Koloraturen als naturalistische Klagelaute

Die Produktion fesselt das Publikum offenkundig. Die neue Sängerbesetzung findet sich gut zurecht und spielt nach Herzenslust.
Die Produktion fesselt das Publikum offenkundig. Die neue Sängerbesetzung findet sich gut zurecht und spielt nach Herzenslust.(c) Wiener Staatsoper
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Mozarts "Idomeneo" wieder an der Staatsoper: Bernard Richter debütierte in der stimmigen Inszenierung Kasper Holtens, die ein junges Sänger-Ensemble unter Tomáš Netopil zu nutzen versteht.

Die Wiederaufnahme des „Idomeneo“ am vergangenen Samstag war erst die sechste Aufführung von Kaspar Holtens Produktion, in der die mythische Geschichte knapp und klar – im fantasievoll aus antiken Landkartenfragmenten gebildeten Bühnenbild von Mia Stensgaard – entwickelt wird. Einwände ließen sich gegen die musikalische Einrichtung erheben: Das magische Quartett, Höhepunkt der „inneren“ Handlung des Werks, steht nun unvermittelt am Beginn des dritten Akts. Die Konzentration des Publikums muss da erfahrungsgemäß erst wieder gesammelt werden.

Dieser Defekt ließe sich bei einer weiteren Wiederaufnahme dieser „Idomeneo“-Produktion gewiss reparieren. Im Übrigen fesselt die Produktion das Publikum offenkundig. Die neue Sängerbesetzung findet sich gut zurecht und spielt nach Herzenslust. Die nachwachsende Generation singt wirklich nicht mehr, wie die Altvorderen sungen, möglichst an der Rampe, möglichst frontal ins Auditorium. Sie lässt sich von der Regie – oder besser: von den theatralischen Notwendigkeiten des Stücks durchaus auch dazu bewegen, weit hinten und manchmal in Richtung von noch weiter hinten postierten Akteuren zu agieren.

Ohne dass dabei die musikalischen Aspekte des Dramas zu kurz kämen. Spätestens im „Idomeneo“ schreibt Mozart ja vorrangig text- und situationsbezogen, oft kleinteilig differenziert: Aus Aktion wird vokale Geste; und umgekehrt. Die Partitur ist diesbezüglich das beste Regiebuch. So lässt sich denn auch nicht mehr unterscheiden, was da an Gebärdensprache und Personenführung von Herrn Holten beigesteuert wurde, ziemlich alles, was auf der Bühne geschieht, hat mehr oder weniger direkt mit dem zu tun, was Mozart komponiert hat.

Ein Theaterstück, kein Arien-Konzert

Dergleichen ist heutzutage ja nicht mehr selbstverständlich. Es sorgt aber dafür, dass ein Publikum dem nicht gerade einfachen Gang der seelischen Verstrickungen folgt, um die es hier geht. So sind es folgerichtig auch weniger bravouröse Einzelleistungen der Protagonisten, die an diesem Abend überzeugen, sondern das harmonische Zusammenspiel aller Beteiligten.

Im Detail belauscht, wird man gewiss bei allen kleinere oder größere Schwächen konstatieren können. Und doch vermisst man an diesem Abend nichts, denn das Ganze stimmt, weil nicht nur die darstellerischen, sondern auch die stimmlichen Nuancen durchwegs auf (musik-)theatralische Glaubwürdigkeit gemünzt scheinen.

Bernard Richters – technisch betrachtet keineswegs perfekten – Koloraturen in der zentralen Arie des Titelhelden („Fuor del mar“) – werden zum naturalistischen Klagelaut, Irina Lungus Verzweiflungsausbrüche vor dem Finale malen den Wahnsinn der Elektra atemberaubend. Aber auch wer puren Wohllaut sucht, wird an diesem Abend bedient, solange Valentina Naforniţa als trojanische Königstochter Ilia noch nicht allzu sehr im Netz der Tragödie gefangen ist, darf sie die Götter in geradezu liebreizend-melancholisch gesponnenen g-Moll-Kantilenen beschwören und ihren Sopran im Duett mit dem geliebten Idamante dem nicht minder ausdrucksvoll strömenden Mezzo Rachel Frenkels anschmiegen. Das Orchester bringt unter Tomáš Netopil das Drama eloquent in Fluss, der Chor sorgt wirklich machtvoll für die nötigen dramatischen Effekte. Am Ende weiß man schon nicht mehr, was man im Detail vielleicht auszusetzen gehabt hätte. Man hat „Idomeneo“ erlebt.

Reprisen: 19. und 22. Februar

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2019)

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