Hagen ist hier der einzige echte Kerl

Samuel Youn als Hagen und Martin Winkler als Alberich.
Samuel Youn als Hagen und Martin Winkler als Alberich. (c) APA/HERWIG PRAMMER (HERWIG PRAMMER)
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„Hagen“ heißt der Auftakt zu einer neuen Sicht auf Wagners „Ring des Nibelungen“ im Theater an der Wien. Es fehlt ihm allerdings an zwingender Dramaturgie.

„Huren“ schreibt das Söhnchen des Freiers einmal an die Wand – und kassiert prompt eine Ohrfeige von Floßhilde. Klar hat er recht. Die Rheintöchter sind lockende Freudenmädchen, und der kleine Hagen muss die in doppeltem Sinne große Sauerei mit anschauen, die sie mit seinem vermutlich alleinerziehenden Papa Alberich anrichten. In Glitzerfummel, Netzstrümpfen und Gummistiefeln tollt das Trio leichter Mädchen im Morast einer Sandkiste herum (Bühne: Henrik Ahr). Kinder kümmert kein klitschnasser Schlamm. Der liebestolle Nibelung ist vor lauter Schlüpfrigkeiten im Nu der dreckigste von allen. Die ersehnten Damen verspotten ihn aufs Übelste – und den Buben scheint vor der ganzen Szene zu ekeln . . .


Rückblende zu „Rheingold“.
Ja, man gibt Wagners „Ring des Nibelungen“ im Theater an der Wien – und doch auch wieder nicht. Hier beginnt jeder Abend mit Siegfrieds Tod, einer stummen Szene, bloß begleitet von düsterem Grollen. Hagen rammt ihm seinen Speer in den Rücken, der Held fällt. Brünnhilde und Wotan kommen ergriffen hinzu, dann ein süffisant tänzelnder Alberich. Er legt sich an Siegfrieds Stelle – wohl, weil auch er Opfer ist –, und die einsetzende Musik bringt uns an den Beginn des zweiten Aufzugs der „Götterdämmerung“: „Schläfst du, Hagen, mein Sohn?“ Regisseurin Tatjana Gürbaca, Dramaturgin Bettina Auer und Dirigent Konstantin Trinks haben eine eigene Version ausgetüftelt, in der sie den Brennpunkt von Wotan auf die nächste Generation rücken: Nacheinander müssen an den nunmehr nur drei statt vier Abenden, betitelt „Hagen“, „Siegfried“ und „Brünnhilde“, die Nachkommen mit den Sünden und Schicksalen ihrer Altvorderen klarkommen. Die Szenen werden umgruppiert, möglichst unmerklich neu verbunden; durch Rückblenden erklingen jeweils Ausschnitte aus zwei „Ring“-Stücken. Wochenlang herrschten dafür beinah Bayreuther Zustände am Naschmarkt: keine Neuproduktion im November, nur emsige Proben mit dem Kraftakt von drei Premieren an aufeinanderfolgenden Tagen, von Freitag bis heute, Sonntag.

Der Auftakt mit „Hagen“ hinterließ einen zwiespältigen Eindruck. Zugegeben, er ist in diesem Konzept die schwierigste Figur, da er nur in der finalen „Götterdämmerung“ auftritt und Wagner ihm keine Vorgeschichte auf der Bühne gegönnt hat. Gürbaca behilft sich mit dem Trick, die „Ring“-Chronologie zu ändern und Hagens Geburt Jahre vor die Ereignisse im „Rheingold“ zu verlegen: So wird der Sohn zum traumatisierten Zeugen. Vor allem darin, wie im zweiten Teil die Gibichungenszenen (ohne Speereid) geschildert werden, ist vermutlich ein radikal subjektiver Blick Hagens erkennbar – und seine Abscheu für alle, er sieht fast nur Karikaturen: Gunther vertrödelt die Zeit mit Computerspielen, Gutrune (Liene Kinča) strickt ein Strampelhöschen und weint vor Freude, als sie endlich doch geheiratet werden soll; Siegfried zeigt im sozialen Umgang gravierende Rückstände – aber nach allerlei peinlichen Verlegenheitsgesten tollt er mit Gunther am Boden herum und kitzelt ihn; ihre Blutsbruderschaft wird zum Indianerehrenwort.

Wagnerfür Fortgeschrittene. Dabei lässt Kristján Jóhannesson einen markanten Bariton strömen, von dem die ungeschlachten tenoralen Stentortöne von Daniel Brenna passend weit abstehen. Und die Mannen? Eine schwule Truppe, wie aufgescheuchte Hühner gackernd, geeignet bloß für Partytanz und Gruppensex – eine formidable Leistung des Schoenberg-Chores. Hagen ist der einzige echte Kerl mit Hirn: Samuel Youn bleibt der Figur nicht die metallische Kraft, aber doch die Schwärze in der Tiefe und die überragende Präsenz schuldig.

Über die verfügt Martin Winkler: Ohne Rücksicht auf zum Teil schon schmerzhaft anmutende stimmliche Verluste geht er ganz in der vielschichtig angelegten Rolle des Alberich auf. Verblüffend jedoch, dass sich der große „Rheingold“-Einschub trotzdem so träge dahinzog. Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien bewältigte die im schmalen Graben des Hauses nötige, in Masse und Farben abgespeckte Fassung ganz gut, aber Trinks konnte hier nicht genügend Spannung aufbauen. Musikalisch schien das Konzept auf dem Papier also logischer und zugkräftiger als in der Realität. Großartig jedoch der Schluss, das Ende des zweiten Aufzugs der „Götterdämmerung“: Beim Schnaps wird Siegfrieds Tod beschlossen, Brünnhilde Ingela Brimberg schnappt sich nach ein paar Stamperl gleich die Flasche. Da merkt man, dass sie die Einzige ist, die Hagen wird Paroli bieten können. Vorerst aber schlägt ihr Lachen noch in Weinen um: Fortsetzung folgt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2017)

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