Vom Gipfel weg schnurstracks ins Grab

Daniil Trifonov
Daniil Trifonov(c) Clemens Fabry
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Jubelstürme in Salzburg für Tschaikowskys Klaviertrio mit Trifonov, Capuçon und Hagen.

Komponisten brauchen manchmal extreme musikalische Ansichten: Sie schärfen an ihnen die Krallen ihrer Kreativität. Der Pjotr Iljitsch Tschaikowsky des Jahres 1880 hätte am Freitag im Haus für Mozart gelitten. „Wohl infolge der Beschaffenheit meiner Hörorgane vertrage ich die Verbindung von Klavier, Geige und Cello nicht“, schrieb er seiner Gönnerin Nadeschda von Meck: „Mir scheint, dass diese Klangfarben nicht miteinander harmonieren, und ich versichere Ihnen, dass es für mich eine Qual ist, ein Trio oder eine Sonate mit Geige und Cello zu hören.“

Dabei faszinierte gerade die partnerschaftliche Harmonie, mit der Renaud Capuçon und Daniil Trifonov zunächst Claude Debussy und César Franck interpretierten. Mag sein, dass man sich am Beginn von Debussys später g-Moll-Sonate noch etwas mehr Geheimnis beim verschleierten Rhythmus gewünscht hätte, die Stimmung war doch getroffen. Capuçon ist zu einem großen Geiger modernen Zuschnitts herangereift: Sein Ton ist süß, wird aber nie klebrig triefend, er phrasiert mit schlanker Eleganz und großer Sauberkeit. Auch Trifonov trägt bei aller Impulsivität nie zu dick auf. Es schien, als habe er seinen Klavierton exakt auf Duodimensionen geeicht und differenziere nun aufs Feinste in diesem Rahmen. Sie forcierten das Tempo in Debussys quecksilbrigem Mittelsatz nicht, es durfte swingen: So blieb Zeit für die augenzwinkernden Grimassen des Klaviers, die an die „Préludes“ denken lassen, so konnte die Violine ihre lächelnden Gesten vollführen und schmachtenden Blicke werfen.

Zum Hochseilakt, aber ohne jede zirzensische Anmutung, geriet das Finale, in dem die Motive locker und schwerelos tanzten. Glorios, wie dagegen das Hauptthema der Violine im Stirnsatz von Francks beinah symphonisch dimensionierter Sonate auf leichten Flügeln schwebte – und prächtig, wie Trifonov aus Pianissimo-Akkordzerlegungen silberne Spinnweben machte oder wie mühelos er nervöse Rhythmen herausmeißelte, ohne dabei jemals zu hämmern. Die Violine durfte sich zwischendurch im Kantilenenbad räkeln: züchtig, versteht sich, ohne laszive Süßlichkeit.

Und Tschaikowsky? „Jedes Instrument verliert den ihm eigentümlichen Reiz“, klagte er über die Klaviertriobesetzung. „Deshalb könnte ich für diese Klangkombination keine von echtem Gefühl beseelte Komposition schreiben.“ Aber was wäre ein künstlerisches Prinzip wert, könnte man es nicht auch spontan umstoßen? Unter dem Eindruck des plötzlichen Todes von Anton Rubinstein, seinem Lehrer und Förderer, begann Tschaikowsky Ende 1881 sein riesenhaftes Klaviertrio a-Moll op. 50, das im Jahr darauf uraufgeführt wurde – mit der Widmung „à la mémoire d'un grand artiste“. Ein „Pezzo elegiaco“ als erster Satz, in dem bereits das Schöne und das Traurige ständige Metamorphosen durchmachen und dabei doch zusammenfallen. Und dann eine breit ausgeführte Kette von Variationen. Es heißt, Tschaikowsky habe damit, einem geheimen Programm folgend, Szenen aus Rubinsteins Leben geschildert. Wenn das stimmt, vertritt die letzte Variation, die sich zum rauschenden Finale auswächst, den frühen Tod auf der Höhe des Ruhms: Der angesteuerte Triumph fällt in sich zusammen, verwandelt sich in einen beklemmenden Trauermarsch.


Unheimlicher Spieldosencharme. Capuçon, Trifonov und Clemens Hagen, der sein Cello geschmeidig singen ließ, gelang mit ihrer gefühlvoll-strengen Interpretation ein unbestreitbarer Höhepunkt der Kammerkonzerte des Festspielsommers. Tschaikowskys unablässiges Festhalten an der Thematik, das Drehen und Wenden, es verwandelte sich hier zum logischen Symbol der Verarbeitung des Unabänderlichen. In den Episoden erhielt der Spieldosencharme einen unheimlichen, manischen Beiklang, schwang sich das Cello zu vermeintlich weltbewegender Rede auf und brach doch nur in einen wirbelnden Walzer aus, belebte das Klavier eine Mazurka mit lässigem Rubato. Wieder war Trifonov das Gegenteil eines auftrumpfenden Tastenmatadors, nämlich einer von drei beseelten Kammermusikern: Standing Ovations.

Auf Ö1: 24. 8., 19.30 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2018)

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