Festspiele Erl: Künstlerinnen klagen in offenem Brief sexuelle Übergriffe an

APA/Barbara Gindl
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Künstlerinnen der Festspiele Erl schildern in einem offenen Brief sexuelle Übergriffe des künstlerischen Leiters Gustav Kuhn. Dieser weist die Anschuldigungen zurück und deutet eine Klage an. Die Grünen fordern Kuhns vorläufige Suspendierung.

In der Causa Festspiele Erl gibt es neue Aufregung: Fünf ehemalige Künstlerinnen klagen in einem offenen Brief sexuelle Übergriffe bzw. Missbrauch durch den künstlerischen Leiter, Gustav Kuhn, an. Sie sprechen von "anhaltendem Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen" durch Kuhn während ihres Engagements.

Eine jener fünf Künstlerinnen hat die Vorwürfe inzwischen öffentlich bekräftigt. Die deutsche Mezzosopranistin Julia Oesch sprach im Interview mit dem Ö1-"Kulturjournal" Mittwochabend von "sexuellen Übergriffen, die einige von uns erleben mussten, auch ich persönlich". Alles , was in dem Brief angeführt werde, habe sie auch so erlebt, betonte Oesch. Man sei auch regelmäßig von Kuhn zusammengeschrien worden. Dass man in Tränen ausbrochen ist, sei "an der Tagesordnung gewesen".

Es ist zum ersten Mal, dass sich Künstler namentlich an die Öffentlichkeit wenden. Bis dato gab es lediglich anonyme Vorwürfe. In punkto Übergriffen schreiben die aus dem Ausland stammenden Musikerinnen: "Auch einige von uns waren solchen ausgesetzt: unerwünschtes Küssen auf den Mund oder auf die Brust, Begrapschen unter dem Pullover, Griff zwischen die Beine etc., von obszöner verbaler Anmache ganz zu schweigen. Immer wieder wurden die Grenzen der persönlichen Würde und des Respekts uns gegenüber missachtet und überschritten. Regelmäßig waren wir der ungehemmten Aggression des künstlerischen Leiters ausgesetzt".

Empört über "unangemessene" Reaktionen

"Massive seelische Gewalt in Form von Mobbing, öffentlicher Bloßstellung, Demütigung und Schikane" seien auf der Tagesordnung gestanden. "Wer den Spielregeln nicht folgte, wurde mit Repressalien und Ausgrenzung bestraft: Versprochene Rollenaufträge und Verträge wurden zurückgezogen, die zuvor gelobte Leistung war plötzlich nichts mehr wert oder wurde coram publico ins Lächerliche gezogen, um nur einige Beispiele zu nennen", klagten die Frauen an.

Die Künstlerinnen zeigten sich empört, dass "trotz der allseits bekannten Faktenlage die notwendigen Konsequenzen noch immer auf sich warten lassen, sowohl vonseiten der Präsidentschaft der Festspiele als auch vonseiten der zuständigen Politik". Die unangemessene Art, wie auf das Ansprechen der Zustände bei den Festspielen reagiert worden sei, habe es ihnen unmöglich gemacht, länger über ihre eigenen Erfahrungen zu schweigen.

Bei den Künstlerinnen handelt es sich um Aliona Dargel, Violinistin aus Weißrussland, die deutsche Sopranistin Bettine Kampp, Violinistin Ninela Lamaj aus Albanien bzw. Italien, Mezzosopransitin Julia Oesch und Sopran Mona Somm aus der Schweiz. Mit ihrem nunmehrigen Gang an die Öffentlichkeit möchten sie "auch weitere Betroffene auffordern, sich zu gemeinsamem Handeln zusammenzuschließen", erklärten die Frauen.

Kuhn weist Vorwürfe zurück

Der Künstlerische Leiter der Festspiele Erl, Gustav Kuhn, hat die schweren Vorwürfe gegen ihn über seinen Anwalt zurückgewiesen - und mögliche Klagen in den Raum gestellt. Sein Mandant werde sich gegen diese "Menschenjagd" mit den Mitteln des Rechtsstaates zu wehren wissen, teilte Anwalt und Ex-Justizminister Michael Krüger der APA mit. Das Land Tirol zeigte sich indes "betroffen".

Die "Menschenjagd" sei von den Künstlerinnen offenbar über Veranlassung des Bloggers Markus Wilhelm in Gang gesetzt worden, so Krüger. Die Frauen seien zum Teil schon viele Jahre nicht mehr in Erl aufgetreten oder deren Engagements aus künstlerischen Gründen nicht verlängert worden. Die Plattform "Art but fair", die den Brief an die Medien aussandte, nannte Krüger "Unart und Unfair".

Derart schwerwiegende Angriffe ohne jede Rückfrage und ohne Kenntnis der näheren Umstände zu veröffentlichen, sei schlicht verantwortungslos. Krüger verwies überdies auf eine Unterschriftenliste mit fast 150 Namen von Künstlern der Tiroler Festspiele Erl, in denen diese gegen die "unbewiesenen Anschuldigungen" protestieren und Intendant Kuhn ihrer vollen Loyalität versichern würden.

Staatsanwaltschaft prüft Anschuldigungen

Nach den schweren Anschuldigungen schaltete sich nun auch die Staatsanwaltschaft Innsbruck ein. Man prüfe einen möglichen Anfangsverdacht, sagte Sprecher Florian Oberhofer. Die Prüfung erfolge von Amts wegen, so Oberhofer. Man habe den Brief der Musikerinnen sowie die Berichte darüber "zur Kenntnis genommen".

Tirols Kulturlandesrätin Beate Palfrader (ÖVP) ließ wissen, die Vorwürfe würden sie "sehr betroffen" machen. Man nehme diese sehr ernst. Bund und Land seien dazu bereits in engem Kontakt. "Für uns sind volle Transparenz und Aufklärung wie bisher wichtig und selbstverständlich. Die Staatsanwaltschaft wurde umgehend informiert, nach deren Beurteilung müssen umgehend weitere Schritte gesetzt werden, so Palfrader. Ähnlich äußerte sich Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP).

Nicht so lange warten wollen die Tiroler Grünen, Koalitionspartner der ÖVP auf Landesebene. Sie verlangten die vorläufige Suspendierung Kuhns. "Der zuständige Vorstand muss Konsequenzen ziehen", erklärte der stellvertretende Klubobmann Georg Kaltschmid. Die Vorwürfe seien massiv, sie seien konkret und sie seien glaubwürdig genug, "dass vom Vorstand nicht länger zur Tagesordnung übergangen werden kann". Ebenfalls "Konsequenzen" forderte die Tiroler SPÖ.

Schon Mitte Februar 2018 wurden erste Vorwürfe in der Causa Festspiele Erl öffentlich. Ein Blogger berichtete von "modernem Sklaventum" und sexueller Belästigung - unter anderem durch Kuhn.

Eine Chronologie der Vorwürfe

Mitte Februar 2018 veröffentlicht der Blogger Markus Wilhelm auf der Homepage "dietiwag.org" anonyme Vorwürfe, die von "modernem Sklaventum" über Verdacht auf Lohndumping bis hin zu sexueller Belästigung unter anderem durch Maestro Kuhn reichen. Die Verantwortlichen der Festspiele Erl weisen die Anschuldigungen aufs Schärfste zurück und kündigen eine Klage gegen Wilhelm an.

26. Februar: Der künstlerische Leiter Gustav Kuhn nimmt erstmals selbst Stellung. Er spricht von "unhaltbaren Anschuldigungen" und wehrt sich gegen Vorverurteilungen. "Wenn das Gericht zu einem Urteil kommt, dann ist es so. Aber bevor das Gericht nicht zu einem Urteil kommt, ist es so nicht. Das sagt unser Rechtsstaat", erklärt Kuhn in einem Interview im Ö1-"Kulturjournal". Im Hinblick auf den Vorwurf eines autoritären Stils meint Kuhn: "Da sollte ich mich auch ein wenig zügeln. Vielleicht das ein oder andere Wort - das nehme ich auf meine Kappe. Ich sollte ein bisschen milder werden."

28 Februar: Festspielpräsident Haselsteiner kontert den Vorwürfen. Die Anschuldigungen seien eine "Schweinerei erster Ordnung", sagt Haselsteiner: "Wir sind offensichtlich Opfer einer Verleumdungskampagne." Er ortet eine Kampagne und politische Motive dahinter. Offenbar gehe es darum, die ÖVP und Landeshauptmann Günther Platter knapp vor der Tiroler Landtagswahl zu treffen. Die Festspiele dienten als "Instrument" dafür. Die Vorwürfe von angeblichem Lohn- und Sozialdumping, Lohnwucher, Scheinselbstständigkeit und dergleichen sind für den Festspielpräsidenten schon "längst erledigt", der auf entsprechende Untersuchungen durch Tiroler Gebietskrankenkasse und Finanzpolizei verweist.

1. März: Der Verein "art but fair" erstattet bei der Innsbrucker Staatsanwaltschaft Anzeige gegen Kuhn. Dem Verein geht es um mehrere "Fragenkomplexe", die staatsanwaltschaftlich geklärt werden sollen, darunter der Vorwurf von strafrechtlich relevanten sexuellen Übergriffen.

2. März: Die Festspiele Erl erwirken bei Gericht eine Einstweilige Verfügung gegen den Tiroler Blogger Markus Wilhelm. Zudem werden mehrere Klagen gegen Wilhelm vorbereitet und auf den Weg gebracht.

11. März: Der Vorstand der Tiroler Festspiele Erl Privatstiftung beschließt die Offenlegung der Gagen und richtet eine Ombudsfrau als Anlaufstelle für gegebenenfalls Betroffene ein. Zudem beauftragt er die Geschäftsführung "Rules of Conduct" (Verhaltensregeln, Anm.) zu erarbeiten und zu implementieren.

17. Mai: Kuhn zieht seine medienrechtliche Klage gegen Wilhelm zurück. Die Zivilklage bleibt jedoch aufrecht. Der Blogger sieht darin einen kleinen Sieg.

Anfang Juni: Die zuständige Richterin übermittelt den Akt aus dem Prozess Kuhn gegen Wilhelm unter anderem wegen übler Nachrede nach dem Mediengesetz an die Staatsanwaltschaft. Die Anklagebehörde prüft die Aussagen, die Vorwürfe sind aber bereits verjährt. Zwei weitere Zeuginnen sollen aber noch einvernommen werden.

6. Juli: Die heurigen Festspiele werden eröffnet. In seiner Festansprache übt Haselsteiner Kritik und nimmt Kuhn in Schutz. Die sozialen Medien bezeichnet er als "neuen Pranger" und Kuhn attestiert er "ganz der Alte zu sein". "Er macht - hoffentlich zum Ärger des Bloggers - noch immer keinen Hehl daraus, welche Vorlieben er hat. Und Wein, Weib und Gesang ist etwas, was wir gut nachvollziehen können", witzelt der Festspielpräsident.

25. Juli: Fünf ehemalige Künstlerinnen klagen in einem offenen Brief sexuelle Übergriffe bzw. Missbrauch durch den künstlerischen Leiter, Gustav Kuhn, an. Sie sprechen von "anhaltendem Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen" durch Kuhn während ihres Engagements. Es ist das erste Mal, dass sich Künstler namentlich an die Öffentlichkeit wenden.

(APA)

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