ans Pult. Den Anfang machte gleich einer der größten: Karajan. Sein Auftritt blieb in jeder Hinsicht singulär.

Carlos Kleiber: Seine Auftritte 1989 und 1992 zählen zu den legendären Neujahrskonzerten
Carlos Kleiber: Seine Auftritte 1989 und 1992 zählen zu den legendären NeujahrskonzertenArchiv

Wer ragte seither sonst noch heraus aus der illustren Reihe der Neujahrsdirigenten? Sicherlich Carlos Kleiber, der 1992 ein zweites Mal das Neujahrskonzert dirigieren konnte, weil der eigentlich vorgesehene Karajan-Antipode Leonard Bernstein bereits 1990 verstorben war - einerseits wohl eine der größten "Leerstellen" in der Geschichte des Neujahrskonzerts, andererseits zählen die beiden Kleiber-Konzerte zu den besten, energiegeladensten deser 75 Jahre.

Mit Hochspannung wurde das erste Engagment Nikolaus Harnoncourts 2001 erwartet. Die - von manchen befürchtete, von anderen erhoffte - Revolution fand indes nicht statt: Harnoncourt entschlackte wohl etwas, hütete sich aber, das Strauß-Rad neu erfinden zu wollen und überzeugte letztlich durch eine hoch-sensible, feinsinnige Interpretation. Feinsinnig, ungemein kultiviert und mit einer Prise Offenbach-Esprit versehen gerieten auch die beiden Auftritte von Georges Pretre, mit 83 Jahren 2008 der bisher älteste "Debütant" am Neujahrspult.

Ältester Debütant: Georges Pretre leitete das Konzert am 1. Jänner 2008
Ältester Debütant: Georges Pretre leitete das Konzert am 1. Jänner 2008APA

Am 1. Jänner 2015 (und natürlich schon am 31. Dezember, denn seit 1952 findet zusätzlich auch ein Silvesterkonzert statt), ist Zubin Mehta wieder der Wunschkandidat der Wiener Philharmoniker. Der Weltstar aus Indien, der in Wien studierrt hat, leitet das Ereignis bereits zum fünften Mal: die schönste philharmonische Sympathiebekundung für einen Dirigenten.

(hd)

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