Und nicht einmal ein Hass-Duett . . .

Franz (Boaz Daniel) und Karl (Vincent Schirrmacher) dialogisieren nur für die „Presse“.
Franz (Boaz Daniel) und Karl (Vincent Schirrmacher) dialogisieren nur für die „Presse“.(c) Volksoper/Barbara Palffy
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Vincent Schirrmacher und Boaz Daniel sind die verfeindeten Brüder in Verdis Schiller-Vertonung „Die Räuber“, die an der Volksoper auf Deutsch Premiere hat.

Franz, die sprichwörtliche Kanaille, und Karl – die Brüder Moor, die möchte man schon kennenlernen, um sie in einer Doppelconférence zu präsentieren. Wem es gelingt, ein solches Treffen zu arrangieren, der übertrumpft die Dramaturgie eines Giuseppe Verdi: Der lässt die Kontrahenten in seiner Vertonung von Schillers „Räubern“ nie aneinandergeraten. „Wir haben keine Szene miteinander, geschweige denn ein Duett,“ sagt Vincent Schirrmacher, der in der Volksopernproduktion des Stücks den Karl singen wird.

„Ich spüre nur deine Nähe“, wirft Franz alias Boaz Daniel ein. „Ich nehme dich höchstens zehn Sekunden lang wahr“, gibt Schirrmacher zurück. Im Kaffeehaus in der Wiener Innenstadt liefern sich die beiden ein Wort-Pingpong, das Verdis Entscheidung zur strikten Trennung der verfeindeten Brüder – zumindest für diese Produktion – bedauern lässt.

Dass Verdis Librettisten recht frei mit der theatralischen Vorlage umgegangen sind, gehört zum Metier. Boaz Daniel findet: „Ehrlicherweise muss man sagen, es ist heute gang und gäbe, dass Dinge geändert werden, nicht nur von Librettisten, sondern auch von den Regisseuren. Ich hab oft das Gefühl, dass die die Opern, die sie inszenieren, nicht interessant genug finden.“

Verdis geniale „Fingerübungen“

Im Falle der „Räuber“ finden beide Sänger die Geschichte zwar „außergewöhnlich“, aber, sagt Schirrmacher, „sie könnte im 18. Jahrhundert genau so passiert sein“, „und man versteht, warum dieses Drama Schiller berühmt gemacht hat“. Für Verdi waren die „Masnadieri“ eine Fingerübung für Folgendes: „Es hat etwas von einer Stilsuche“, meint Schirrmacher und analysiert seine Partie: „Der Carlo fängt sehr lyrisch an, fast wie Mozarts Belmonte, endet aber beinah wie Manrico. Als Sänger muss man da viele Facetten haben.“

Dem Bariton schenkt Verdi gleich am Beginn der Oper eine große Szene, „mit Cabaletta“, schwärmt Daniel. Wobei Italianità nur musikalisch fühlbar werden wird, denn gesungen werden die „Räuber“ auf Deutsch. Daniel hat diesbezüglich schon Erfahrung sammeln können: ,,In der Volksoper hab ich 2001 den Don Giovanni auf Deutsch gesungen und mir zunächst gedacht: Was soll denn das? Aber ich muss sagen: Es war gut, ich habe das nie bereut, eine gute Produktion und vor allem eine gute Übersetzung.“ „Und da die Räuber“ ergänzt Schirrmacher, ,,auf Schiller basieren, hat es doch einen Sinn, sie auf Deutsch zu machen.“

Schirrmacher – meistgesungene Partie bisher: Tamino in der „Zauberflöte“ – sieht sich bei Verdi jetzt bestens aufgehoben. ,,Demnächst kommen auch noch Partien wie der Hoffmann und der Prinz in ,Rusalka‘ – aber vielleicht singe ich nächste Spielzeit ja noch einmal den Tamino, da kann ich mit der Erfahrung, die ich inzwischen gesammelt habe, dem Publikum ja etwas Neues anbieten.“

Daniel freut sich über baritonale Wechselbäder zwischen Puccini (meistgesungene Partie: der Marcello in der „Bohème“) und Wagner: „Demnächst bin ich wieder Kurwenal in einem neuen ,Tristan‘ unter Barenboim in Berlin.“ Schirrmacher hat seine dramatischen Kapazitäten ausgereizt, als er kurzfristig in der Volksoper den Prinzen Kalaf in der „Turandot“ übernahm – und er gesteht: „Das war ja die Rolle, derentwegen ich überhaupt zu singen begonnen habe! Ich wollte ja gar nicht Gesang studieren, aber mein Gesangslehrer meinte: Du hast doch eine so schöne Stimme. Ich fragte: Gut, aber werde ich je den Kalaf singen können?“

Da gab es Skepsis. „Und heute ist es genau zwei Jahre her, dass ich ihn gesungen habe“, strahlt der Tenor, „knapp vor der Vorstellung wurde ich angerufen, ob ich einspringen kann – es gab eine kurze Bühnenprobe. Das war's. Bei jeder andern Rolle hätt' ich Nein gesagt.“ Manchmal gehen Träume ja in Erfüllung.

Bei Boaz Daniel lagen die Präferenzen nicht so deutlich – und schon gar nicht auf eine bestimmte Rolle fokussiert: „Ich war Beatles-Fan. Diese Band wird auch für den Rest meines Lebens für mich wichtig bleiben. Ich wurde Computerfachmann bei der israelischen Luftwaffe. Aber da meine Leidenschaft für Musik immer größer wurde, dachte ich irgendwann: Ich muss mir eine Chance geben.“

Und er hat sie ergriffen – während des Studiums am Wiener Konservatorium hörte Daniel, dass die Staatsoper auf Baritonsuche war, sang vor – und wurde ins Ensemble engagiert. „Dabei“, gesteht er, „war das Vorsingen schrecklich schlecht.“ – „Aber jedes Vorsingen ist doch schrecklich schlecht“, meint Vincent Schirrmacher. Und wieder herrscht Einigkeit zwischen den „Brüdern“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2017)

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