Innsbruck: Daphne und der Lorbeer des Todes

(c) Festwochen Innsbruck/ Rupert Larl
  • Drucken

Den Festwochen gelingt mit Francesco Cavallis „Gli amori d'Apollo e di Dafne“ in junger Besetzung eine musikalisch exquisite Zeitreise in die Frühgeschichte der Oper.

So ist dem, der alle Macht hat, auch alles gestattet?“ Zeitlos und zugleich brennend aktuell ist die bange Frage der Nymphe Daphne in Giovanni Francesco Busenellos Libretto, die sich der sexuellen Zudringlichkeiten des Gottes Apollon erwehren muss und schließlich einen drastischen Ausweg wählt: Ihre Verwandlung in einen Lorbeerbaum, wie sie Ovid in seinen „Metamorphosen“ geschildert hat, zählt zu den beliebtesten Sujets des Musiktheaters – von der nur fragmentarisch erhaltenen Ur-Oper „Dafne“ (1597/98) des Komponistenduos Jacopo Peri und Jacopo Corsi bis mindestens zu Richard Strauss. Auch Francesco Cavallis „Gli amori d'Apollo e di Dafne“ zählt noch zur Frühgeschichte der Gattung. Uraufgeführt 1640 in Venedig, ist das Werk in gewisser Weise bereits dort, wo später ein Richard Wagner die Oper mit gesteigerten Mitteln erst wieder hinführen musste: nämlich beim durchgehenden musikdramatischen Fluss. Rezitative, Ariosi und tänzerische Abschnitte gehen bei dieser natürlich wechselnden Klangrede fast unmerklich ineinander über, Gliederungen durch großformatige Wiederholungen fehlen – und auch am Ende gibt es kein Nachspiel, das einen ausführlichen Schlusspunkt setzen würde, sondern das Opus verstummt mit Daphnes letzten Worten, die der Verwandelten schon zu schwinden drohen: Als Baum werde sie sich dem Licht des Sonnengottes nicht mehr entziehen.

Zehn junge Sänger in 25 Rollen

Bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik und ihrer traditionellen Freiluftproduktion mit dem Untertitel „Barockoper jung“ erfreuen im Innenhof der Theologischen Fakultät jedenfalls frisches Grün und schöne Blüten musikalischer Art, orchestral ebenso wie stimmlich. Die Accademia La Chimera unter Massimiliano Toni erfüllt Cavallis überliefertes Partiturgerüst mit klug gesteuerter Fantasie und klaren, aber subtil schattierten Farben. Wenn Dafnes Vater, Penèo (Andrea Pellegrini), auftritt, den sie um Hilfe anfleht, erklingen mystische Streicherakkorde ohne das fast allgegenwärtige Continuo-Glitzern der Cembali und Lauteninstrumente: Das hebt sich vom übrigen Klangbild beinah schockhaft ab – und ist zugleich ein Vorbote für Daphnes Verwandlung, die ähnlich schwebende Klänge begleiten.

Weil Busenello im Text nicht nur die Geschichte des einseitigen Begehrens zwischen den Titelfiguren abhandelt, sondern zum Vergleich auch allerlei weitere Liebeshändel, Ehebrüche und amouröse Enttäuschungen zwischen Götter- und Menschenwelt, sind zehn junge Sänger in insgesamt 25 großen, mittleren und kleinen Rollen am Werk, wobei Isaiah Bell als Putzfrau Cirilla eine famose Charakterstudie gelingt. Die meisten waren Finalisten oder Preisträger des Cesti-Gesangswettbewerbs der Festwochen – und ergeben nun ein hervorragendes Ensemble, bei dem Wohllaut auch dann noch regiert, wenn die Empörung etwa der Venere von Isabelle Rejall drastischere Tongebung (und sogar ein jazziges Einsprengsel!) provoziert.

Regisseurin Alessandra Premoli erzählt die Geschichte als Komatraum der Dafne, die anfangs in einem modernen Krankenhaus am Tropf hängt, dann (scheinbar?) erwacht und schließlich, als finale Verwandlung, stirbt. Diese Grundidee wird eher locker als konsequent umgesetzt und erinnert natürlich stark an Romeo Castelluccis Inszenierung von Glucks „Orfeo ed Euridice“ bei den Wiener Festwochen 2014. In Innsbruck gibt es keine Zuspitzung mit einer realen Wachkomapatientin, aber Sara-Maria Saalmann setzt Dafnes Liebe zum Leben und die Abscheu vor Apollos Drängen in souverän zarte, verletzliche Phrasen um – und spielt die verschiedenen Phasen der Erkenntnis des eigenen Todes wunderbar berührend und poetisch. Dazu passt, dass die betörend klingende Giulia Bolcato als Amor schwarze Flügel trägt, mit Injektionsspritze statt Pfeil und Bogen wie ein Todesengel wirkt – und sich als stärker erweist als Apoll. Dabei ist dieser im Outfit eines Popstars zunächst ganz Selbstgefälligkeit. Rodrigo Sosa dal Pozzo wechselt geschmeidig zwischen Tenor und Countertenor, und die Schattenspieler alTREtracce lassen ihn wie einst Chaplin seinen großen Diktator mit einer Weltkugel hantieren: Insgesamt ist ihr Einsatz nicht zwingend, auch wenn ihnen einige schöne Effekte gelingen mögen.

Weitere Aufführungen: 22. und 23. August, 20 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.