Die rechte Frau für alle Extremfälle in der Oper

Laura Aikin
Laura Aikin(c) ORF (Luigi Caputo)
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Laura Aikin über die Partie der Emilia Marty, eine Figur, die skrupellos und über Leichen gehend durch die Jahrhunderte wandert. Eine der fesselndsten Aufgaben, die das jüngere Musiktheater für eine Sängerin bereithält.

Es ist faszinierend“, sagt Laura Aikin, nachdem sie versucht hat, einige Merkwürdigkeiten des Tschechischen zu schildern. „Es ist meine erste Erfahrung mit einer slawischen Sprache“, fährt sie fort. Die zentrale Rolle in Leoš Janáčeks Oper „Die Sache Makropulos“ markiert unter den vielen extremen Herausforderungen, die diese Künstlerin in ihrem reichen Musiktheaterleben schon angenommen hat, zumindest in sprachlicher Hinsicht ein Extrem.

Was die musikalischen Parameter betrifft, ist die Emilia Marty alias Elena Makropulos eher zu den leichteren Übungen zu zählen. Die Aikin scheint für die Intendanten der Musikwelt stets die erste Wahl, wenn es gilt, heikle Partien im Bereich der musikalischen Moderne zu besetzen, sei es Henzes Manon („Boulevard Solitude“) oder die Marie in Bernd Alois Zimmermanns „Soldaten“ (zuletzt bei den Salzburger Festspielen zu erleben), sei es der Engel in Olivier Messiaens „St. François d'Assise“) oder Morgan Le Fey in Harrison Birtwistles „Gawein“ (2013, ebenfalls in Salzburg).

Nicht zu vergessen die „Lulu“. Alban Bergs verführerische Zwölftonkoloratur-Sexbombe war sozusagen das Alter Ego der Laura Aikin. Und könnte es, wenn es nach ihr ginge, noch eine Weile bleiben: „Ich glaube“, sagt sie, „ich würde heute meine beste Lulu singen. Jedenfalls beherrsche ich die Partie perfekt und weiß natürlich heute mehr über sie als je zuvor.“

350 Jahre lang jung und verführerisch

Andere Figuren würde sie eher nicht mehr darstellen wollen: „Also, die Marie in den ,Soldaten‘, würde ich nicht mehr singen. Das soll doch ein Mädchen von 15 Jahren sein. Das glaubt man mir wohl nicht mehr!“ Für Janáček begibt sie sich an der Staatsoper gerade ans andere Ende der Skala: Die Dame, die stets Namen mit den Initialen E. M. trägt, wandert durch die Jahrhunderte. Und zwar dank eines einst für Kaiser Rudolf II. in Prag gebrauten Elixiers.

Wenn sie auf der Bühne erscheint, hat sie bereits 350 Jahre überstanden – stets freilich als faszinierende junge Frau von vielleicht 35 Jahren, denn das Elixier macht unsterblich. Und seelenlos. Zumindest nach außen hin: „Es scheint so“, sagt Laura Aikin, „dass dieses Wesen völlig ungerührt ist, völlig gefühllos. Sie geht über Leichen. Jedenfalls ist ihr Weg von Leichen gepflastert.“ Auch in der Oper erleben wir, wie sie die Eifersucht zwischen zwei Männern schürt, von denen sich der jüngere dann umbringt.

„Ich glaube aber nicht“, erläutert die Sängerin, „dass dieser Frau das alles egal ist. Man muss auch sehen: Der Zaubertrank gibt ihr die Möglichkeit, lang zu leben, aber sie muss es auch wollen. Und lange Zeit wollte sie leben.“

Leben, das war in ihrem Fall gleichbedeutende mit: Erfolg haben. „Sie hat die unterschiedlichsten Gestalten angenommen – in der Oper erleben wir sie als berühmte und gefeierte Sängerin. Im zweiten Akt fragt sie nach einer Vorstellung: War ich gut? Habe ich gefallen? Das ist es, was ihr Kraft gibt. Aber sie trägt natürlich im Lauf einer dermaßen langen Zeit auch Verwundungen mit sich. Nicht nur äußere, von denen tatsächlich im Text die Rede ist, sondern auch innere. Und an ihnen geht sie zu Grunde.“

Die Emilia Marty, die wir in der Oper „Die Sache Makropulos“ auf der Bühne sehen, will nicht mehr leben. „In der Urfassung des Textes heißt es an einer Stelle: Ich leide seit 200 Jahren an Kopfschmerzen. Das ist in der Oper durch eine weniger konkrete Formulierung ersetzt worden. Aber wir haben das wieder hergestellt und nützen es für die Inszenierung:. Diese Frau fühlt ihre Lebensgeister schwinden – und jeder ihrer Schwächeanfälle beginnt mit Kopfschmerzen.“

Die Sehnsucht, dem überlangen Leben ein Ende zu setzen, das Geheimnis des „rettenden“ Elixiers lieber zu verschenken, als nochmals davon Gebrauch zu machen, resultiert wohl daraus, dass Emilia alias Elena der Bodenlosigkeit ihrer Lebenseinstellung gewahr wird: „Sie hat immer nur von den anderen genommen. Und sie sackt zusammen, sobald sie etwas von sich geben müsste.“

Protokoll eines seelischen Verfalls

Die Selbsterkenntnis führt schließlich den seelischen Verfall herbei. „Diese Frau zitiert aus ihrem früheren Leben immer wieder Fragmente aus griechisch-orthodoxen Gebeten. Sie ist wohl nicht wirklich gläubig; aber abergläubisch! Als ob sie sich davor fürchtet, in die Hölle zu kommen, weil sie so viele Menschen um ihr Leben und ihr Glück gebracht hat.“

Ein ungewöhnliches psychologisches Protokoll, das da musikalisch und theatralisch geführt wird – mit einem der großen Regisseure unserer Zeit, mit dem Laura Aikin schon einmal mit Freude zusammengearbeitet hat: „Peter Stein“, sagt sie, „hat jene ,Lulu‘-Produktion inszeniert, die mit Sicherheit dem Text am nächsten war. Ich hatte vorher ganz unterschiedliche Regiearbeiten erlebt – und es waren wirklich spannende Erlebnisse dabei. Aber bei Stein haben wir uns auf Punkt und Komma daran zu halten versucht, was bei Wedekind und bei Alban Berg steht.“ Ein Rezept, pardon: Elixier, das diesmal bestimmt auch für Janáček zur Anwendung kommen wird.

Die nächste Station im Terminplan der Laura Aikin ist dann übrigens Berlin – und musikalisch geradezu erholsam bei Klängen von Richard Strauss' „Ägyptischer Helena“. Wien folgt wieder 2016, ein wenig avancierter: Musik von Henze, mehr wird noch nicht verraten . . .

ZUR PREMIERE

„Die Sache Makropulos“ von Leoš Janáček nach einer Vorlage von Karel Čapek, kam 1926 im Nationaltheater Brünn zur Uraufführung. An der Wiener Staatsoper ist das Werk noch nie einstudiert worden. Am 13. Dezember hat die erste Inszenierung Premiere.

Peter Stein inszeniert in Bildern von Ferdinand Wögerbauer. Jákub Hruša steht am Dirigentenpult. Neben Laura Aikin singen Rainer Trost, Margarita Gritskova, Wolfgang Bankl und Heinz Zednik.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2015)

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