Fressen uns die Gäst' das Essen weg?

Wirtschaft und Politik feierten immer gern in Salzburg – und Celebrities, etwa Soraya Esfandiary-Bakhtiary (M.), in den Fünfzigerjahren Kaiserin von Persien, hier 1967.
Wirtschaft und Politik feierten immer gern in Salzburg – und Celebrities, etwa Soraya Esfandiary-Bakhtiary (M.), in den Fünfzigerjahren Kaiserin von Persien, hier 1967. (c) ullstein bild via Getty Images (ullstein bild)
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Salzburger Festspiele. Bitte nicht küssen! Kanzler Kreisky und Society-Löwe Dimitri Pappas, Karajan-Kult und Debatte um DDR-Orchester, Rückblick auf Ernstes und Skurriles.

Salzburg/Wien. An den christlich-sozialen Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl (1890–1947) erinnert heute ein Denkmal auf dem Max-Reinhardt-Platz. Wer kennt ihn noch? Rehrl, 1922 bis 1938 im Amt, setzte die Festspiele durch. „Die Gäst' fressen uns das Essen weg!“, fürchteten die Salzburger nach dem Ersten Weltkrieg. Rehrl gab nicht nach. In seiner Amtszeit gab es wichtige Neu- und Umbauten im Festspielbezirk, zuletzt 1937 von Architekt Clemens Holzmeister. Dirigent Arturo Toscanini verlangte, dass der Zuschauerraum des Festspielhauses um 180 Grad gedreht werde, worauf Rehrl sogar sein eigenes Geburtshaus im heutigen Toscaninihof abreißen ließ. 1938 wurde Rehrl beim Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich vorübergehend verhaftet – und erneut, als er sich für das Unternehmen Walküre engagierte. Nach dem gescheiterten Attentat der Widerstandskämpfer um Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler blieb Rehrl bis 1945 im Gefängnis, schwer gezeichnet starb er an den Folgen der Haft.

Hochrangige Politiker kommen noch immer gern nach Salzburg, aber eher, um Small Talk zu treiben, als für konkrete Beschlüsse. Am meisten sind sie gefragt, wenn es Turbulenzen um die Festspiele oder ihre Intendanten gibt. Forsch baute Gerard Mortier ab 1991 Karajans Erbe um. Alexander Pereira wollte mit Sponsorengeld das Festival stark erweitern. Die Politik sagte: Nein.

Martin Kušej war fad

Jürgen Flimm, Schauspieldirektor und Intendant der Festspiele (2006–2010), hatte einen guten Draht zum früheren Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Es hieß immer wieder, Schüssel habe sich für Flimm als Festspielchef eingesetzt. Bei Festspiel-Symposien knallten Kunst und Politik aufeinander. Komponistin Olga Neuwirth warf den Verantwortlichen Kleinmut vor. 2006 hatte Österreich den EU-Ratsvorsitz in der EU, „Sound of Europe“ hieß eine hochkarätig besetzte EU-Veranstaltung in Salzburg, bei der Martin Kušej, ab 2019 Burg-Chef in Wien, resümierte: „Ich sitze hier als EU-Bürger. Mir war, bei allem Respekt, ein bisschen fad. Die Kunst ist fast ein sakraler Ort ohne Rücksicht auf den ökonomischen Wert.“ Pointierte Worte, nicht wahr – wer in Salzburg auftritt, hat es geschafft und verdient viel. Was zutrifft: Die Festspiele müssen den Balanceakt zwischen Tradition und Moderne beherrschen. Seit der Wahl-Salzburger und angesehene Pianist Markus Hinterhäuser Festspielchef ist, haben sich die Grundsatzdiskussionen etwas beruhigt.

Flick, Siemens, Begum Aga Khan

Die natürlich auch politischen Zielkonflikte um die Festspiele reichen weit zurück. Festspielgründer Max Reinhardt gelang es 1920, den aufgeschlossenen Fürsterzbischof Ignaz Rieder vom „Jedermann“ vor dem Dom zu überzeugen, statt eines Krippenspiels. Legendär sind die Kontroversen der rund drei Jahrzehnte dauernden Karajan-Ära. Dirigent Herbert von Karajan (1908–1989) reihte musikalische Qualität entschieden vor szenische Gestaltung, pflegte Klassisches wie Zeitgenössisches (von Hindemith bis Henze). Er war ein Technikpionier, kannte sich mit dem Business aus. Die Society liebte ihn, die echte, nicht B-Promis, die andauernd in Kameras winken wollen. Karajan setzte vieles durch, was heute selbstverständlich ist.

Ein Beispiel: Man vermag es kaum zu glauben, was der Historiker und Politologe Robert Kriechbaumer in seinem umfangreichen Coffee Table Book über Salzburg schreibt. Zwecks Entlastung der Wiener Philharmoniker holte Karajan renommierte internationale Orchester nach Salzburg. Als er sich, gemeinsam mit Karl Böhm, die Staatskapelle Dresden wünschte, brodelte es. Im Kalten Krieg fürchtete man durch ein Gastspiel aus der damaligen DDR Propaganda für den Kommunismus. Als die Dresdner 1961 kommen durften, war gerade wieder schwerer Frost zwischen den Großmächten Amerika und Russland (die DDR war Teil des von Russland beherrschten Ostblocks) angesagt.

Keine Geringeren standen einander hier gegenüber als der Regierungschef der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow, und US-Präsident John F. Kennedy. Die Einladung an das Gastorchester aus dem Osten blieb ein heißes Eisen zwischen dem Direktorium und der Politik. Heute ist das alles nur mehr eine Frage des Geldes. Beruhigend. Am 25. August 1988, mitten in den Festspielen, trat Karajan zurück, aus Sorge um das Niveau der Festspiele, tatsächlich hatte er zu diesem Zeitpunkt erhebliche gesundheitliche Probleme. Salzburgs Wirtschaft wollte den Kassenmagneten zurückholen. Vergeblich.

Ritterschlag für Künstler, Politiker

Nicht nur für Künstler, auch für Politiker sind die Festspiele ein Ritterschlag, wer hier eingeladen wird, Bundespräsidenten, Kanzler, Minister, hat es ganz nach oben geschafft. Was die Society, oder sagen wir lieber: die noble Gesellschaft betrifft, war, ebenfalls bereits zur Karajan-Zeit, der griechische Generalkonsul Dimitri Pappas (1921–1999) ein Schrittmacher. Mit seinem Bruder Georg baute Pappas ab 1952 Mercedes-Benz in Österreich auf. 1959 gab Dimitri Pappas für Karajan, dessen Vorfahren Karajannis hießen und aus Griechisch-Mazedonien stammten, einen Empfang. Mit dem deutschen Generalkonsul Hans Puhl, wohl auch in edlem Wettstreit, wurde Salzburgs Glamour mit Aristokraten und Industriellen aufgebaut.

Konzerne waren damals noch nicht in der Hand von Managern, sondern die Herren und Damen mit den klingenden Namen traten selbst auf: Flick, Henkel, Siemens, Graf Theo Rossi (Martini!), Ghetty, Begum Aga Khan – und sogar Adolf Hitlers Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht (1877–1970), der im Nürnberger Prozess freigesprochen worden war.

Nur Österreichs Kanzler Bruno Kreisky, selbst aus dem Industriellenmilieu stammend, Emigrant, Sozialdemokrat, blieb skeptisch und meinte über den jovialen Pappas, der jeden umarmte: „Ich mag ihn ja, aber von Männern werde ich wirklich nicht gern geküsst.“ Sind die glamourösen Tage der Salzburger Festspiele vorbei? Nein, allenfalls verbergen sich Reiche und Schöne besser als früher. Und sind froh, dass die Politiker vor den Vorhang treten (müssen).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2018)

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