Causa Erl: Festspielpräsident Haselsteiner von Vorwürfen "schockiert und überrascht"

TIROLER FESTSPIELE ERL: 21. FESPIELSOMMER/EROeFFNUNG: HASELSTEINER/KUHN
TIROLER FESTSPIELE ERL: 21. FESPIELSOMMER/EROeFFNUNG: HASELSTEINER/KUHNAPA/EXPA/JOHANN GRODER
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Fünf Künstlerinnen klagen in einem offenen Brief sexuelle Übergriffe durch den künstlerischen Leiter Gustav Kuhn an. Der Festspielpräsident Hans Peter Haselsteiner will nun erst einmal das Ende der Festspiele abwarten - und bittet die Künstlerinnen um Verständnis für die "kleine Verzögerung".

Der Präsident der Tiroler Festspiele Erl, Hans Peter Haselsteiner, hat sich am Donnerstag in einem offenen Brief zu den tags zuvor erhobenen Vorwürfen durch fünf Künstlerinnen zu Wort gemeldet. Er sei durch den gestrigen Brief "einerseits schockiert und andererseits überrascht" gewesen, so Haselsteiner, der versicherte, dass den Anschuldigungen "mit Ernsthaftigkeit und Akribie" nachgegangen wird.

"Outing am Tag vor Wagners Ring"

"Allerdings werde ich diesbezüglich erst ab Montag tätig werden, um das Ende der Festspiele abzuwarten", so der Festspielpräsident, der den Künstlerinnen zusagte, sie über die Ergebnisse der Recherchen "umgehend" zu informieren. Haselsteiner zeigte sich in dem Brief überzeugt, dass die Künstlerinnen Verständnis für die "kleine Verzögerung" aufbringen werden. Es sei ihnen sicher nicht bewusst gewesen, dass das "Outing am Tag vor Wagners Ring erfolgt; ein Zyklus der dem Dirigenten Gustav Kuhn alles abverlangt, insbesondere, weil er an vier aufeinanderfolgenden Tagen gespielt wird".

Zudem verwies Haselsteiner auf die parallel verlaufende Prüfung der Staatsanwaltschaft. Diese werde den Künstlerinnen "sicher ab sofort Gelegenheit geben", die Vorwürfe zu präzisieren. Zudem sei es, um die Untersuchungen zielführend vorantreiben zu können, "im hohen Masse wünschenswert, wenn nicht gar unabdingbar notwendig, dass Sie Ihre Betroffenheit bzw. Zeugnislegung der eigens für diese Fälle bestellten unabhängigen Ombudsfrau anvertrauen", meinte Haselsteiner in dem Schreiben.

Teilt Empörung nicht

"Ich persönlich wäre Ihnen äußerst dankbar, wenn Sie mir erläutern würden, was Sie als 'unangemessene Art, wie auf das Ansprechen der dortigen Zustände reagiert wurde' einstufen", schrieb Haselsteiner. Die Festspiele hätten "alle zu Gebote stehenden Mittel ergriffen, um die bisher erhobenen Vorwürfe aufzuklären und zukünftige zu verhindern". Die Empörung über das Ausbleiben "notwendiger Konsequenzen" aus einer "allseits bekannten Faktenlage" teile er nicht, so Haselsteiner, der eine Vorverurteilung von Maestro Kuhn über das Internet für im höchsten Masse unfair hält.

>> Haselsteiners Brief im Wortlaut

Landesrätin will Handlungsvorschlag einbringen

Tirols Bildungslandesrätin Beate Palfrader (ÖVP) hat indessen am Donnerstag für eine baldige Einberufung des Stiftungsvorstandes plädiert. "Um die weitere Vorgehensweise zu besprechen", sagte Palfrader der APA. Sie werde diesbezüglich einen Vorschlag einbringen.

Angesprochen auf die Forderung der Grünen nach einer vorläufigen Suspendierung Kuhns, meinte Palfrader: "Das ist die Meinung des Koalitionspartners, die durchaus zulässig ist." Man habe sich aber in Absprache mit dem Kulturministerium darauf verständigt, "die zuständigen Stellen" zunächst einmal ermitteln zu lassen, so Palfrader: "Parallel werden wir dann im Vorstand die weitere Vorgehensweise festlegen."

Die Tiroler NEOS forderten am Donnerstag "alle Beteiligten zum raschen Handeln" auf. "Die Vorwürfe die gegen den künstlerischen Leiter der Festspiele Erl, Gustav Kuhn, veröffentlicht wurden, sind schwerwiegend. Zum einen betreffen sie gravierende Verletzungen des Arbeitsrechts, zum anderen sind es fürchterliche Vorwürfe sexueller Gewalt. Beides gehört umgehend in rechtsstaatlichen Verfahren untersucht und geklärt", erklärte NEOS-Landessprecher Dominik Oberhofer in einer Aussendung.

Betroffene Mezzosopranistin bekräftigte Vorwürfe

Im Ö1-"Kulturjournal" hat am Mittwochabend eine der fünf Künstlerinnen, die im offenen Brief Vorwürfe gegen Kuhn erhoben, diese öffentlich bekräftigt: Die deutsche Mezzosopranistin Julia Oesch sprach im Interview von "sexuellen Übergriffen, die einige von uns erleben mussten, auch ich persönlich".

Alles, was in dem Brief angeführt werde, habe sie auch so erlebt, betonte Oesch. Man sei auch regelmäßig von Kuhn zusammengeschrien worden. Dass man in Tränen ausbrochen ist, sei "an der Tagesordnung gewesen". "Es waren teilweise solche Angriffe, die so tief ins Persönliche gingen, dass man teilweise verzweifelt die Bühne verlassen musste".

Die Künstlerinnen seien "nicht angstfrei, aber wir sind mutig und uns trotzdem der Tragweite bewusst", sagte die Mezzosopranistin und meinte zudem: "Erl wird vielleicht nicht mehr das sein, was es war". Die Verantwortlichen dort würden nun "sicher zurückschlagen", aber sie sehe sich in der gesellschaftlichen Verantwortung. Man müsse Dinge ansprechen. "Wenn wir wollen, dass es der nächsten Generation nicht mehr so geht wie uns, dann müssen wir mutig sein, auch wenn es teilweise Überwindung kostet", erklärte Oesch.

Staatsanwaltschaftssprecher Florian Oberhofer verwies indes auf das laufende Ermittlungsverfahren gegen Kuhn wegen sexueller Belästigung, in dem noch Einvernahmen anstehen würden. Die Personen, die den offenen Brief verfasst haben, sowie die darin enthaltenen Vorwürfe seien für die Anklagebehörde "teilweise nichts Neues, sondern schon bekannt", Es werde nun zu prüfen sein, inwieweit sich über diese Vorwürfe hinaus sich "allenfalls weitere Verdachtsmomente gegen konkrete Personen ergeben".

Eine Chronologie der Vorwürfe

Mitte Februar 2018 veröffentlicht der Blogger Markus Wilhelm auf der Homepage "dietiwag.org" anonyme Vorwürfe, die von "modernem Sklaventum" über Verdacht auf Lohndumping bis hin zu sexueller Belästigung unter anderem durch Maestro Kuhn reichen. Die Verantwortlichen der Festspiele Erl weisen die Anschuldigungen aufs Schärfste zurück und kündigen eine Klage gegen Wilhelm an.

26. Februar: Der künstlerische Leiter Gustav Kuhn nimmt erstmals selbst Stellung. Er spricht von "unhaltbaren Anschuldigungen" und wehrt sich gegen Vorverurteilungen. "Wenn das Gericht zu einem Urteil kommt, dann ist es so. Aber bevor das Gericht nicht zu einem Urteil kommt, ist es so nicht. Das sagt unser Rechtsstaat", erklärt Kuhn in einem Interview im Ö1-"Kulturjournal". Im Hinblick auf den Vorwurf eines autoritären Stils meint Kuhn: "Da sollte ich mich auch ein wenig zügeln. Vielleicht das ein oder andere Wort - das nehme ich auf meine Kappe. Ich sollte ein bisschen milder werden."

28 Februar: Festspielpräsident Haselsteiner kontert den Vorwürfen. Die Anschuldigungen seien eine "Schweinerei erster Ordnung", sagt Haselsteiner: "Wir sind offensichtlich Opfer einer Verleumdungskampagne." Er ortet eine Kampagne und politische Motive dahinter. Offenbar gehe es darum, die ÖVP und Landeshauptmann Günther Platter knapp vor der Tiroler Landtagswahl zu treffen. Die Festspiele dienten als "Instrument" dafür. Die Vorwürfe von angeblichem Lohn- und Sozialdumping, Lohnwucher, Scheinselbstständigkeit und dergleichen sind für den Festspielpräsidenten schon "längst erledigt", der auf entsprechende Untersuchungen durch Tiroler Gebietskrankenkasse und Finanzpolizei verweist.

1. März: Der Verein "art but fair" erstattet bei der Innsbrucker Staatsanwaltschaft Anzeige gegen Kuhn. Dem Verein geht es um mehrere "Fragenkomplexe", die staatsanwaltschaftlich geklärt werden sollen, darunter der Vorwurf von strafrechtlich relevanten sexuellen Übergriffen.

2. März: Die Festspiele Erl erwirken bei Gericht eine Einstweilige Verfügung gegen den Tiroler Blogger Markus Wilhelm. Zudem werden mehrere Klagen gegen Wilhelm vorbereitet und auf den Weg gebracht.

11. März: Der Vorstand der Tiroler Festspiele Erl Privatstiftung beschließt die Offenlegung der Gagen und richtet eine Ombudsfrau als Anlaufstelle für gegebenenfalls Betroffene ein. Zudem beauftragt er die Geschäftsführung "Rules of Conduct" (Verhaltensregeln, Anm.) zu erarbeiten und zu implementieren.

17. Mai: Kuhn zieht seine medienrechtliche Klage gegen Wilhelm zurück. Die Zivilklage bleibt jedoch aufrecht. Der Blogger sieht darin einen kleinen Sieg.

Anfang Juni: Die zuständige Richterin übermittelt den Akt aus dem Prozess Kuhn gegen Wilhelm unter anderem wegen übler Nachrede nach dem Mediengesetz an die Staatsanwaltschaft. Die Anklagebehörde prüft die Aussagen, die Vorwürfe sind aber bereits verjährt. Zwei weitere Zeuginnen sollen aber noch einvernommen werden.

6. Juli: Die heurigen Festspiele werden eröffnet. In seiner Festansprache übt Haselsteiner Kritik und nimmt Kuhn in Schutz. Die sozialen Medien bezeichnet er als "neuen Pranger" und Kuhn attestiert er "ganz der Alte zu sein". "Er macht - hoffentlich zum Ärger des Bloggers - noch immer keinen Hehl daraus, welche Vorlieben er hat. Und Wein, Weib und Gesang ist etwas, was wir gut nachvollziehen können", witzelt der Festspielpräsident.

25. Juli: Fünf ehemalige Künstlerinnen klagen in einem offenen Brief sexuelle Übergriffe bzw. Missbrauch durch den künstlerischen Leiter, Gustav Kuhn, an. Sie sprechen von "anhaltendem Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen" durch Kuhn während ihres Engagements. Es ist das erste Mal, dass sich Künstler namentlich an die Öffentlichkeit wenden.

(APA)

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