Kann man die „Winterreise“ illustrieren? Soll man sie aktualisieren? Vielleicht. Kornél Mundruczós Version bei den Wiener Festwochen wirkt aber stellenweise lächerlich.
Winterreise“, Franz Schuberts bewegender bis erschreckender Liederzyklus nach (in ihrer Bedeutung für das Werk oft unterschätzten) Gedichten Wilhelm Müllers, hat stets Interpretationen provoziert: plakative – der Wanderer will sich am Lindenbaum vor dem Tore aufhängen! – wie tiefe. Tatsächlich ist der Weg nicht weit vom romantischen Gefühl, fremd angekommen zu sein und fremd wieder auszuziehen, zum existenzialistischen Gefühl, in die Welt geworfen zu sein.
Und, ja, die „Winterreise“ erlaubt auch historische und politische Interpretationen: Schon Müller, der selbst gegen Napoleon gekämpft hatte, mag an den winterlichen Rückzug der Grande Armée aus Russland gedacht haben, und Slavoj Žižek, der große Provokateur, fragte gar: „War nicht der ganze Stalingradfeldzug eine gewaltige Winterreise, bei der jeder Soldat die ersten Zeilen des Zyklus auf sich beziehen konnte?“ Man kann den Köhler aus „Rast“ als Vertreter des Geheimbunds der Carbonari sehen oder den Leiermann als Repräsentanten des Prekariats, all das ist möglich, die „Winterreise“ verliert dabei nicht das Pathos des einsamen Weltschmerzes, auch das ist ihre Kraft.