Johannes Maria Staud: Eine Horrorgeschichte für die Staatsoper

Johannes Maria Staud flüchtete vor der Provinzenge in die Partituren.
Johannes Maria Staud flüchtete vor der Provinzenge in die Partituren. Die Presse (Carolina Frank)
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Johannes Maria Staud hat für die Wiener Staatsoper "Die Weiden" komponiert eine besorgte Bestandsaufnahme unserer Zeit.

Ein Auftragswerk von der Wiener Staatsoper das ist so eine Art Ritterschlag für jeden Komponisten. Wie kam es dazu, dass Johannes Maria Staud engagiert wurde, eine Oper für das Haus am Ring zu komponieren? "Dominique Meyer hat 2014 mein Stück ,Comparative Meteorology in der Carnegie Hall mit den Wiener Philharmonikern unter Franz Welser-Möst gehört und kurz danach kam die Anfrage, ob ich nicht etwas für die Staatsoper machen möchte", erzählt Staud.

Bei der Wahl des Themas und des Librettisten habe er komplett freie Hand gehabt, sagt Staud. Daraufhin habe er sich gleich einmal mit "seinem" Librettisten Durs Grünbein zusammengesetzt. Mit dem deutschen Lyriker und Büchnerpreisträger hat Staud schon zwei erfolgreiche Opern vorgelegt: "Berenice" für die Münchner Biennale, die Wiener Festwochen und die Berliner Festspiele und "Die Antilope" für das Theater Luzern und das Lucerne Festival.

Bald war die Zusammenarbeit beschlossen und auch ein Thema gefunden: "Wir wollten ein Stück machen, das sich auf die Geschehnisse der Gegenwart bezieht. Die Tagespolitik zeigt, dass es wichtig ist, immer wieder auf unsere Geschichte hinzuweisen. Eine naturalistische Aufbereitung ist aber nicht unseres."

Johannes Maria Staud
Johannes Maria StaudDie Presse (Carolina Frank)

Horrorgeschichte als Vorbild. Inspirationsquelle war eine Horrorgeschichte aus dem frühen 20. Jahrhundert: "Die Weiden" aus dem Band "The Listener and Other Stories" (1907) von Algernon Blackwood. H. P. Lovecraft, einer der wichtigsten Schriftsteller des Genres, hielt sie "für möglicherweise die bedeutendste unheimliche Geschichte, die je geschrieben wurde". Staud fasst die Geschichte kurz zusammen: "Es ist der Beginn der Horrorgeschichte. Es geht um zwei Menschen, die im Kanu die Donau entlangfahren. Bei Hochwasser landen sie im Auenschwemmland auf einer Insel. Plötzlich passiert Seltsames die Weiden wandern auf sie zu, während verführerisch-bedrohliche Klänge sich über ihnen zusammenziehen. Die Menschen werden durchlässige Gefäße für eine andere Sphäre, die sie zusehends bedroht."

Für die Oper wurde die Handlung in die Gegenwart verlegt. "Eine junge Frau in einer amerikanischen Großstadt nimmt Abschied von ihrer Familie. Sie hat sich in einen jungen Mann aus dem Land am Strom verliebt, aus dem ihre Familie einst fliehen musste. Peter und Lea begeben sich auf eine Flussreise, auf eine Expedition den Großen Strom hinab. Peter präsentiert Lea seine Heimat, die sich anfangs von ihrer freundlich-pittoresken Seite zeigt, aber ein von Hass und Ressentiments zerfressenes Land ist. Es ist eine Reise ins Herz der Finsternis," erzählt der Komponist.

Das Stück spielt an einem Fluss, der Dorma, das könnte natürlich die Donau sein. "Es ist nicht nur auf Österreich bezogen. Es ist durchaus eine besorgte Bestandsaufnahme der Gegenwart in einem künstlerischen Modell." Eine traurige Episode der österreichischen Geschichte findet sich dennoch im Stück wieder: das Massaker von Engerau. In der Endphase des Zweiten Weltkriegs mussten Hunderte ungarische Juden auf dem "Todesmarsch" von Engerau über Hainburg in das KZ Mauthausen ihr Leben lassen. "Nicht Geister einer anderen, fernen Epoche sprechen in der Oper zu uns, sondern die Opfer der Nazizeit. Das ist unsere Erbsünde," sagt Staud.

Eine Flussreise. Die deutsche Regisseurin Andrea Moses war von Anfang an in die Entstehung des Stücks miteinbezogen, hat uns dramaturgisch beraten. "Eigentlich waren wir ein Dreier-Team." Auch für die Künstler sei es eine "Flussreise" gewesen. "Gewisse Dinge passieren unbewusst," so der Komponist. Die Musik entstehe bei ihm im Kopf zwischen Schreibtisch, Klavier und Computer und werde händisch niedergeschrieben. Meist vormittags und in der Nacht. Die Nachmittage gehören seiner Familie, Staud hat zwei kleine Söhne. "Ich kann nur Musik schreiben, die ich selber hören will. Ich schreibe jetzt nicht anders, weil ich für die Staatsoper komponiere." Klar sei ihm bewusst, dass er nun im Rampenlicht stehe künstlerisch und thematisch. "Ich wollte aber keine eskapistische Oper schreiben."
Komponieren wollte Staud freilich immer, seit er neun Jahre alt ist.

"Partituren zu schreiben war für mich eine Art Flucht aus der konservativen Enge meines Heimatlandes Tirol." Er sei kein Wunderkind gewesen. "Mit 14 hatte ich eine Rockmusikphase, da wollte ich einfach laut sein. Nirvana und The Velvet Underground waren meine Vorbilder. Aber mit 17 wusste ich: Ich will erns te, notierte, klassische Musik machen." Das Genre Oper hält er für modern-unzeitgemäß. "Die Oper ist ein wunderbarer Platz, die Menschen schalten das Handy ab und konzentrieren sich auf ein Gesamtkunstwerk. Es ist eine Anstrengung damit verbunden, die sich aber lohnt."

Tipp

"Die Weiden" von Johannes Maria Staud, Libretto: Durs Grünbein, wird am 8.12. in der Wr. Staatsoper uraufgeführt. Dirigent: Ingo Metzmacher, Regie: Andrea Moses. Mit Stauds "Scattered Light" wird am 28. 10. im Konzerthaus das Festival Wien Modern eröffnet.

("Die Presse-Kulturmagazin", 19.10.2018)

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