Goliath, Morisken und ein Alphorn aus den Anden

© Innsbrucker Festwochen / Felix Scharnagl
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Innsbrucker Festwochen. Indigene Musik aus Südamerika, neapolitanischer Herzschmerz und Scarlattis Oratorium „Davidis pugna et victoria“.

Wie singt, wie spielt man Alte Musik? Die mit dem großen A, das heißt in der Regel: Musik, die schon einmal aus der Praxis verschwunden war. Die unterschiedlichen Antworten, die jedes Jahr bei den Innsbrucker Festwochen gegeben werden, zeigen sowohl die Notwendigkeit als auch die Bandbreite nachschöpferischer Kreativität dort, wo sich die Überlieferung aufs Papier beschränkt: Bei frühen Barockopern etwa sind ja nicht einmal die Instrumente ausdrücklich festgelegt.

Unter speziellen Bedingungen aber haben sich Traditionen am Leben erhalten und sind weiterhin abrufbar. „Jedes Mal, wenn auf dem Land ein alter Musiker stirbt, ist das, als würde eine Bibliothek verbrennen“, hat Atahualpa Yupanqui einmal festgestellt, der bedeutendste Vertreter argentinischer Volksmusik im 20. Jahrhundert. In Südamerika blieben die von den europäischen Eroberern mitgebrachten Instrumente bis heute präsent, wurde das musikalische Wissen mündlich weitergegeben – und vieles von dem, was uns heute „spanisch“ vorkommt, stammt ursprünglich aus den Kolonien.

Wie das Alte unter solchen Vorzeichen klingen kann und wie sich das Neue in den Kontext einblendet, zeigte das Ensemble La Chimera in der Jesuitenkirche. Im Kern ein Gambenconsort, hat es unter Eduardo Egüez sein Repertoire bis in zeitgenössisch-volksmusikalische Regionen erweitert. Da verschmelzen indigene Lieder aus Bolivien oder Peru mit christlichen Gesängen aus diversen Codices vom 16. bis zum 18. Jahrhundert mit zeitgenössischen Beiträgen von Egüez und Clarken Orosco zu einem großen musikalischen Bilderbogen – angeführt von Bárbara Kusas kristallklarem Sopran und im Verein mit dem Coro del Friuli Venezia Giulia. Luis Rigou spielt Andenflöten, auch eine gut zwei Meter lange Caña – so etwas wie ein quer gehaltenes Alphorn –, und singt mit kalkuliert rauer Bruststimme den Solopart in der „Misa Criolla“ des Ariel Ramírez, die ab den 1960er-Jahren weltweit bekannt geworden ist und sogar Operntenöre auf populäre Abwege gebracht hat: mitreißende kleine und doch große Klänge.

Neapel auf Schloss Ambras

Spekulativer, aber ebenfalls reizvoll populär geriet der Abend mit dem Daedalus-Ensemble im Spanischen Saal auf Schloss Ambras. Morisken standen da auf dem Programm – genauer: die musikalische Begleitung zu diesen grotesken Pantomimen, halb Tanz, halb Theater, die in der höfischen und volkstümlichen Kultur der Renaissance weite Verbreitung fanden (und auch die Reliefs am Goldenen Dachl zieren). Neapel war das musikalische Zentrum, gefeiert mit Blockflöte, Gamben, Lauten, Gitarren und Schlagzeug, etlichen rezitierten Zwischentexten und Gesängen im pittoresken Dialekt sowie dem famosen Sänger Marco Beasley als Glanzpunkt der Vortragskunst im Solistenquartett.

Streng religiös und doch opulent ging es dagegen bei Alessandro Scarlattis 1700 in Rom uraufgeführtem Oratorium „Davidis pugna et victoria“ zu – einem Beispiel für jenes Repertoire im Programm der Festwochen, das uns in Klangbild und Aufführungspraxis längst wieder vertraut erscheint. Der Coro Maghini als Doppelchor, instrumentales Concertino und große Besetzung nebst Continuo sorgten für abwechslungsreiche, mit Stereoeffekten gespickte Klänge, deren fassbarer Differenzierung durch die Academia Montis Regalis unter Alessandro De Marchi im halligen Dom allerdings akustische Grenzen gesetzt waren. Aber man vernahm die heldische Prise Metall in Arianna Vendittellis Sopran, die als David mit dem lyrisch weichen Jonathan der Giulia Semenzato veritable Liebesduette sang, während Luigi De Donato in virtuosen Salven die furchteinflößenden Koloraturen des Goliath abfeuerte und dennoch unterliegen musste: Ja, so singt und spielt man Alte Musik.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2018)

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