Wladimir Fedosejew: Der Maestro mit dem Mut zu totalem Ausdruck

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Wladimir Fedosejew.(c) APA
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Wladimir Fedosejew, Chefdirigent des Moskauer Tschaikowsky-Orchesters und als Chef der Symphoniker auch dem Wiener Musikleben eng verbunden, feiert am 5. August seinen 85. Geburtstag. Seine Schaffenskraft ist ungebrochen.

Er hat sich etwas Bubenhaftes, Verschmitztes bewahrt, und die leidenschaftliche Beschäftigung mit Musik hat ihn offenkundig jung gehalten: Wladimir Fedosejew feiert seinen Fünfundachtziger bei ungebrochener Schaffenskraft. Das kommt nicht zuletzt seinem Symphonieorchester des Moskauer Rundfunks zugute, das unter seiner Führung den Ehrentitel Tschaikowsky-Orchester zuerkannt bekommen hat und das – so viel ist auch Musikfreunden klar, die nicht über Einblick in die Verhältnisse der russischen Kulturpolitik verfügen – ohne Fedosejew heute mit Sicherheit Geschichte wäre.

Intensität und Tiefgang

„Die Russen“, wie sie nach vielen umjubelten Gastspielen in Wien vom Publikum genannt werden, spielen immer noch. Und sie musizieren auf einem Niveau, dessen klangliche Ausgewogenheit, Virtuosität und Stilsicherheit sie auf Augenhöhe mit den größten westlichen Klangkörpern agieren lassen. Wo immer Fedosejew mit seinen Musikern erscheint, hält das Publikum angehörs der Intensität des Spiels und des interpretatorischen Tiefgangs den Atem an.

So war das schon, als man diese Musikergemeinschaft anlässlich ihres zweiten Wien-Gastspiels anno 1987 im Musikverein entdeckte. Die erste Wien-Reise hatten die Gäste kurz nach Fedosejews Bestellung, 1974, absolviert. Doch seit der insistierenden, im Dramatischen wie im Lyrischen unausweichlichen Wiedergabe von Fragmenten aus Prokofieffs Ballettmusik zu „Romeo und Julia“ wollte man Fedosejew und die Seinen gar nicht mehr weglassen. Das Publikum wurde süchtig nach diesem Klang, der tatsächlich in der Nachfolge dessen, was über die Jahrzehnte hin Fedosejews Vorbild Jewgeni Mrawinsky mit seinen „Leningradern“ demonstriert hatte, höchste Höhen der Perfektion erreichte.

Wie jene legendäre Partnerschaft ließ auch die Fedosejews mit seinem Orchester hören: Gewisse Dinge lassen sich nur in jahrzehntelanger konsequenter Arbeit erreichen – jenseits von Moskau scheint diese Qualität für das internationale Musikleben längst verloren.

Immerhin wussten auch Wiens Symphoniker von der Energie und der Ausdruckskunst Fedosejew über viele Jahre zu profitieren. Das hat dem heimischen Publikum auch den Operndirigenten Fedosejew nahegebracht, nicht nur im slawischen, sondern auch beispielsweise im französischen Fach.

Eine der Stärken dieses Dirigenten ist und bleibt seine Vielseitigkeit. In seiner Heimat kannte man ihn vor allem als feinsinnigen Interpreten der Wiener Klassik – und das Erstaunen war groß, als bei einem der frühesten Gastspiele in Wien einmal nebst Tschaikowsky und Rachmaninow Beethovens Erste erklang, leichtfüßig, transparent, aber doch jenes symphonische Schwergewicht, das würdig am Beginn der großen Neunerreihe steht, die Fedosejew dann auch mit den Symphonikern in einem eindrucksvollen Zyklus vorstellte.

Dass seine Moskauer Interpretations-Taten seit den Siebzigerjahren zu einem beeindruckenden Teil auf CD greifbar sind, freut die Sammler. Dass die Symphoniker den Maestro heute noch regelmäßig zu Gastauftritten nach Wien bitten, sorgt für immer neue, aufregende Konzerte, wie sie uns der rüstige Jubilar hoffentlich noch oft bescheren wird. (sin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2017)

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