Neujahrskonzert: Durch die Pause rast Paganini

Geiger Tibor Kovac (2. v. l.) mit Karl-Heinz Schütz, Sebastian Bru, Robert Bauerstatter und Iztok Hrastnik.
Geiger Tibor Kovac (2. v. l.) mit Karl-Heinz Schütz, Sebastian Bru, Robert Bauerstatter und Iztok Hrastnik. (c) ORF
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Philharmoniker-Geiger Tibor Kovac hat ein neues Ensemble, die Philharmonic Five, und liefert für das mediale Begleitprogramm des Neujahrskonzerts den furiosen Remix „Carneval di Venezia“. Ein Gespräch.

Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker wird auch heuer medial wieder von allerlei musikalischen Zutaten begleitet. In einem Fall werden die Kenner der Wiener Situation vielleicht staunen: Tibor Kovac, der kreative Geiger des Orchesters, präsentiert sich mit einem neuen Ensemble – und einem, wie gewohnt, virtuosen eigenen Arrangement wienerischer Walzerkultur.

Johann Strauß Vater stand bei der rasanten Piece ebenso Pate wie der Allvater aller geigerischen Virtuosität: Nicolò Paganini. Schon der erste Wiener Walzerkönig zollte dem Hexenmeister ja seinen Tribut, indem er auf die Wiener Auftritte Paganinis mit eigenen Arrangements von dessen aufsehenerregendsten Stücken reagierte.

Tibor Kovac hat nun im sogenannten „Carneval di Venezia“ eine Strauß'sche Paganiniade für den eigenen Gebrauch bearbeitet. „Ich habe auch einen kleinen Mittelteil in Moll erfunden, in dem ich weitere Paganini-Zitate eingearbeitet habe“, erzählt Kovac im „Presse“-Gespräch.

Fernsehauftritt als Neustart

Getanzt wird dazu, apropos Virtuosität, „bis zum Umfallen“. Für Tibor Kovac ist dieser Fernsehauftritt ein Neustart: Philharmonic Five heißt seine neue Truppe, mit der er gewiss wieder Furore machen wird. Wie mit seinen Philharmonics, die im vergangenen Jahrzehnt viel von sich reden machen konnten, weil sie die philharmonische Musiziertradition in einem gekonnten „Remix“ pflegten. Damit sprachen sie auch ein Publikum an, das mit der sogenannten Klassik sonst wenig anfangen kann.

So wird denn auch die erste CD der Philharmonic Five grenzüberschreitend der Verschwisterung von moderner Klassik mit der Filmkunst gewidmet sein. „Drei Großmeister der Filmmusik feiern nämlich 2017 ihre 85. Geburtstage“, erläutert Kovac, „Lalo Schifrin, Michel Legrand und John Williams.“ Aus dieser bemerkenswerten Parallelaktion der Musikgeschichte speist sich das Aufnahmerepertoire der fünf Musiker, „wobei wir auch Stücke anderer Komponisten dazunehmen, die gern cineastisch verwertet werden, aber zum ,klassischen‘ Repertoire gerechnet werden, Musik von Prokofieff oder Debussy.“

Und da man auch in Sachen Tonträger ganz up to date ist, erscheint die Novität demnächst nicht nur auf CD und wird als Download greifbar sein, sondern sie wird auch auf Vinyl gepresst: „Die Schallplatte feiert ja ein Comeback bei kritischen Hörern, das ist uns nicht verborgen geblieben“, sagt Kovac und freut sich über die diesbezügliche Flexibilität der Plattenlabels.

Was Aufnahmesitzungen betrifft, ist die philharmonische Karriere des Geigers ja sogar länger als seine Verbindung zur Wiener Staatsoper: „Die erste Oper, die ich gespielt habe“, erinnert sich Kovac, „war eine ,Traviata‘, aber mein erster offizieller Orchesterdienst war während der Gesamtaufnahme der ,Zauberflöte‘ unter Georg Solti – und ich erinnere mich an den fanatischen Arbeitseifer dieses Dirigenten noch sehr genau: Wie er insistiert hat, bis in der Ouvertüre der Gegensatz zwischen Piano und Sforzato so gelungen ist, wie er sich das vorgestellt hat, das bleibt mir unvergesslich.“

Kammermusik: Wichtig fürs Orchester

Ebenso unvergesslich die erste Auslandsreise mit den Philharmonikern und ,,die konzertante Aufführung der ,Elektra‘ unter Lorin Maazel in der New Yorker Carnegie Hall – da habe ich fast geweint vor Glück, bei einem solchen Ereignis dabei sein zu dürfen.“ Vergleichbares hat er dann auch unter Carlos Kleiber bei den Tokioter Aufführungen des „Rosenkavaliers“ erleben dürfen, „oder bei Abenden unter Muti oder unter Thielemann“.

Auch ein abgebrühter Orchestermusiker kann also ins Schwärmen kommen, wenn er sich seine angeborene Musikleidenschaft erhält. Bei Kovac ist das der Fall, „vielleicht auch“, philosophiert er, „weil ich immer und mit Freude Kammermusik mit Kollegen gemacht habe. Apropos Philharmonic Five: Das halte ich für unglaublich wichtig für die Orchesterkultur. Wobei die Beeinflussung natürlich auch umgekehrt funktioniert. Ich erinnere mich noch sehr gut, dass ich nach der legendären Zweiten Brahms unter Kleiber die Brahms-Sonaten ganz anders gespielt habe als vorher!“

Film: Der einst anrüchige Walzer

Schon seit 1959 überträgt der ORF das Neujahrskonzert live im Fernsehen, dank Eurovision heute in über neunzig Länder. Zur Untermalung zeigt man bei manchen Werken thematisch zugehörige Bilder, Filmsequenzen oder Balletteinlagen (seit 1987 auch live getanzt).

Seit 1992 wird ein 25-minütiger Pausenfilm gezeigt, ohne Worte, da er weltweit gesehen wird; er soll den Zusehern Österreichs Natur und Kultur vermitteln.

Der Pausenfilm 2017 heißt „Der Rhythmus von Wien“. Regisseur Robert Neumüller interpretiert darin den Walzer als Wiener Lebensrhythmus seit den Anfangszeiten des Walzers im 19. Jahrhundert, als der Tanz noch eine anrüchige Anmutung hatte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2016)

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