Angelika Kirchschlager: "Mit ein paar Kilos mehr singt es sich leichter"

(c) Nikolaus Karlinsky
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Sängerin Angelika Kirchschlager über Brechts "Dreigroschenoper" im Theater an der Wien, ihre Rolle als schlau-zänkische Ehefrau des Bettlerkönigs und Don Giovanni in Strumpfhosen an der Rampe: "Das geht nicht mehr. Musiktheater muss mit der Zeit gehen."

Die Presse: Warum ist „Die Dreigroschenoper“ so beliebt?

Angelika Kirchschlager: Die Musik ist einfach toll. Ein Hit reiht sich an den anderen und es gibt so viele verschiedene Stile, Barock, Tango, Jazz. Alles ist sehr eingängig, auch wenn das Thema leichter Unterhaltung widerspricht. Ich habe vor einigen Jahren mit HK Gruber eine konzertante Aufführung gemacht, mit Dorothea Röschmann und Ian Bostridge, mit dieser Produktion waren wir auf Tournee. Ich habe die Seeräuber-Jenny gesungen. Das war mein erstes Zusammentreffen mit der „Dreigroschenoper“.


Diesmal spielen Sie Mrs. Celia Peachum, Gattin des Bettlerkönigs, das ist fast eine Sprechrolle.


Ja, das habe ich gerade spannend gefunden. Ich bin ja eine verkappte Schauspielerin. Soviel wie bei Mrs. Peachum konnte ich noch nie sprechen und die Dialoge sind köstlich.


Mrs. Peachum ist entsetzt, dass Ihre Tochter den Verbrecher Mackie Messer geheiratet hat und bringt ihn gemeinsam mit ihrem Mann zu Fall. Wie sehen Sie diese Dame? Kommt sie auch aus dem Prostituierten-Milieu wie andere Frauen in diesem Stück?


Kann sein. Sie kennt sich jedenfalls aus und hat beste Kontakte. Mrs. Peachum ist eine Frau in den besten Jahren, sie versucht Anschluss an die Gesellschaft zu finden, was ihr aber nicht gelingt. Sie weiß, wie man Intrigen spinnt, sie ist nicht dumm, sogar ziemlich gescheit. Der Bettlerkönig und Mackie Messer sind im Unterweltmilieu in gewisser Weise Konkurrenten und manchmal sagt Frau Peachum zu ihrem Mann so ungefähr: "Schau, der Mackie Messer hat es geschafft, der nimmt sich, was er will, im Gegensatz zu dir."


Herr und Frau Peachum schenken einander kräftig ein. Er kommandiert sie herum, sie sagt zu ihm: „Die Sinnlichkeit hat deine Tochter jedenfalls nicht von dir!“


Herr und Frau Peachum sind ein eingeschworenes Ehepaar und das schon viele Jahre. Es gibt viel Streit zwischen den beiden. Aber im Grunde verstehen sie sich und haben es sogar relativ schön miteinander und mit ihrer florierenden Firma, die Bettler ausstattet und einen fetten Teil dessen einkassiert, was die armen Leute einsammeln. Herr und Frau Peachum sind wie Mafiabosse.


Haben Sie schon öfter Weill gesungen?


Ich habe an der Staatsoper vor ein paar Jahren „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ gemacht und im Pariser Theatre des Champs Elysees ebenfalls „Mahagonny“ zusammen mit den „Sieben Todsünden“. Mein erstes Kurt-Weill-Lied habe ich noch in der Klasse bei Walter Berry gesungen: „Der Abschiedsbrief“, der Text ist nicht von Brecht, sondern von Erich Kästner. Ich habe viel von HK Gruber über Weill gelernt. Weill hat seine Lieder für Klavier nicht als Chansons gesehen. Und wenn man sich „Die sieben Todsünden“ ansieht, da gibt es ein großes Orchester, da muss man sehr gut singen können, wenn man sich ohne Mikrofon durchsetzen will.


Die „Dreigroschenoper“ ist vielleicht auch deswegen so beliebt, weil sie so ein fabelhaftes Zwischending zwischen Musical und Oper und dabei auch noch amüsant ist. Opern sind ja meist eher tieftragisch.


Sicher. Allerdings: Das Tragische ist es, was das Leben bewegt. Es gibt glückliche Momente, in denen man Kraft sammeln kann für die Zeit, wenn es dann wieder schmerzhaft oder dramatisch wird.


So rein von außen wirken Sie jugendlich, frisch und erfolgreich.


Das eine schließt das andere nicht aus. Ich bin 50 Jahre alt, wenn ich noch nie schwere Zeiten gehabt hätte, wäre das seltsam, oder? Aber ich habe auch im Vergleich zu vielen anderen Menschen unglaublich viele Glücksmomente erlebt. Das Leben war und ist sehr gut zu mir. Trotzdem ist meine Erfahrung, dass in meinen schweren Momenten Wichtiges entstanden ist. Zweifel sind wichtig für einen Künstler. Manchmal muss man sich sogar mit den Zweifeln auf die Bühne stellen. Das ist nicht lustig.


Sprechen Sie von Inszenierungen, die nicht überzeugend sind? Die armen Regisseure kriegen ja des öfteren alles ab und werden ausgepfiffen.

Manche tun mir leid. Manche auch nicht, dann denke ich: Jetzt habe ich sechs Wochen leiden müssen, jetzt soll der Regisseur mal kurz leiden. Aber natürlich wünscht man niemandem, dass er ausgepfiffen wird.


Und wie ist es so mit Keith Warner, der die „Dreigroschenoper“ inszeniert?


Wunderbar! Er ist einer meiner liebsten Regisseure. Ich habe vor einigen Jahren mit ihm im Theater an der Wien Brittens „The Rape of Lucretia“ gemacht, das war eine meiner tollsten Produktionen und es ist auch menschlich viel passiert. Das war wie eine Therapie für mich. Wenn man mit einem guten Regisseur in die Gewölbe der Seele steigen kann, das sind die spannendsten Momente in der Oper und das ist das Beste, was einem geschehen kann. Dieses Stück ist sehr vielschichtig.


Sie sind eine Singschauspielerin. Sie haben die Zeit erlebt, als sich diese Talente immer mehr durchsetzten gegenüber dem älteren Stil der gravitätischen Diven, die zwar wunderbare Stimmen hatten, denen es aber nicht eingefallen wäre, herum zu hüpfen und auf Anweisung des Regisseurs womöglich am Kopf stehend ihre Arien zu singen.


Ich habe kürzlich so lachen müssen, als ich diesen Spruch hörte: „Park and bark“. Du trittst auf und singst. Sicher ist, es singt sich leichter mit ein paar Kilo mehr, man muss muskulär nicht so viel arbeiten. Ich glaube, früher hat man für die Stimme gelebt und das ganze Wesen auf die Stimme gerichtet. Jetzt verteilt sich die Persönlichkeit eines Sängers auf mehrere Komponenten. Alles verändert sich. Die klassische Musik wie auch das Musiktheater müssen mit der Zeit gehen. Meine Großmutter hat Rudolf Prack geliebt. Jetzt findet man Typen wie Johnny Depp oder Brad Pitt sexy. Medien oder Film sind eine Konkurrenz fürs Musiktheater und prägen den Sex-Appeal. Einen Don Giovanni in Strumpfhosen, der an der Rampe seine Arien singt, das geht nicht mehr. Es gibt so ideale Doppelpacks wie Bryn Terfel, die gut aussehen und toll singen. Aber die meisten sind ein Patchwork. Auch ich.


Sie schweigen nicht tagelang, wenn Sie auftreten?


Nein. Früher haben Sänger und Sängerinnen, wenn sie abends auftraten, mit ihren Kindern nicht gesprochen, sondern sie per Pfeifen dirigiert. Früher haben es Sänger auch eherhingenommen, , dass ihr Familien- und Eheleben sehr schwer mit dem Sängersein zu vereinbaren war und für die Kinder wenig Zeit war. Das wird heute nicht mehr akzeptiert. Das Familienbewusstsein ist gestiegen. Mit meiner Lebenseinstellung und meinem Temperament verträgt es sich sicher nicht, dass ich mit meinem Sohn nicht reden kann. Da muss ich schon ganz heiser und krank sein.


Was macht Ihr Sohn Felix?


Er ist auf der Ernst-Busch-Hochschule in Berlin aufgenommen worden. Wir waren ganz baff, er hat sich für viele renommierte Schauspielschulen beworben und bei der ersten hatte er gleich Erfolg.


Was kommt für Sie als nächstes?


Nach der „Dreigroschenoper“ habe ich meine ersten freien Tage seit dem Sommer.


Wie halten Sie das durch mit den vielen Verpflichtungen?


Momentan habe ich in der Tat etwas viel.


Was machen Sie, wenn Sie müde sind?


Meistens muss ich weiter arbeiten. Ich bin jetzt alleine zu Hause, weil Felix seit September in Berlin studiert. Das war eine große Umstellung. Er hat so ein Strahlen, er ist wie eine Sonne. Und die letzten 20 Jahre war mein Leben außerhalb des Berufes ganz auf ihn ausgerichtet.


Sind Sie einsam?


Gott sei Dank nicht. Aber ich war ein wenig verlassen. Mir hat nicht irgendeiner gefehlt, sondern eben mein Sohn. Aber viel zum Grübeln komme ich nicht. Ich habe Liederabende, ich unterrichte, ich habe im Februar meine erste Meisterklasse für Lied in Wien. Ich bin in Südamerika und Japan. Ich mache ja viel Verschiedenes und bin sehr breit aufgestellt.

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