Am Anfang war das Schuhplatteln: In Krems kam die Musik vom Tanz

Schritte aus den Alpen, Zartes aus Irland, Grenzgänge aus Spanien: Ein gelungener – und stark männerdominierter – erster Abend bei „Glatt und verkehrt“.

Die „neuere Musik“, schrieb Nietzsche – und meinte Wagner – habe die Absicht, den Hörer zum Schwimmen zu bringen. Dagegen: „In der älteren Musik musste man, im zierlichen oder feierlichen oder feurigen Hin und Wieder, Schneller und Langsamer, etwas ganz anderes, nämlich tanzen.“

Die Idee, dass jeder Musikstil (außer jener Richard Wagners natürlich) aus Tanzmusik entstanden sei und sich dann allmählich davon abstrahiert habe, sitzt tief in uns. Auch viele Jazzhistoriker sind ihr gefolgt. Das erste Konzert des Kremser Festivals „Glatt und verkehrt“ wirkte wie ein bewusster Rückschritt zu diesen Ursprüngen: Bassist Lukas Kranzelbinder mit seiner Band Shake Stew und Tänzer Simon Mayer mit seiner Compagnie Sons of Sissy haben eine höchst motorische Show erarbeitet, in der die Musik nicht nur aus dem Tanz geboren wird, sondern ganz allgemein aus der Bewegung: aus Schreiten und Marschieren und Laufen. (Aus Schwimmen einstweilen noch nicht, trotz starker Regenfälle vor dem Konzert.)

Immer wieder wächst da ein Rhythmus aus dem Sound der Füße, aus dem Stampfen und Klackern, paschende Hände ergänzen ihn, und plötzlich merkt man: Hallo, da wird ja schuhgeplattelt und schnadergehüpfelt! Und dann wieder wächst aus dem offenbar Alpinen bald brüllender, bald meckernder und gackernder Freejazz. Oder hörte man da wirklich, wie im Programmheft erklärt, marokkanische Elemente?

Von wenigen allzu humoristischen Passagen abgesehen: ein faszinierender Beginn eines Festivals, das sich dem verschrieben hat, was man Weltmusik nennt: Musik auf regionaler Basis, die Globales im Sinn hat, es aber nicht erzwingt. Die im besten Sinn volkstümlich ist, aber offen – auch in Richtung Kunstmusik. In Krems herrscht kein Gebot zur Bodenständigkeit, und das ist gut so.

Domestizierte Jigs und Reels

Einem solchen Gebot würde das Quartett This Is How We Fly gewiss nicht folgen. Von „traditional music from an imaginary land“ sprach einer der Musiker, das klingt gut, trifft's aber nicht ganz. Denn man hörte schon, woher diese Rhythmen kommen, oft aus keltischen Jigs und Reels, aber sie klangen wie gezähmt, besänftigt. Manchmal sogar entkräftet. Jedenfalls behutsam, wie auch der perkussive Tanz von Nic Gareiss: Dieser zarte Mann reduzierte das Klackern seiner Schritte oft zu einem Knistern. Fast schon beunruhigend subtil.

Dagegen richtig wild und heiß: La Banda Morisca. Der Name steht auch für das Grenzgebiet zwischen den arabisch und den christlich geprägten Gebieten im alten Spanien. Tatsächlich meint man, in der Musik dieses Ensembles die Grenzen und auch Übergänge zwischen Abend- und Morgenland zu hören. Von den Läufen des Flamenco etwa, in denen die Töne bei aller Rasanz noch isoliert sind, die Tonhöhen noch nicht ineinanderübergehen, zu den typisch orientalischen Melismen: ein Grenzübergang (wie in der Mathematik, wenn's vom Diskreten ins Kontinuierliche geht), gewiss, aber eben kein unüberwindbarer.

Und auch hierzu Tanz: Juan Tomás de la Molía trug, herrlich überzeichnet, im reizvollen Kontrast zu seiner jünglingshaften Erscheinung, den Stolz spanischer Männlichkeit zur Schau. Apropos: Zumindest am ersten Abend von „Glatt und verkehrt“ in der idyllische Sandgrube war bei Musik und Wein die Männerwelt intakt. Das statistische Zentralamt des „Presse“-Feuilletons meldet einen Frauenanteil auf der Bühne von 4,5 Prozent. Nietzsche wäre zufrieden.

Das Festival dauert bis 29. Juli. Am Freitag spielen etwa das finnische Geigenensemble Frigg und Mohammed und Abdalah Abozekry aus Ägypten. Am Samstag steht u.a. Wolfgang Puschnigg auf der Bühne, am Sonntag gibt Eva Jantschitsch vulgo Gustav eines ihrer seltenen Konzerte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2018)

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