Mila Schmidt: Aschenputtel als tanzender Stern

Abwechslung. „Lustig sein“ ist wichtig für Mila Schmidt, die schon mit vier tanzte.
Abwechslung. „Lustig sein“ ist wichtig für Mila Schmidt, die schon mit vier tanzte.(c) Christine Ebenthal
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Tänzerin Mila Schmidt über Unterschiede zwischen den Brüdern Grimm und „Cendrillon“.

Cendrillon“, die französische Version des „Aschenputtels“, hatte es nicht nur Sergej Prokofieff angetan, sondern auch vielen Choreografen. Thierry Malandain schuf 2013 „Cendrillon ou la petite pantoufle de verre“ („Cendrillon oder der kleine gläserne Pantoffel“) für seine Compagnie in Biarritz. Für die Volksoper hat er nun eine spezielle Wiener Version mit dem Volksopernballett einstudiert. Es wird jedoch kein gläserner Schuh verloren, und es ziehen auch keine Mäuse die Kürbiskutsche – genau so wie bei Charles Perrault, der seine Märchensammlung 120 Jahre vor den Brüdern Grimm herausgegeben hat und mit den „Geschichten aus vergangener Zeit“ Märchen in ganz Europa populär machte. Hier gibt es keinen gläsernen Schuh, auch keine Mäuse, sondern Feen. Cendrillon sitzt nicht in der Asche und sortiert mit klammen Fingern Linsen; sie ist ein frisches, meist gutgelauntes Mädchen, das nur ein wenig traurig wird, wenn es an die verstorbene Mutter denkt. Dann wird sie vom Vater getröstet.

Jung und frisch ist auch die Tänzerin Mila Schmidt, die dieses Aschenmädchen auf dem Weg zum Erwachsenwerden tanzt. Nach der Schule und der Ballettausbildung an der Ballettakademie besuchte sie die Theaterklasse der Volksoper: „Das war so eine Art Lehrjahr, in dem ich aber auch schon Soloauftritte hatte.“ Damals war sie 18. Gleich danach hat Vesna Orlic, Ballettmeisterin und Stellvertreterin des Ballettdirektors für künstlerische Belange an der Volksoper, sie als Tänzerin ins Ensemble des Wiener Staatsballetts in der Volksoper aufgenommen.

Die Stiefmutter – ein Mann? Vom ätherischen Schweben im klassischen Ballett hat Schmidt nie geträumt, Abwechslung ist ihr lieber als das Prinzessinnendasein. Kaum konnte die kleine Mila aufrecht gehen, zeigte sich ihr Bewegungsdrang. Mit vier Jahren gab sie der Familie zu Silvester eine Tanzvorstellung; so war es für die Mutter klar, dass Mila richtig tanzen lernen sollte. Drei Mädchen hatte die Mutter allein zu versorgen – der Vater war früh verstorben. Schmidt kann Cinderellas Gefühle nachempfinden: „Doch sie lässt sich nicht in die Traurigkeit hineinfallen, denkt an die schönen Zeiten, als die Mutter noch gelebt hat, und weiß, dass alles gut wird.“ Mit diesem von Malandain kreierten Aschenputtel, das versucht, die guten Seiten des Lebens zu sehen, kann sie sich identifizieren. „Der Vater kann nicht viel für sie tun, er ist ein sanfter Mensch. Die Stiefmutter hat die Hosen an.“ Die wird, ebenso wie ihre beiden Töchter, von einem Mann getanzt. László Benedek kommt als Mutter anfangs auf Krücken daher. Keisuke Nejime und Samuel Colombet sind die eitlen Töchter. Glatzköpfig sind sie alle drei. Sie brauchen auch keine Haare, weil sie nichts im Kopf haben. „Doch sie zeigen, dass Malandain auch Humor hat, es gibt sehr lustige Szenen.“

Lustig zu sein, es lustig zu haben, das ist ihr ein Bedürfnis. Deshalb tanze sie auch so gern an der Volksoper: „Da gibt es wirklich Abwechslung, einmal Operette, dann Musical, dann wieder Ballett. An den Spitzentanz habe ich nie gedacht. Ich wollte schon immer mehr als schöne Pas de deux und Variationen.“ Die harte Ballettausbildung hat sie trotzdem an der Volksoper gemacht. „Mit 14 oder 15 gab es einen Einbruch, da wollte ich aufhören. Kann sein, dass es der erste Freund war, der nicht verstehen wollte, warum ich nichts anderes im Kopf habe als Tanzen.“ Schnell hat sie sich jedoch damals wieder gefangen und weitergeübt. „Die Hauptrolle in einem abendfüllenden Ballett von einem berühmten Choreografen zu tanzen, das ist etwas! Ich habe schon Solorollen getanzt, an der Volksoper und auch mit den jungen Choreografen der Staatsoper, im vom Ballettclub veranstalteten „Choreo.lab“. Das waren aber eher kurze Stücke. Malandain hat einen ganzen Abend choreografiert, mit allem, was dazugehört, auch Pas de deux und Adagio. Mein Prinz ist Andrés Garcia-Torres.“ Garcia-Torres, seit 2014 im Ensemble, ist ein Prinz aus Salamanca, dunkle Locken, feurige Augen – wer würde nicht gern sein Aschenputtel sein.

Puppen für den Ball. Wie die Mutter der Compagnie, Vesna Orlic, ist auch Mila Schmidt der Meinung, dass das „nur“ vor dem Volksopernensemble des Wiener Staatsballetts überflüssig ist: „Es ist ja kein Qualitätsunterschied“, sagt Orlic, „der Unterschied liegt darin, was von den Tänzerinnen verlangt wird.“ Mila Schmidt ergänzt: „Wir müssen sehr flexibel sein, weil wir dauernd ein anderes Vokabular tanzen müssen. Eher: dürfen. Es gibt viele schöne Rollen, und das in allen Sparten der Kunst auf der Opernbühne. Wir haben gar keine Hierarchie wie in der Staatsoper, alle müssen alles können.“ Wie eine Löwenmutter steht Orlic vor ihrem Ensemble: „Es ist klein, so kommen alle dauernd an die Reihe. Sowieso ist jeden Tag Training im Ballettsaal.“ Der ist übrigens für große Stücke zu klein, und so hat auch Malandain seine Schwierigkeiten, den großen Ball einigermaßen bühnengerecht zu proben. Um das Ensemble zu ergänzen, hat er Mannequins für den Ball engagiert. Die haben allerdings keinen Kopf und sind aus Plastik. Mit diesen Puppen auf Rollen fegen die Tänzerinnen und Tänzer über die Bühne. Ein Walzer, extravagant und fremdartig.

Mit der Choreografie kommt Schmidt, die mit Malandain schon 2014 für seinen Ballettabend mit „Don Juan“ gearbeitet hat, gut zurecht: „Doch mit der Musik muss ich erst vertraut werden. So richtige Melodien zum Mitsingen gibt es ja nicht, und ich bin keine Freundin vom Zählen. Manchmal muss das aber sein, wenn die Takte nicht deutlich sind.“ Wie in anderen Kompositionen Prokofieffs gibt es Dissonanzen und Disharmonien. Die Musik klingt oft verzerrt und ironisch. Malandain hält sich an Nietzsche: „Man muss das Chaos in sich haben, um einen Stern gebären zu können.“ Für Malandain ist Schmidt alias Cinderella dieser tanzende Stern. Für die französischen Kritiker ist es die gesamte Choreografie des französischen Neoklassikers: „Romantisch, gefühlvoll, originell, magisch und überraschend.“ Und der Schuh? Ob gläsern oder silbern, er wird doch nicht vergessen. Im Bühnenbild von Jorge Gallardo ist er hundertfach zu sehen.

Tipp

„Cendrillon“. Ballett in zwei Akten von Thierry Malandain. Musik von Sergej Prokofieff. Premiere am 13. November an der Wiener Volksoper. Karten und weitere Termine online:
www.volksoper.at

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