Über die Gefährlichkeit von Bällen in der Oper

(c) FABRY Clemens
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Nicht, dass wir den Opernball wegdiskutieren wollten, aber ein Blick ins Repertoire lehrt: Wenn im Opernhaus Bälle veranstaltet werden, zeitigt das oft böse Folgen. Eine nicht ganz ernste Analyse.

Die Wiener Staatsoper rechnet diesmal relativ genau. „Heut ist Faschingsdienstag“, singt Anja Harteros dieser Tage des Öfteren. Die Titelfigur aus „Arabella“ von Richard Strauss verlobt sich auf dem Fiakerball anno 1860 mit ihrem Mandryka. Punktgenau schafft man es zwar nicht, aber jedenfalls finden alle Aufführungen des Werks in dieser Spielzeit im Fasching statt. Auch wenn es in der aktuellen Produktion arg verfremdet wird und diese wenig von dem Ringstraße-Charme versprüht, den Textdichter Hugo von Hofmannsthal seiner kapriziösen Comtesse eigentlich zugedacht hat: „Arabella“ ist eines der gar nicht so wenigen Stücke, in denen ein Ball eine wichtige Rolle spielt.


Politischer Meuchelmord

Nicht unbedingt ein Opernball. Obwohl sogar der zu Musiktheater-Ehren gekommen ist. Vor allem natürlich in der gleichnamigen Operette des einstigen „Presse“-Musikkritikers Richard Heuberger, dessen brillante Komposition nur deshalb so selten aufgeführt wird, weil das Publikum schon während der heiklen Ouvertüre hören kann, ob gute Einstudierungsarbeit geleistet wurde.

Heubergers „Opernball“ spielt übrigens nicht in Wien – wie man aufgrund populärer Verfilmungen des Sujets mit Hans Moser und Theo Lingen meinen möchte –, sondern in Paris. Ein anderer „Opernball“ ereignet sich in Stockholm – diesem widmet die Staatsoper in der laufenden Saison gleich zwei Aufführungsserien: Verdis „Ballo in maschera“ thematisiert den historischen Mord an Schwedens König Gustav III., den Meisterlibrettist Scribe vier Jahrzehnte nach der realen Bluttat auf die Bühne brachte – für Rossini gedichtet, fiel das Libretto nach dem Rückzug des Belcantomeisters in die Küche dem Kollegen Auber zu.

Giuseppe Verdi war von der Vorlage fasziniert und bestellte eine Neudichtung, die freilich wegen des Einspruchs der Zensur erst lange nach der Uraufführung in ihrer Originalgestalt gezeigt werden durfte.


Virtuose Tragödie

Für die Premiere musste König Gustav in einen amerikanischen Gouverneur verwandelt werden. Der Wirkung des Stücks tat das keinen Abbruch: Die dramaturgische Zuspitzung der Handlung bis zum abschließenden Mord gehört zu den virtuos gebauten Tragödien der Operngeschichte. Wobei dieses Finale nicht die einzige Ballszene ist, die Verdi schlüssig in eine Opernhandlung integriert. Sowohl in „La traviata“ als auch im „Rigoletto“ steht ein Ball am Beginn der Handlung. Vielleicht erinnert man sich bei solchen Gelegenheiten daran, dass auch die Arien, die wir als Herzstücke jeglicher Opernmusik betrachten, ursprünglich – denken wir an Monteverdis „Orfeo“ – aus Tanzeinlagen zwischen unendlichen Rezitativen „herausgewachsen“ sind. Aus der französischen Oper war das Ballett nicht wegzudenken. Freilich: Die Integration der dramatischen Ausdrucksmittel, die Lully und Rameau ganz natürlich gelang, erstarrte im 19. Jahrhundert zum Formalismus; und verhinderte im Paris Giacomo Meyerbeers die ernsthafte dramaturgische Evolution eines Opernrealismus, wie ihn die Romantiker in Deutschland und Italien längst anstrebten.


Tanz als störendes Element

Richard Wagner, das ist legendär, hatte mit den diesbezüglichen Vorschriften der Grand Opéra seine liebe Not und provozierte mit dem Pariser „Tannhäuser“ einen Skandal, indem er das Ballett für den Geschmack des französischen Publikums viel zu früh auftreten ließ. Selbst der unbestechliche Verdi musste noch in sein Spätwerk „Otello“ für Paris eine Tanzeinlage nachkomponieren, die den Spannungsbogen des dritten Akts zerreißt.

Damit war man weit von der subtilen Verschmelzung der Künste entfernt, die sich in musiktheatralischen Glücksmomenten ergibt. Mozart gelang es zweimal, das Ballett sozusagen notwendig in die Schürzung des dramatischen Kontents einzubinden: Im „Figaro“ findet die entscheidende Wendung der Intrige während des Fandango im dritten Akt statt – dessen Musik übrigens dem „Don Juan“ von Gluck entlehnt ist, mit dem dieser ein Vierteljahrhundert früher in Wien sein Reformwerk eingeleitet hatte!

Und im „Don Giovanni“ kommt der Titelheld das erste Mal wirklich in arge Bedrängnis, wenn sich während des Balls drei verschiedene Tänze in einem musikalischen Vexierspiel überlagern, das die Spannung der Situation sozusagen im rhythmischen Wirrwarr von Klang und Bewegung spiegelt.

Entscheidende Handlungsbrüche inmitten von Tanzveranstaltungen ereignen sich überdies etwa im zweiten Akt von Tschaikowskys „Eugen Onegin“; und gleich zweimal in Alban Bergs „Wozzeck“: Auf dem Tanzboden erblickt der Titelheld seine Geliebte in den Armen des Tamburmajors. Beim Tanz in der Schenke entdeckt man das Blut am Arm des Mörders. Dass in den beiden Werken, mit denen sich Richard Strauss zwischen 1905 und 1908 an die Spitze der Avantgarde katapultierte, „Salome“ und „Elektra“, jeweils ein Tanz zentrale dramaturgische Funktion hat, sei erwähnt, auch wenn es in beiden Fällen weiß Gott nicht um eine Ballkönigin geht, wie später in der „Arabella“. Für Walzerklänge, wie sie dieses letzte gemeinsame Werk von Hofmannsthal/Strauss durchweben, hatte man das Autorenduo schon nach dem „Rosenkavalier“ von 1911 der rettungslosen Rückschrittlichkeit geziehen.

Als hätte man zu spät die Wiener Strauß-Dynastie noch einmal beschworen, deren musiktheatralisches Hauptwerk, „Die Fledermaus“, ja bei Auflösung jeglicher Handlungslogik in einen allgemeinen Tanz mündet, an dessen Höhepunkt nicht nur die Logik der Handlung, sondern auch sämtliche Darsteller endgültig zu Boden gehen. Doch ist in der Wiener Operette wie in der wienerischen Politik die Lage bekanntlich oft hoffnungslos, aber niemals ernst. Daher gibt es nach diesem scheinbar endgültigen Zusammenbruch noch einen dritten Akt, in dem statt Theater im Wesentlichen nur noch Kabarett geboten wird; ohne dass sich jemals jemand über den Mangel an Sinnhaftigkeit beschwert hätte.

Dramaturgische Konsistenz ist offenbar doch kein Erfolgsgarant. Sonst hätte etwa Krzysztof Pendereckis 1986 in Salzburg uraufgeführte Oper „Die schwarze Maske“ (1986) zum Zugstück werden müssen, in dem doch höchst schlüssig ein Ball zum Schauplatz eines unentrinnbaren Totentanzes wird . . .

Hören & sehen

Der Opernball (4. Februar) auch heuer, wie gewohnt, TV-Quotenjäger.
Verdis „Maskenball“
spielt die Staatsoper am 19., 23., 26. u. 29. April.
Don Giovannis Verwirrung
hört man am deutlichsten in Otto Klemperers Gesamtaufnahme (EMI).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2016)

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